Tiberius Rohstoff-Research: Marktkommentar Juni 2009

I Aktienmärkte: Bärenfalle?
In den vergangenen Wochen setzte die im letzten Marktkommentar angekündigte und von einzelnen Marktteilnehmern sehnlichst erwartete Aktienmarktkorrektur endlich ein. Mit den fallenden Kursen scheinen die Bären auch die Meinungsführerschaft in den Medien wiedergewonnen zu haben. Zuletzt dominierten pessimistische Marktansichten: ein globaler Konjunkturaufschwung sei ein reines Phantasiegebilde und beruhe nicht auf harten Fakten. Ein zwischenzeitliches Aufflackern einzelner Makro-Indikatoren sei nichts weiter als ein extrem kurzfristiges, durch Sonderfaktoren wie die staatlichen Fiskalprogramme verursachtes Strohfeuer, das an den Aktienmärkten keine Beachtung verdiene.
Die Situation sei vergleichbar mit dem Mai 2002, als die kurze konjunkturelle Zwischenerholung, die sich an den Schock des 11. September 2001 und den dadurch ausgelösten Politikstimulus anschloss, ihr jähes Ende fand. Die Aktienmärkte hätten nun ihre Bear-Market-Rallye beendet und würden demnach schnell fallen, in den nächsten Monaten neue Tiefpunkte erreichen oder zumindest die alten Tiefpunkte noch einmal ansteuern. Und in der Tat sehen die Aktienmarkterholungen von September 2001 bis März 2002 und von März 2009 bis heute auf den ersten Blick ähnlich aus.

Jedoch gibt es aus unserer Sicht gravierende Unterschiede:
Erstens war der 11. September ein exogen gesetzter Kontrapunkt inmitten eines Bärenmarktes, der die Übertreibungen der TMT-Blase zu beseitigen hatte. Die Schockwellen des 11. September unterbrachen diese Bewegung, indem sie die Talfahrt an den Börsen beschleunigten, kulminieren ließen und anschließend eine nationale Trotzreaktion in den USA hervorriefen. Der Bärenmarkt der Jahre 2008/09 wurde hingegen nicht durch exogene Ereignisse beeinflusst, sondern es handelt sich vielmehr um eine zyklische Abwärtsbewegung, verstärkt durch die Strukturkrise im Finanzsektor.
Die Bereinigung der Fehlentwicklungen im Finanzsektor wird noch Jahre in Anspruch nehmen, wohingegen der konjunkturelle Abwärtszyklus in der Realwirtschaft, der mit einer Dauer von 18 Monaten und stark negativen Wachstumsraten besonders lang und tief war, weitgehend ausgestanden sein sollte. Eine Unterbrechung des Zyklus durch exogene Faktoren wie 2001 hat es nicht gegeben.
Zweitens wurden die Weltbörsen im Jahr 2002 sehr stark von konkreten Kriegsvorbereitungen belastet. Im Verlaufe des Jahres 2002 wurde immer klarer, dass die USA nach dem gemeinsam mit der UNO geführten Krieg in Afghanistan, auch ohne UNO-Legitimation und ohne westeuropäische Bündnispartner im Irak einen weiteren Krieg führen würden. Im zweiten Golfkrieg 1991 hatte sich das irakische Militär als ein hartnäckigerer Gegner erwiesen als dies zunächst von amerikanischen Militärstrategen erwartet worden war. Dementsprechend groß war die geopolitische Risikoprämie, die von den Aktienmärkten 2002 eingefordert wurde. Heute ist ein militärischer Konflikt, in den einer der NATO-Bündnispartner verwickelt ist, nicht absehbar.
Und drittens waren die großen Aktienverluste über den Jahreswechsel 2002/03 auch dadurch bedingt, dass große institutionelle Marktteilnehmer sich aus regulatorischen Gründen zu einem Abverkauf ihrer Aktienpositionen gezwungen sahen. Heute sind die Aktienbestände der großen Kapitalsammelstellen vergleichsweise gering und zu großen Teilen durch Derivate abgesichert. Ein Sell Off wie 2002/03 steht nicht zu befürchten.
Zudem verdichten sich die Hinweise, dass sich die globale Konjunktur wirklich zum Besseren wendet. Die vorauslaufenden Indikatoren zeigen immer konstanter einen zyklischen Aufschwung an. Die in unserem Zyklenmodell enthaltenen Makro-Indikatoren (u.a. US-Einkaufsmanagerindex, IFO-Geschäftsklimaindex, Tankan) haben alle klar nach oben gedreht. Selbstverständlich ist dieser Stimmungsumschwung noch nicht bei nachlaufenden Indikatoren wie dem Arbeitsmarkt oder der Kreditvergabe der Banken angekommen.
Immer mehr wird von den Bären aber gerade auf diese Größen verwiesen, um die Notwendigkeit eines erneuten Aktienabschwungs zu begründen. Dies durchaus in Analogie zum Frühjahr 2003, als der Aufschwung der Frühindikatoren zunächst ebenfalls als “reine Stimmung“ und später als “jobless growth“ tituliert wurde. Beide Behauptungen ließen sich nicht halten. Das Fenster für negative Makrodaten schließt sich unserer Ansicht nach auch im Sommer 2009 langsam. Insofern halten wir eine weitere Rallye und Short Covering nach wie vor für die wahrscheinlichste Variante. Eine wichtige Unterstützung liegt im Dax 30 zwischen 4.450 und 4.500 Punkten. An dem im Jahresausblick 2009 ausgegebenen Kursziel von 5.400 Punkten halten wir nach wie vor fest. Unserer Ansicht nach ähnelt der Chartverlauf dem des Jahres 2003, als ebenfalls im März eine Rallye von 2.200 auf knapp 4.000 Punkte gestartet hatte.

Wie nachhaltig eine derartige Bewegung sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Aufgrund der großen Strukturprobleme im Finanzsektor und den teilweise noch nicht konsolidierten Konsumentenfinanzen in den westlichen Industriestaaten erwarten wir nur einen gedämpften Konjunkturaufschwung und eine lange Phase unterdurchschnittlichen Wachstums. Insofern könnte die Zeit von Kursgewinnen bei Aktienindizes 2010 analog zum Jahr 2004 schon wieder vorüber sein. Vorsichtige Anleger laufen unserer Ansicht nach Gefahr, die einzige signifikante Aufwärtsbewegung der Jahre 2009-2011 zu verpassen. Eine langjährige Hausse wie in den Jahren 2005-2007 wird sich in dieser Periode unserer Meinung nach nämlich nicht noch einmal anschließen.