Industriemetalle: Ein Blick in die Lager (Teil 2)

Ein weiterer Vorteil (oder Nachteil) einer Einlagerung in den LME Lagerhäusern ist das Sichtbarwerden der Lagerbestände für alle Marktteilnehmer, weil diese direkt und unmittelbar an den Markt berichtet werden. Da man dadurch einen Aufschluss über die Verfügbarkeit der Ware und somit einen Marktüberschuss bzw. - defizit gibt, kann man die Preise beeinflussen. Da für eine Registrierung bei der LME eine physische Einlagerung ins LME-Lagerhaus ausreicht, kann man sogar das Material, das lediglich außerhalb des Lagerhauses gelagert wird, relativ unproblematisch zur LME-Ware erklären und umgekehrt (siehe Bild).
Wir vermuten, dass hinter den signifikanten Bewegungen der LMELagerbestandsdaten nicht immer reines Angebot und Nachfrage stecken, sondern oft auch das Interesse, durch das Verstecken bzw. ein rasches Einliefern von Beständen den LMEPreis beeinflussen zu wollen. Weil man oft die LME-Daten als zuverlässig und aussagekräftig ansieht, könnte man damit durchaus Erfolg haben. So vermuten wir z.B. dass hinter dem massiven Lagerabbau der LME-Lagerbestände bei Nickel im Jahr 2006 durchaus solche Interessen verborgen gewesen sein könnten (Grafik 4).
Infolgedessen ist der Nickelpreis auf über 50.000 USD je Tonne gestiegen bzw. hat sich binnen einer Jahresfrist mehr als verdreifacht. An der Spitze kontrollierte ein einziger Marktteilnehmer über 90% aller LME-Warrants, was die LME auf Anraten der Finanzaufsichtsbehörde FSA dazu veranlasste, die Leiheregeln abzuändern. Ein Kontrahent, der über 90% der Warrants verfügte, musste einen großen Teil seiner Lagerbestände gratis ausleihen, wobei dies zu einem raschen Abbau der Marktkonzentration führte. Letztlich kam es zu einem massiven Preisverfall bei Nickel und einem fulminanten Anstieg der sichtbaren LME-Lagerbestände, was für unsere These spricht, dass der Rückgang davor auch spekulativer Natur war.
Sprunghafter Anstieg der LME-Lagerbestände von Aluminium legt Verdacht auf “ältere“ Überschüsse nah
Was bedeuten diese Möglichkeiten für die jüngste Entwicklung der LME-Lagerbestände für Industriemetalle? Nehmen wir z.B. Aluminium. Wir bezweifeln, dass der plötzliche Anstieg der LME-Lagerbestände bei Aluminium um über 1,5 Mio. Tonnen bzw. fast 150% seit Anfang September ausschließlich mit dem Wegbrechen der Nachfrage und einem massiven gegenwärtigen Überangebot zu erklären ist. Skeptisch macht uns zum einen die Tatsache, dass gemäß der Daten des World Bureau of Metal Statistics in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres lediglich ein Überschuss von 770 Tsd. Tonnen Aluminium zu verbuchen war.
Zweifel weckt aber auch die Tatsache, dass es speziell seit September, nachdem sich die Finanzkrise mit dem Zusammanbruch der Investmentbank Lehman Brothers verschärfte, einzelne Tage mit extremen Zuflüssen gab (Grafik 5). In diesem Fall ist eher davon auszugehen, dass bereits vorhandene Lager, die außerhalb des LME-Systems gehalten wurden, sichtbar gemacht wurden, um von der hohen Liquidität der LME zu profitieren und die Bestände so besser zu Finanzierungszwecken einsetzen zu können. Durch die gestiegene Wahrnehmung des Kontrahentenrisikos dürften die Einlagerungen im LME-Lagerhaussystem zusätzlich begünstigt worden sein. Natürlich darf und kann uns C.Steinweg darüber keine Auskunft geben. Sie bestätigten uns lediglich, dass auch bei ihnen der Bedarf an Lagerfläche für die LME stark zugenommen hat und man im Moment neue Lager für die LME anmelden würde. Tatsächlich wurden allein im Dezember sieben neue Lagerhäuser im LME-System zertifiziert.

Aluminium:
Der Aluminiumpreis ist im Januar auf 1316 USD je Tonne gefallen, den niedrigsten Stand seit sechs Jahren. Auslöser war der kräftige Anstieg der LMELagerbestände auf mehr als 2,7 Mio. Tonnen, womit sie bereits das bisherige Rekordhoch von Juni 1994 übertroffen haben. Seit der Verschärfung der Finanzkrise Mitte September haben sich die LME-Lagerbestände mehr als verdoppelt. Zwar haben die Aluminiumproduzenten die Produktionskapazitäten deutlich zurückgefahren. Im Dezember lag die globale Aluminiumproduktion 7% niedriger als im Vorjahr. In China, welches ein Drittel der weltweiten Aluminiumproduktion stellt, sank die Produktion im Dezember nach Angaben des Internationalen Aluminiuminstituts (IAI) sogar um 17,5% gegenüber dem Vorjahr.
Die bisherigen Produktionskürzungen waren offensichtlich noch nicht ausreichend, um den Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dies gilt vor allem für die Produktion außerhalb Chinas, welche im Dezember nach IAI-Angaben lediglich 1,7% niedriger lag als im Vorjahr. Gleichzeitig steht auch die Nachfrage aufgrund der Rezession in den Industrieländern, des Wachstumseinbruchs in den Schwellenländern und der Krise in der wichtigsten Abnehmerbranche, der Automobilindustrie, unter immensen Druck.
Da die Aluminiumpreise bereits unter die Produktionskosten gefallen sind, dürfte das Abwärtspotenzial begrenzt sein. Kurzfristig besteht aber auch wenig Erholungspotenzial. Denn der starke Rückgang der Energiepreise führt auch zu einer Entlastung bei den Produktionskosten (Grafik 6). Damit sinkt auch der Druck auf die Produzenten, weitere Produktionskapazitäten stillzulegen. Entsprechend könnte die Reaktion auf der Angebotsseite weniger stark ausfallen als notwendig, um am Markt ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen und den Anstieg der Lagerbestände zu stoppen. Wir erwarten einen Aluminiumpreis von 1400 USD je Tonne in diesem Quartal. Dank einer leichten Erholung der Nachfrage im zweiten Halbjahr und aufgrund der von uns erwarteten Verteuerung der Energie dürfte der Preis bis Ende des Jahres auf 1900 USD steigen. Die hohen Lagerbestände dürften dem Anstieg allerdings Grenzen setzen.