Jahresausblick Rohöl - Chancen und Risiken ausbalanciert

Mit Blick auf das kommende Jahr spricht einiges dafür, dass sich das Nadelöhr Cushing, Oklahoma, etwas ausweiten kann und der Spread entsprechend sinkt. Bisherige Alternativen, das Nadelöhr zu umgehen und der Angebotsschwem-me Herr zu werden, z.B. mittels Güterzügen und Tankern auf dem Mississippi, konnten nur wenig zum Lagerabbau beitragen. Im Gegenteil: Wie bereits skizziert, lagern derzeit mit 50 Mio. Barrel, über 50% mehr als noch vor Jahresfrist.
Im Frühjahr 2013 wird die Erweiterung der Seaway-Pipeline in Betrieb gehen, die die Transportkapazität zur Golfküste um 250 tbpd ausweiten wird. Zudem können nach der Erweiterung der West Texas Gulf Pipeline im kommenden Jahr 80 tbpd aus dem Permischen Becken, Texas, an die Golfküste fließen, die bisher nach Cushing strömten; insgesamt also eine Ausweitung der Transportmöglichkeiten um Cushing um 330 Tausend Barrel pro Tag.
Dies ist jedoch nur die eine Seite der Medaille: Auch die Ölförderung in North Dakota, Texas und Kanada dürfte weiter zunehmen. Ein geschätztes Förderplus im kommenden Jahr von 250 tbpd in diesen Regionen relativiert die geplanten Kapazitätsausweitungen der Pipelines wieder. Zudem dürfte der Spread auch auf brentspezifische Faktoren (Nachfrage aus Asien, sinkende Produktionsraten, Probleme mit Förderplattformen) zurück-zuführen sein, die überwiegend auch im Jahr 2013 noch aktuell sein dürften. Daher könnte sich die an den Märkten eingepreiste Einengung des Spread auf elf US-Dollar per Ende 2013 noch als zu optimistisch erweisen.

Spekulanten auf dem Rückzug
Die Wetten auf steigende Preise für WTI-Öl haben nach Angaben der CFTC nachgelassen. Aktuell beläuft sich der Nettosaldo aus Long- und Shortpositionen der Investorengruppe "Managed Money" bei rund im Zweijahresvergleich relativ geringen 150.000 Kontrakten. Damit dürfte der spekulative Angebotsüberhang abgearbeitet sein, was tendenziell wieder den Weg frei für steigende Preise macht.

Fazit: Chancen und Risiken ausbalanciert
Wenn man über die Perspektiven für den Ölpreis spricht, so ist die Terminologie "Chancen und Risiken" eigentlich fehl am Platz. Im Grunde genommen wäre die größte Chance am Ölmarkt, wenn der Brent-Preis (und die auch Brent-Terminkurve) auf dem aktuellen Niveau verharren würden. Mit 110 US-Dollar können schließlich alle gut leben: Die Förderländer, die entspannt auf ihre Staatshaushalte blicken können, die Verbraucher, die sich an das aktuelle Niveau gewöhnt haben und keine weiteren Preissteigerungen erdulden müssen, die CO2-Bilanzen und damit das globale Klima, weil mit dem derzeit hohen Preisniveau ausreichend Anreize zur Verbesserung der Energieintensität bestehen, und selbst die Investoren, die aus der Backwardation der Brent-Terminkurve durch Rollgewinne Kapital schlagen könnten.
Es macht daher mehr Sinn, von Aufwärts- und Abwärtsrisiken zu sprechen. Diese halten sich derzeit die Waage, weshalb wir einen Seitwärtstrend prognostizieren. Fundamental gesehen ist der Ölmarkt gut versorgt, das Angebot dürfte die Nachfrage sogar übersteigen. Auch die Lagerbestände sind gut gefüllt, was insgesamt für sinkende Preise spricht. Dagegen haben geopolitische Unwägbarkeiten das Potenzial, das Ölangebot empfindlich zu stören.
Vor allem der Konflikt um Iran und Israel dürfte 2013 in eine neue Phase gehen und für Gefahr sorgen. Brent dürfte daher in einem breiten Band seitwärts tendieren und am Jahresende 2013 bei rund 110 US-Dollar stehen. WTI-Öl dürfte sich etwas erholen, da neue Pipelinekapazitäten Entspannung im Nadelöhr Cushing bringen. Die Einengung des Spread könnte aber weniger stark als erwartet (Forwardpreis Dezember 2013: 11 US-Dollar) ausfallen, da auch die Öl-förderung in den USA entsprechend zulegen dürfte.

© Frank Klumpp, CFA
Commodity Research
Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
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