Altira Group: Steigende Angebotsrisiken auf den Rohstoffmärkten / Ausblick 2012

Nach einer freundlichen ersten Jahreshälfte 2011 reagierten die Aktien- und Rohstoffmärkte Anfang August negativ auf eine Verschlechterung des makroökonomischen Umfeldes. Ab diesem Zeitpunkt stand an den Aktien- und Rohstoffmärkten die sich verschärfende europäische Schuldenkrise, die Abschwächung des weltweiten Wachstums und die Sorge um die weitere Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft im Vordergrund - alles Faktoren, die die weitere Nachfrage nach Rohstoffen (ex Gold) negativ beeinfussten.
Das aktuelle Preisniveau an den Rohstoffmärkten spiegelt bereits ein schwächeres Wachstum der Weltwirtschaft wider, aber die Befürchtungen um ein ‚hard landing’ der chinesischen Volkswirtschaft erscheinen uns als zu pessimistisch. Im vierten Quartal 2011 zeichnete sich zudem an den Rohstoffmärkten ein Sentimentwechsel von der Nachfrage- hin zur Angebotsseite ab, der in 2012 zu einem beherrschenden Thema werden könnte. Denn die Angebotsrisiken steigen und mit ihnen die Preise.
Energie
Geopolitische Ereignisse dominierten das Marktgeschehen in 2011
Rohstoffpreisentwicklung
Der “Arabische Frühling“ und die Konjunktursorgen im Zusammenhang mit der Schuldenkrise in Europa beeinfussten nachhaltig die Preisfndung. Durch Ölförderausfälle, die mit den politischen Unruhen in Nordafrika einhergingen, stieg der Preis der Nordsee-Qualität Brent von rund 94 US-Dollar pro Fass zu Jahresbeginn stark an. Anfang April erreichte er rund 127 US-Dollar, um danach volatil zwischen 102 und 120 US-Dollar zu schwanken.
Eine Sondersituation in Cushing, Oklahoma - dem zentralen Raffnerie-Standort der USA - beeinfusste den Preis für die US-amerikanische Ölqualität WTI. Durch die verstärkte Produktion von Öl und Gas aus den Ölschiefer- und Teersand-Vorkommen Nordamerikas bei gleichzeitig ungenügenden Transportkapazitäten innerhalb der USA für die jeweiligen Energieprodukte drückte das Überangebot an Energieprodukten auf den Preis: Während WTI zu Jahresbeginn etwa 91 US-Dollar pro Fass kostete und bis Ende April auf rund 114 US-Dollar anstieg, belastete dieses Überangebot an WTI-Öl den Preis. Er sank bis Anfang Oktober auf unter 76 US-Dollar je Fass, um sich danach auf einen Preis um die 100 US-Dollar zu erholen. Der Preisunterschied zwischen den Sorten WTI und Brent erreichte im Oktober mit fast 30 US-Dollar einen Höhepunkt.
Auch bei Erdgas drückte das Überangebot in Nordamerika im ganzen Jahr 2011 auf den Preis: Lag er zu Jahresbeginn bei etwa 5 US-Dollar, so sank er im Zeitablauf konstant, um im Dezember bei etwa 3,20 US-Dollar seinen vorläufgen Tiefpunkt zu erreichen.
Im Spätherbst 2011 fel dann die Entscheidung, eine Pipeline zwischen Cushing und den Verlademöglichkeiten im Golf von Mexiko umzubauen, um die Raffnerieprodukte abtransportieren und damit die Preissituation bei WTI entspannen zu können. In der Folge proftierte insbesondere der Preis für WTI und der Preisabstand zu anderen Ölsorten verringerte sich wieder.
Aktienkursentwicklung
Die Wertentwicklung der Unternehmen im Energiesektor konnte sich von der allgemeinen Aktienmarkt-Entwicklung nicht abkoppeln. Nach einem guten Jahresauftakt bewegten sich integrierte Ölunternehmen (“Majors“) und unabhängigen Förderunternehmen (Exploration & Production, E&P) ab April 2011 seitwärts. Ende Juli setzte ein heftiger Kursabschwung ein, der die Preise unter das Niveau vom Jahresanfang drückte.
Nach einer Konsolidierungsphase stiegen die Preise im Oktober stark an, was sich jedoch als nicht nachhaltig erwies. Die traditionell defensiveren Unternehmen aus der Verarbeitung (Refning & Marketing, R&M) sowie dem Energiehandel und –transport schwankten weniger stark, konnten sich aber dem negativen Markttrend ebenfalls nicht entziehen.

Mit Energie ins neue Jahr 2012
Rohstoffpreisprognose
Kommt sie, oder kommt sie nicht? Gemeint ist die Rezession, die die Marktteilnehmer schon heute in die Bewertung der Unternehmen im Öl & Gas-Sektor einfießen lassen. Auf den Punkt gebracht ist dies die Kernfrage für 2012.
Kommt eine Rezession, wird die Nachfrage nach Energie vorübergehend zurückgehen. Allerdings dürfte es zu keinem massiven Überangebot an Öl und Gas kommen, da deren Produzenten - allen voran die OPEC-Staaten - ihre Produktion zurücknehmen werden. Im Fokus bleibt hier das notwendige Preisniveau, um die Budgetanforderungen insbesondere der OPEC-Staaten erfüllen zu können. In diesem Umfeld sehen wir den Preis für Rohöl in einer Preisspanne von 80 bis 100 US-Dollar. Kommt keine Rezession, treten Angebotsrisiken in den Vordergrund. Während die Nachfrage weiter wächst, bleibt das Angebot an (billiger) Energie knapp. Die Suche nach Öl und Gas wird immer schwieriger und teurer. Hohe Betriebskosten machen kleinere Ölvorkommen unökonomisch und größere werden relativ schnell ausgebeutet, um die Investitionskosten zügig erwirtschaften zu können. In diesem Szenario sehen wir den Ölpreis im nächsten Jahr auf über 120 US-Dollar pro Fass steigen.
Auch die verfügbare freie Förderkapazität, die viele Marktteilnehmer als Puffer für eventuell auftretende Lieferprobleme betrachten, ist auf einem historisch niedrigen Niveau. Spontane Produktionsausfälle, z. B. durch Wetterphänomene oder politische Ereignisse wie im Frühjahr 2011 in Nordafrika, können kaum noch aufgefangen werden und würden unmittelbar preistreibend wirken. Ähnlich sieht dies in Bezug auf die Versorgungssicherheit aus: Der Vergleich der aktuellen Energie-Lagerbestände mit den Verbrauchszahlen (“days of forward cover“) bestätigt dieses Bild.
Im globalen Gasmarkt sehen wir kurzfristig keine Veränderung, mittelfristig werden zwei unterschiedliche Perioden dieses Jahrzehnt dominieren. Das Angebot im Gasmarkt, insbesondere bei Flüssiggas (Liquifed Natural Gas, LNG), dürfte im Zeitraum bis 2016 knapp bleiben. Die derzeitigen Planungen zeigen aber, dass im Zeitraum 2017 bis 2020 ausreichend LNG-Projekte realisiert werden, um die erwartete Nachfrage dieses Zeitraums zu bedienen. Allerdings erwarten wir, dass die Kostenstruktur dieser Projekte das Wachstum des Gasmarktes begrenzen wird. Somit werden Kosten zu einem noch wichtigeren Differenzierungsmerkmal für künftige Gas- und LNG-Projekte.
Aktienmarktprognose
In einem Umfeld schwieriger werdender Ausbeutung konventioneller, aber auch unkonventioneller Lagerstätten (wie z. B. Ölschiefer, Teersand, Tiefseeförderung und Polar-Öl) besetzen spezialisierte Ölservice- und E&P-Unternehmen Schlüsselpositionen. Sie können daher in einem erwarteten Umfeld konstanter bis steigender Nachfrage nach Energie ihre Servicepreise gut durchsetzen und attraktive Margen erzielen. Im Verarbeitungssegment (R&M) hingegen bestehen Überkapazitäten in Europa; der starke Aufbau von Raffnerien in Asien scheint vorläufg abgeschlossen, während sich in den USA die Konsolidierung fortsetzen wird. Wir sehen hier nur geringe Kurspotenziale. Von den großen integrierten Ölunternehmen erwarten wir eine solide Wertentwicklung, die sich analog zum Gesamtmarkt entwickeln dürfte.