Ausblick 2018 - US-Schiefer-Revolution, die Zweite

Ebenfalls haben wir unterstellt, dass sich die geopolitische Lage zumindest kurzfristig nicht weiter zuspitzt. Dabei sehen wir allerdings durchaus das Risiko einer weiteren Eskalation des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat in der Außenpolitik sehr scharfe Töne angeschlagen. Ein offener Konflikt in dieser ölreichen Region hätte fatale Folgen. Wir gehen davon aus, dass dies den Markt immer stärker beschäftigen (muss) und im Zuge dessen auf mittlere Sicht die geopolitische Risikoprämie steigen wird.
Aber nicht nur aus diesem Grund dürfte sich der von uns im Frühjahr erwartete Preisrutsch als übertrieben erweisen. Zu berücksichtigen ist auch, dass das verglichen mit der ersten Hälfte des Jahrzehnts niedrige Preisniveau durchaus Bremsspuren in der Ölindustrie hinterlässt. Schließlich kostet ein Fass Brentöl im Durchschnitt mit rund 50 USD seit 2015 nur halb so viel wie zwischen 2011 und 2014. Konsequenzen zeigen sich bereits in Venezuela, wo die tägliche Produktion von fast 2,4 Mio. Barrel im Herbst 2015 auf knapp 1,8 Mio. Barrel eingebrochen ist. Zweifellos ist die Lage hier durch die Staatspleite zusätzlich eskaliert.

Aber auch andernorts sind die Investitionen der konventionellen Ölindustrie gesunken, und das bremst die künftige Produktion. So sieht die IEA in ihrem mittelfristigen Ausblick außerhalb von Nordamerika signifikante Zuwächse in der Ölproduktion nur in Brasilien, wo dank der Ausbeutung der Pré-Sal-Gebiete in tiefen Gewässern noch deutliche Erfolge zu erwarten sind. Bis 2022 soll die Produktion um gut 1 Mio. Barrel pro Tag steigen. Mit weitem Abstand folgt dann Kasachstan, wo die Produktion in den nächsten fünf Jahren lediglich um 200 Tsd. Barrel pro Tag steigen soll. Und dem stehen Produktionsverluste von beispielsweise gut 200 Tsd. Barrel pro Tag in China gegenüber.
Alles in allem dürften die Ölpreise deshalb in der zweiten Jahreshälfte wieder etwas anziehen. Sobald auf der OPEC-Sitzung im Sommer beschlossen sein wird, dass die Produktion bis Ende 2018 gedrosselt bleibt und eine Strategie für ein allmähliches Wiederhochfahren im Jahr 2019 fixiert ist, dürfte sich der Brentölpreis bei 60 USD je Barrel einpendeln.
Verstärkte Aufmerksamkeit dürfte der Markt im nächsten Jahr auch dem Preisabstand zwischen WTI und Brent zukommen lassen. In diesem Jahr hatte sich WTI während der Hurrikan-Saison deutlich gegenüber Brent verbilligt. Der Preisabschlag weitete sich auf 6 USD je Barrel aus. Was anfangs noch sturmbedingten Ausfällen in den Raffinerien und dem Schiffsverkehr zuzuschreiben war, hat sich in den Wochen darauf etabliert. Das ist vor allem auf Engpässe in der Pipeline-Anbindung des Schieferölvorkommens Permian Basin zurückzuführen, wo die Produktion seit Jahren mit Abstand am stärksten steigt.
Ab dem zweiten Quartal sollte die Inbetriebnahme einer neuen Pipeline, der Midland-to-Sealy Pipeline, die Transportkapazitäten zur Golfküste, um 450 Tsd. Barrel pro Tag erhöhen. Dann dürfte das Öl wieder verstärkt in den USA verarbeitet und entsprechend weniger Rohöl exportiert werden (Grafik 6). Der Preisabstand der beiden Rohölsorten sollte sich folglich in der zweiten Jahreshälfte 2018 wieder auf 3 USD verringern.
Ölprodukte: Reichliches Angebot bremst Preise
Die Preise für Ölprodukte sind 2017 deutlich gestiegen. Anschub gab primär die Erholung der Rohölpreise. Benzin und Diesel haben sich jedoch noch stärker verteuert als Rohöl. Vor allem der Preisabstand zwischen Diesel und Brentöl, der 2016 im Jahresdurchschnitt der niedrigste war seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, hat sich ausgeweitet, bleibt aber noch immer niedriger als im langjährigen Durchschnitt (Grafik 7). Maßgeblich für die überproportional starke Preiserholung der Ölprodukte dürfte der massive Rückgang der Produktvorräte in den OECD-Ländern sein (Grafik 8):
Vor allem der Überhang bei den Vorräten an Mitteldestillaten sank kräftig um fast 70 Mio. Barrel und ist damit nahezu abgebaut. Schließlich schiebt die gute Konjunkturentwicklung die Nachfrage der Logistikbranche kräftig an. Aber auch die OECD-Benzinvorräte fielen und rutschten sogar unter den Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Die aktuellen Lagerdaten aus den USA und für den Raum Amsterdam-Rotterdam-Antwerpen zeigen allerdings, dass sich die Tendenzen zuletzt nicht mehr fortgesetzt haben; insbesondere die Benzinbestände sind gestiegen (Grafiken 28./29 bzw. 36/37).

Auch im nächsten Jahr dürfte dank der robusten Weltwirtschaft die Nachfrage nach Destillaten weltweit robust sein. Nichtsdestotrotz rechnen wir mit einer reichlichen Versorgung des Marktes. Vor allem die USA stellen trotz der zuletzt auch kräftigen heimischen Nachfrage dem Weltmarkt, vornehmlich Mittel- und Südamerika, immer mehr Diesel zur Verfügung (Grafik 9). Im Juli erreichten die US-Exporte an Mitteldestillaten mit 1,7 Mio. Barrel pro Tag einen neuen Rekord. Insgesamt lagen die Ausfuhren in den ersten 10 Monaten 16% über Vorjah. In den USA machen Destillate zwar nur 28% des Raffinerieausstoßes aus. Aber hiervon werden mittlerweile 30% exportiert.
Anfang 2010 hatte der Anteil nur bei gut 10% gelegen. Im kommenden Jahr dürfte der Trend anhalten. Schließlich steigt die US-Rohölproduktion kräftig. Auch wenn seit 2016 Rohöl exportiert werden darf, dürften die US-Produzenten solange die Ausfuhr von Ölprodukten bevorzugen wie die Margen hinreichend hoch bzw. die Raffineriekapazitäten nicht voll ausgelastet sind. Auch China stellt dem Weltmarkt immer mehr Diesel zur Verfügung. Am Heimatmarkt ist die Destillatenachfrage zwar zuletzt ebenfalls wieder gewachsen, aber mit der Umstrukturierung der Wirtschaft zu mehr Dienstleistungen wird der Bedarf an Diesel nur noch unterpropotional wachsen.
Gleichzeitig steigt die Verarbeitung von Rohöl in China. In Europa, dem größten Dieselmarkt weltweit, wird die Nachfrage nach dem konjunkturbedingt kräftigen Zuwachs im laufenden Jahr nur noch geringfügig zulegen. Die Auswirkungen der Dieselkrise, die zu einem deutlichen Rückgang der Dieselfahrzeuge an den Neuzulassungen geführt hat, dürften sich allerdings erst später zeigen, weil der Anteil der Dieselfahrzeuge am gesamten PKW-Bestand noch steigt.
Aufgrund des reichlichen Angebots dürften die Crack-Spreads bei Mitteldestillaten ihr derzeit noch immer leicht unterdurchschnittliches Niveau halten. Der Dieselpreis dürfte sich also proportional mit dem Rohölpreis entwickeln. Zum Ende des Prognosehorizonts dürfte der Preisabstand dann allerdings anziehen. Schließlich wird die Nachfrage nach Mitteldestillaten von dem ab 2020 geltenden verschärften Schwefellimit in der Schifffahrt unterstützt, was den nachfragedämpfenden Effekt der geringeren Dieselzulassungen zunächst kompensieren dürfte.
Die Situation am Benzinmarkt ist vergleichbar: In den Industrieländern hat zwar die Nachfrage im laufenden Jahr nach dem Boomjahr 2016 "nur" das hohe Niveau gehalten, aber in den Schwellenländern wuchs der Bedarf kräftig. Für 2018 zeichnet sich eine Verlangsamung ab: In den USA, dem mit Abstand größten Benzinmarkt, wird die Nachfrage von ihrem Rekordniveau wohl nur leicht zulegen. In China soll die Benzinnachfrage laut IEA im nächsten Jahr nur noch 65 Tsd. Barrel pro Tag zulegen, nach knapp 100 Tsd. Barrel im Vorjahr. Offensichtlich werden die höheren Benzinpreise die Nachfrage dämpfen.
Indiens Nachfrage könnte dagegen dank der Konjunkturbelebung und steigender PKW-Zulassungen etwas anziehen. Gleichzeitig boomt jedoch auch am Benzinmarkt das Angebot, weil in den USA, wo Benzin knapp die Hälfte des Raffinerieausstoßes ausmacht, die Raffinerieverarbeitung immer weiter steigt. Wir sehen deshalb den Benzinpreis im engen Verbund dem Ölpreis folgen und zunächst im ersten Quartal 2018 stark rutschen, bevor sie sich im Sommer auf fast 600 USD je Tonne wieder erholen.
