Warum der Ölpreis trotz geopolitischer Spannungen fällt


Finanzanleger haben sich daraufhin im großen Stil zurückgezogen und den Preisrückgang verstärkt. Wir sind der Ansicht, dass die Marktteilnehmer die Angebotsrisiken unterschätzen, so dass der Ölpreis jederzeit kräftig steigen kann. Die langfristigen Ölpreise sind bereits merklich gestiegen.
Der Brentölpreis ist seit seinem Ende Juni bei 115 USD je Barrel verzeichneten Jahreshoch um 12% gefallen. Zuletzt kostete Brent nur noch etwas mehr als 101 USD je Barrel und damit so wenig wie zuletzt vor 13½ Monaten (Grafik 1).
Diese Entwicklung ist auf dem ersten Blick überraschend, weil die geopolitischen Spannungen in den letzten beiden Monaten eher zu- als abgenommen haben. So verhängten die EU und die USA aufgrund des Ukraine-Konflikts Ende Juli Wirtschaftssanktionen gegen Russland, welche auch den Ölsektor betreffen. Im Gazastreifen ist die Situation zwischen Israel und der Hamas eskaliert.
In Libyen gibt es anhaltende Gefechte zwischen rivalisierenden Milizengruppen, die die Ölproduktion nicht nachhaltig steigen lassen. Zudem bedroht der Vormarsch der sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak auch die Hauptstadt Bagdad und die ölreiche Provinz Kurdistan. Angesichts dieser Nachrichtenlage wäre eigentlich mit einem Ölpreisanstieg zu rechnen gewesen. Warum ist der Ölpreis dennoch gefallen?
Der Ölmarkt ist aktuell reichlich versorgt. Dank der steigenden Schieferölproduktion führen die USA erheblich weniger leichtes Rohöl aus Westafrika ein (Grafik 10). Dieses Öl drängt stattdessen auf den europäischen Markt und sorgt zusammen mit einer schwachen Nachfrage der europäischen Raffinerien für ein lokales Überangebot. Entgegen vorheriger Befürchtungen kam es zudem trotz der vielen Spannungsfelder bislang nicht zu nennenswerten zusätzlichen Angebotsausfällen. Die Sanktionen gegen Russland dürften kurzfristig eher die dortige Wirtschaft und Nachfrage nach Öl belasten, als dass sie zu einem geringeren Ölangebot Russlands führen.
In Libyen hat sich die Ölproduktion in den letzten Wochen sogar auf gut 500 Tsd. Barrel pro Tag erhöht, nachdem einige der zuvor von Rebellen besetzten Ölhäfen wieder in Betrieb genommen wurden. Aus diesem Grund ist in den kommenden Wochen mit einem weiteren Anstieg des Ölangebots aus Libyen zu rechnen. Die Ölexporte aus dem Süden des Irak, welche 90% der irakischen Öllieferungen ausmachen, sind vom Vorrücken des IS im Norden zudem unbeeinträchtigt geblieben.

Zuletzt enttäuschten auch noch die Konjunkturdaten einiger wichtiger Nachfrageländer bzw. -regionen, was Nachfragesorgen schürte. In China brach die Kreditvergabe im Juli unerwartet kräftig ein. Auch in Europa stottert der Konjunkturmotor, wie das stagnierende BIP in der Eurozone im zweiten Quartal und der kräftige Rückgang des Stimmungsbarometers des ZEWInstituts für Deutschland im August nahelegen. Offensichtlich hinterlassen die geopolitischen Unsicherheiten und die Sanktionen gegen Russland hier erste sichtbare Bremsspuren.
Selbst aus den USA kamen zuletzt gemischte Signale. Positiven Daten zur Unternehmensstimmung und zur Industrieproduktion standen schwächere Daten zum Arbeitsmarkt und zum Einzelhandel gegenüber. Alles in allem scheint sich die globale Konjunktur und damit auch die Nachfrage nach Öl in den Sommermonaten schwächer zu entwickeln als bislang erwartet. Das legen auch aktuelle Daten nahe.
In China lag die implizite Ölnachfrage im Juli Reutersangaben zufolge 2% niedriger als im Vorjahr. Laut Internationaler Energieagentur wies die globale Ölnachfrage im zweiten Quartal den geringsten Anstieg seit mehr als zwei Jahren auf, wofür insbesondere Europa und Nordamerika mit deutlichen Rückgängen verantwortlich zeichneten.