Energie: Im Bann der Politik: Bernanke, Obama, Rouhani und Chamenei bestimmen die Preise


Im ersten Halbjahr kamen die Ölpreise global unter Druck. Nach einem kurzen Anstieg in den ersten Handelswochen setzten sich die Fundamentals durch. Viel Angebot, vor allem in den USA dank neuer Fördertechnologien, trifft auf eine nur moderat wachsende Nachfrage. Zuletzt erhielten die Preise einen Dämpfer, nachdem die Rede von Notenbankchef Ben Bernanke entsprechend hawkish interpretiert wurde. Trotz dieser FedEx-Überraschung haben sich die Preise für die Sorte Brent über der 100-Dollar-Marke stabilisiert.

China: Ölnachfrage im "Plan"
Besonders im Fokus steht die Ölnachfrage in China, dem zweitgrößten Ölimporteur weltweit. Hier haben sich die Konjunkturerwartungen in den letzten Monaten eingetrübt. Ging man im Bloomberg-Konsens zu Jahresbeginn von einem realen BIP-Wachstum von 8,1% für das laufende Jahr aus, wird die Lage im Reich der Mitte derzeit deutlich vorsichtiger gesehen. Am Ölmarkt lässt sich die abnehmende Dynamik noch nicht ablesen. Zwar veröffentlicht China keine offiziellen Daten zum Ölverbrauch.
Anhand der Angaben der Raffinerien sowie der Außenhandelsdaten der Ölprodukte lässt sich jedoch ein "apparent oil demand" errechnen. Dieser hat zwischen Januar und Mai um 3,9% zugelegt. Das von uns erwartete jährliche Wachstum der chinesischen Ölnachfrage von 400.000 Barrel erscheint daher weiterhin möglich. Hierfür ist jedoch im zweiten Halbjahr eine deutliche Steigerung nötig, schließlich legte im Vorjahr die Nachfrage bereits sehr dynamisch zu.

Geopolitische Risiken bleiben
Unter fundamentalen Aspekten liefert einzig die saisonale Komponente ein Argument für steigende Rohölpreise. Daneben haben geopolitische Verwerfungen stets das Potenzial für Angebotsstörungen. So auch vorige Woche, kurz bevor Ben Bernanke die Preise in den Keller schickte: Ein Übergreifen des Krieges in Syrien auf das Nachbarland Libanon schürte Sorgen um die Ölversorgung aus Nahost. Die Ölproduktion in Syrien ist bereits nahezu zum Erliegen gekommen, lediglich 20.000 Barrel pro Tag werden dort derzeit gefördert. Diese dienen zur Versorgung der Oppositionellen, die im Norden Syriens die Produktion kontrollieren.
Die Sorge um Ansteckungsgefahren ist indes nicht unbegründet, schließlich ist die Liste der involvierten Parteien lang: Sie reicht von der EU, die die Rebellen durch die Aufhebung des Ölembargos indirekt unterstützt, über Saudi-Arabien, Qatar, Russland, Iran und möglicherweise bald auch die USA, wo der Druck seit dem Verdacht des Chemiewaffeneinsatzes durch das Assad-Regime zugenommen hat.
Für den Ölmarkt ist das größte politische Risiko dennoch im Atomkonflikt mit dem Iran zu sehen. Offenbar wurde die jüngste Wahl Rouhanis zum Präsidenten als Entspannungssignal gesehen, da er als reformistisch gilt und Hoffnungen für eine diplomatische Lösung schürte. Allerdings bleibt der religiöse Führer Chamenei der finale Entscheider, und dessen radikale Haltung dürfte das Atomprogramm unverändert vorantreiben. Zudem könnte sich Rouhani als Pragmatiker entpuppen, der zwar vordergründig Gesprächsbereitschaft signalisiert, im Hintergrund jedoch weiter an der Bombe baut.
Alles in Allem scheinen die geopolitischen Risiken im Ölpreis derzeit weitgehend ausgepreist, sind jedoch keineswegs vom Tisch und könnten im zweiten Halbjahr wieder auf die Agenda kommen. Wir halten daher zunächst trotz der weiter eingetrübten fundamentalen Rahmendaten (vor allem in China) aus saisonalen und geopolitischen Gründen weiter an unserer Jahresendprognose von 110 US-Dollar fest.
© Frank Klumpp, CFA
Commodity Research
Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
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