Energie: Ist diesmal alles anders? 2011 und 2008 im Vergleich

Die politische Instabilität in wichtigen Förderregionen rechtfertigt eine hohe Risikoprämie. Dies gilt umso mehr, als dass die frei verfügbaren Kapazitäten bereits durch die Ausfälle in Libyen deutlich geschrumpft sind.
In der Tat wies die IEA im August 2011 nur noch freie Förderkapazitäten von knapp 4 Mio. Barrel pro Tag aus, während es im Jahr zuvor fast 6 Mio. Barrel pro Tag waren. Darüber hinaus bestätigt das jüngste Öl-Embargo gegen Syrien das Risiko von Lieferausfällen in Folge von politischen Unruhen. Dennoch ist das Argument insofern zu relativieren, als dass das Niveau der frei verfügbaren Reserven weiterhin hoch ist: im Sommer 2008 beispielsweise gab es ediglich einen Puffer von 2,3 Mio. Barrel pro Tag (Grafik 4). Zudem dürften die freien Kapazitäten wieder steigen, wenn Libyen an den Markt zurückkommt. Die OPEC rechnet bereits in sechs Monaten mit einer Produktion von 1 Mio. Barrel pro Tag.
These:
Der Rückgang der industriellen Lagerbestände zeigt Knappheit.
In der Tat sind die industriellen Lagerbestände für Rohöl und Mineralölprodukte vor allem in Europa seit Sommer 2010 rückläufig. Denn laut IEA dürfte die Nachfrage im ersten Halbjahr das Angebot überstiegen haben. Die OECD Lagerbestände sind infolgedessen wie 2008 unter den Fünf-Jahresdurchschnitt gefallen (Grafik 4). Doch die Tendenzen drehen: das Nachfragewachstum verlangsamt sich und das Angebot steigt. Die Situation dürfte sich rasch auflösen.
These:
Angesichts des geringen spekulativen Engagements ist ein Rückschlag eher unwahrscheinlich.
Tatsächlich sind spekulativen Finanzanleger derzeit nicht überaus optimistisch: die Netto-Long Positionen für WTI liegen mit knapp 155 Tsd. Kontrakten gut 40% niedriger als im Jahreshoch im Frühjahr (Grafik 6, S.5). Allerdings dürften die Investoren aufgrund der steigenden Terminkurve bei WTI zurückhaltend sein und verstärkt in Brent-Futures investieren. Zudem schützen niedrige Netto-Long-Positionen nicht zwingend gegen einen Preisrückgang. Denn auch im Sommer 2008 hatten die spekulativen Anleger ihre Netto-Long Positionen bereits kräftig abgebaut. Dennoch brach in der zweiten Jahreshälfte der Preis um 70% ein. Ende des Jahres waren die Spekulanten mehrheitlich auf der Short-Seite.
These:
Die OPEC-Staaten sind angesichts der im Zuge der Unruhen gestiegenen Sozialausgaben auf hohe Öleinnahmen angewiesen
Das stimmt, allerdings dürften die Alarmglocken der Kartellmitglieder erst bei einem Unterschreiten der Marke von 100 USD je Barrel schrillen. Dann dürften sie allerdings deutlich schneller als in der Vergangenheit Handlungsbereitschaft zeigen. Saudi-Arabien, das den Förderhahn als Ausgleich für Libyens Angebotsausfälle stärker aufgedreht hat, könnte sein Angebot schnell drosseln.
These:
Der Liquiditätsschub einer möglichen weiteren quantitativen Lockerung der US Geldpolitik könnte dem Ölpreis Auftrieb geben.
Könnte sein, aber andere Risikoklassen wie die Aktienmärkte profitieren zur Zeit kaum. Angesichts der Eintrübung des Fundamentalumfeldes ist die Tragfähigkeit einer allein liquiditätsgetriebenen Preisrallye anzuzweifeln.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gemeinsamkeiten mit dem Jahr 2008 wohl eher überwiegen. Auch wenn die Übertreibung am Ölmarkt keineswegs so stark ist wie im Sommer 2008, erachten wir das derzeitige Ölpreisniveau von über 110 USD je Barrel angesichts der bereits erfolgten Abkühlung der Konjunktur und der sich mit Libyens Rückkehr abzeichnenden Entspannung auf der Angebotsseite als nicht fundamental gerechtfertigt. Wir erwarten bis Jahresende eine Korrektur um gut 10%. Sollte sich die Abschwungsdynamik (wie 2008) noch verstärken und die Welt nicht wie derzeit erwartet an einem „Double-Dip“ vorbeischrammen, dürfte der Preiseinbruch stärker ausfallen. Der größere Handlungsbedarf der OPEC und die höhere Sensitivität der Marktteilnehmer für geopolitische Risiken stellen jedoch eine gute Unterstützung dar.

Auf einen Blick



