Industriemetalle: Fundamentaldaten werden ignoriert

Ein Blick an die Börse nach Shanghai zeigt ein noch dramatischeres Bild: Dort haben sich die Kupferbestände seit Jahresbeginn auf über 101.000 Tonnen versechsfacht. Zink verzeichnete an der LME mit über 455.000 Tonnen den höchsten Stand seit vier Jahren, in Shanghai wurde gar das höchste Niveau seit Beginn der Datenerfassung erreicht. Für die anderen Industriemetalle ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch an der Anzahl der gekündigten Lagerscheine (“cancelled warrants“) an der LME kann das aktuelle Marktgeschehen abgelesen werden. Die gekündigten Lagerscheine zeigen das Volumen an, das aus den Lagerhäusern zur Auslieferung angefordert wird.
Bei Kupfer z. B. belaufen sich diese auf nur 1.375 Tonnen, was weniger als 1% des gesamten Lagerbestands entspricht. Dies bedeutet, dass die Kupfernachfrage fast zum Erliegen gekommen ist. Auch die kürzlich veröffentlichte Importstatistik der chinesischen Zollbehörde bestätigt dieses Bild. Im Oktober sind die Importe von Kupfer im Monatsvergleich um 40% gefallen. Von der Spitze im Juni sind die Kupferimporte somit um 55% eingebrochen. Die Situation bei Blei ist noch deutlicher: Hier sind die chinesischen Importe nicht nur gegenüber dem Vormonat sondern auch im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen und betrugen im Oktober nur noch 2.950 Tonnen. Zum Vergleich: In der Spitze wurden im April über 36.000 Tonnen Blei importiert. Bei den anderen Industriemetallen hat die Importdynamik ebenfalls deutlich nachgelassen (Grafik 3).
Die hohen Lagerbestände wurden in der jüngeren Vergangenheit von den Marktteilnehmern bestenfalls nur am Rande registriert. Diese scheinen sich eher langfristig orientiert zu haben und sehen im Zuge einer anziehenden Nachfrage nach Rohstoffen potenzielle Angebotsengpässe in der Zukunft. Vorherrschend ist die Meinung, dass China und andere Entwicklungsländer die Erholung der Weltwirtschaft anführen werden, genauso wie diese Regionen einen vollständigen Einbruch der Nachfrage in diesem Jahr verhindert haben. Langfristig positiv stimmen die umfangreichen Infrastrukturinvestitionen im Zuge der Industrialisierung und der Urbanisierung, die unabhängig von den Konjunkturprogrammen durchgeführt werden und nicht wesentlich abnehmen werden.
Darüber hinaus dürften in 2010 und 2011 auch die Industrienationen wieder stärker zur Nachfrage beitragen. Doch wenngleich die mittel- bis langfristigen Aussichten positiv sind, besteht kurzfristig Enttäuschungspotenzial: Vor allem Chinas Rohstoffnachfrage könnte angesichts der hohen Nachfrage in der ersten Jahreshälfte, aber auch wegen des starken Produktionsanstiegs in den letzten Monaten kurzzeitig geringer ausfallen als erwartet.
Unseres Erachtens sind die Metallpreise anfällig für eine deutliche Korrektur. Derzeit überdeckt allerdings noch die euphorische Stimmung der Finanzanleger die sich eintrübenden Fundamentaldaten. Sollten diese jedoch wieder in den Mittelpunkt des Interesses rücken, dürfte das derzeit nicht zu rechtfertigende hohe Niveau der Metallpreise nicht mehr länger Bestand haben.
Ausgewählte Industriemetalle im Überblick
Nickel: Der Markt bleibt mittelfristig im Überschuss.
Nickel ist das einzige Industriemetall, das sich in den letzten Wochen spürbar verbilligt hat: Aktuell ist der Preis mit gut 16.000 USD je Tonne fast 20% niedriger als im Jahreshoch, während die übrigen Industriemetalle alle knapp unter ihren Jahreshöchstständen notieren. Auch wir hatten ein Preisniveau von knapp 20.000 USD als fundamental nicht gerechtfertigt erachtet und auf die Gefahr hingewiesen, dass die hohen Preise zu verfrühten Produktionsaufnahmen führen könnten, denen keine nachhaltige Erholung der Nachfrage gegenüber stehen würde. Tatsächlich ist die Produktion in den letzten Monaten deutlich angesprungen.