Neue Sorgen am Ölmarkt


Die Zuspitzung der Situation im Irak ließ den Ölpreis binnen eines Tages um fast fünf Dollar nach oben schnellen. Wir zeigen die Risiken für die momentan ausgeglichene Marktbilanz auf, die nicht nur in Angebotsausfällen, sondern auch in einem möglichen Überangebot am Markt liegen. Unter der Annahme, dass die Situation im Irak nicht eskaliert, dürfte der Brentölpreis jedoch in seiner Handelsspanne verharren.
Noch bis Dienstag war die Welt am Ölmarkt schön und heil: Wie erwartet bestätigte die OPEC auf ihrer halbjährlichen Sitzung zum fünften Mal in Folge ihr Produktionsziel. Schließlich handelt der Ölpreis seit knapp einem Jahr zumeist in einer engen Spanne zwischen 105 und 115 USD je Barrel, was sowohl für Produzenten als auch für Konsumenten ein komfortables oder zumindest akzeptables Niveau scheint (Grafik 1).
Doch die jüngste Zuspitzung der Situation im Irak, die den Brentölpreis binnen eines Tages um fast 5 USD je Barrel nach oben schnellen ließ, zeigt, dass das Gleichgewicht am Ölmarkt leicht aus dem Lot geraten kann. Während momentan die Risiken vor allem bei den Angebotsausfällen gesehen werden, könnte die ausgeglichene Marktbilanz aber durchaus auch durch eine Reduzierung der derzeit hohen ungeplanten Ausfälle in Schieflage geraten. Wir erklären, warum wir - vorausgesetzt die Situation im Irak spitzt sich nicht weiter zu - den Ölpreis vorerst weiter seitwärts tendieren sehen.
Szenario 1: Angebotsausfälle im Irak lassen den Preis kräftig steigen
Im Fokus des Marktes ist momentan die Sorge um massive Angebotsausfälle aufgrund der Islamisten-Offensive im Irak. Schließlich ist der Irak mit einer Ölförderung von 3,4 Mio. Barrel pro Tag der zweitgrößte OPEC-Produzent (Grafik 2). Er gilt zudem als Hoffnungsträger unter den OPEC-Staaten, hatte doch die Produktion laut IEA im Februar mit 3,6 Mio. Barrel pro Tag das höchste Niveau seit 1979 erreicht.
Für Ende 2014 peilt das Land sogar ein Produktionsniveau von 4 Mio. Barrel pro Tag an, nach im Durchschnitt 3,1 Mio. im letzten Jahr. Bislang sind die Kämpfer der sunnitischen Terrorgruppe ISIS zwar vor allem im Norden des Landes unterwegs, dessen Rohölexporte auch in normalen Zeiten mit knapp 500 Tsd Barrel pro Tag spürbar geringer sind als die des Südens (etwa 2,5 Mio Barrel pro Tag). Und momentan liegen sie aufgrund der beschädigten Kirkuk-Ceyhan Pipeline ohnehin bei Null. Sorgen bereitet aber das schnelle Vordringen der Extremisten. Angeblich steht ISIS kurz vor Bagdad. Die USA erwägen inzwischen Luftschläge, um die irakischen Streitkräfte im Kampf gegen die ISIS zu unterstützen.


Sollte sich die Situation weiter zuspitzen und Produktionsausfälle im Süden des Landes drohen, welche die in Libyen deutlich übertreffen, würde der Ölpreis sicherlich um weitere 10 USD je Barrel steigen. Noch ist dies aber nicht unser Hauptszenario.
Szenario 2: Störung des Gleichgewichts durch ein Überangebot
Bis Mitte der Woche galt wohl eher das Szenario eines Überangebots am Ölmarkt als wahrscheinlicher. Schließlich ist das momentane Gleichgewicht vor allem den sogenannten ungeplanten Produktionsausfällen der OPEC-Mitgliedsstaaten Libyen und Iran zu verdanken.
Libyen verantwortet Ausfälle in Höhe von knapp 1,4 Mio Barrel pro Tag, was knapp der Hälfte der momentan fehlenden Produktion entspricht. Seit letzten Sommer kommt es in dem nordafrikanischen Land, das sich anfangs überraschend schnell von den Produktionseinbußen im Bürgerkrieg 2011 erholen konnte, immer wieder zu Unruhen und Protesten, welche zu immer größeren Einbußen bei der Ölproduktion geführt haben (Grafik 3).
Eine deutliche Steigerung der Produktion scheint jedoch vorerst nicht in Reichweite. Noch immer gibt es keine Verfassung; das Oberste Gericht des Landes erklärte unlängst die Wahl des letzten Premierministers Maiteeq als nicht verfassungskonform. Mehr Klarheit sollen die für Ende Juni angesetzten Parlamentswahlen bringen. Problematisch ist aber, dass einige Ölfirmen wegen der prekären Sicherheitslage Personal aus Libyen abziehen. Eine Rückkehr zum ursprünglichen Produktionsniveau von 1,6 Mio. Barrel pro Tag ist daher kaum vorstellbar.
Eine (plötzliche) Steigerung des Ölangebots könnte sich grundsätzlich auch im Falle erfolgreicher Verhandlungen im Atomstreit mit dem Iran ergeben. Derzeit suchen die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland mit dem Iran eine umfassende Lösung für den seit zehn Jahren anhaltenden Konflikt um das Atomprogramm Teherans.
Gemäß Interimsabkommen ist es dem Iran in den sechs Monaten bis 20. Juli lediglich erlaubt, im Durchschnitt täglich 1 Mio. Barrel pro Tag zu exportieren. Trotz des starken Interesses des Iran an einer Lockerung der Wirtschaftssanktionen war die jüngste Verhandlungsrunde jedoch enttäuschend. Eine schnelle Wende wie Ende letzten November scheint diesmal eher unwahrscheinlich.