Libyen und Cushing sorgen für Konvergenz der Ölpreise


Häufig wird damit argumentiert, dass die Rohölvorräte an der US-Golfküste wieder sinken werden, sobald die Raffinerien ihre Wartungsarbeiten beendet haben und ihre Auslastung wieder hochfahren. Allerdings haben die Raffinerien ihre Auslastung wie bereits erwähnt in diesem Jahr nicht so stark reduziert.
Folglich dürfte der Anstieg der Auslastung ebenfalls geringer ausfallen. Zudem dürfte der Zustrom von Rohöl aus dem Mittleren Westen auch in den kommenden Monaten anhalten. In der Folge dürften die Rohöllagerbestände an der USGolfküste kaum nennenswert sinken. Die Verlagerung der Rohöllagerbestände von Cushing an die US-Golfküste hat bereits zu Preisreaktionen auf dem US-Ölmarkt geführt. Der Preis für Leichtöl an der US-Golfküste, Light Louisiana Sweet (LLS) hat sich aufgrund des kräftigen Lageraufbaus im Golfküstendistrikt dem WTI-Preis angeglichen.
Betrug die Preisdifferenz zwischen LLS und WTI im Januar zwischenzeitlich mehr als 12 USD je Barrel, so ist sie mittlerweile auf weniger als 3 USD geschrumpft (Grafik 4). Das deckt kaum noch die Kosten für den Transport des Rohöls über die Pipelines von Cushing an die Golfküste. Dass der Abfluss von Rohöl aus Cushing bis zuletzt dennoch anhielt, dürfte nicht auf Arbitragegeschäfte, sondern auf längerfristige Liefer- bzw. Abnahmeverpflichtungen zurückzuführen sein. Der Rückgang der Cushing-Vorräte kann sich daher durchaus noch fortsetzen.
Der WTI-Preis dürfte aufgrund der niedrigen Ölvorräte in Cushing unterstützt bleiben, selbst wenn der Brentölpreis durch die Rückkehr des Ölangebotes aus Libyen nochmals unter Druck geraten sollte. Die WTI-Terminkurve ist durchweg fallend, also in Backwardation, was auf ein knapperes Angebot hindeutet. Zudem hat sich die Preisdifferenz zwischen den kurzfristigen WTI-Terminkontrakten und den später fällig werdenden WTI-Terminkontrakten seit Jahresbeginn merklich vergrößert. Die Backwardation bei WTI ist inzwischen wesentlich stärker ausgeprägt als bei Brent.
Bei WTI ist der nächstfällige Terminkontrakt 9 USD je Barrel teurer als der in 12 Monaten auslaufende Terminkontrakt. Bei Brent liegt der entsprechende Preisaufschlag lediglich bei 4 USD je Barrel (Grafik 5). Dies macht WTI für Finanzanleger interessant, was sich in deutlich höheren spekulativen Netto-Long-Positionen bei WTI niederschlägt und den WTI-Preis ebenfalls unterstützt. Wir erwarten daher, dass sich der WTIPreis in den kommenden Monaten nahe der Marke von 100 USD je Barrel halten wird.
Der Brentölpreis hat sich in den vergangenen Tagen bereits wieder spürbar erholen können, da sich abzeichnet, dass die Rückkehr des Ölangebots aus Libyen keineswegs reibungslos erfolgen wird. Die deutliche Verflachung der Brent-Terminkurve im vorderen Laufzeitenbereich zeigt dennoch, dass mit einer Entspannung der Versorgungslage gerechnet wird.
Die Preisdifferenz zwischen den beiden nächstfälligen Brent-Terminkontrakten liegt inzwischen fast bei null, was angesichts anhaltender Angebotsrisiken in Libyen, eines im kommenden Monat deutlich fallenden Nordseeangebots und des Risikos von Ölsanktionen gegen Russland bei einer weiteren Eskalation der Krise in der Ukraine nicht gerechtfertigt ist.
Der Brentpreis dürfte daher kurzfristig nochmals in Richtung 110 USD je Barrel steigen. Erst bei einer Rückkehr des Ölangebots aus Libyen und der Lockerung der Ölsanktionen gegen den Iran ist mit einem dauerhaften Druck auf den Brentpreis zu rechnen. Die dann zu erwartende Kürzung der Ölproduktion durch Saudi-Arabien dürfte einen stärkeren Preisrückgang allerdings verhindern. Wir rechnen über die Sommermonate mit einem Brentölpreis von 105 USD je Barrel und mit einem Preisniveau von 107 USD je Barrel am Jahresende.

Auf einen Blick



