Erdgas: Abwärts immer, aufwärts nimmer?


Erdrückendes Angebot
Ein derart ungebremster “freier Fall“, wie wir ihn bei Erdgas sehen, erfolgt nur in den allerseltensten Fällen grundlos. Bei genauer Betrachtung der fundamentalen Situation kann man daher feststellen, dass das Angebot an dem “flüchtigen Energieträger“ in der Tat erdrückend ist. Zwischen 2006 und 2008 steigen die amerikanischen Erdgas-Vorräte laut Aussage des Potential Gas Commitees um stattliche 35 Prozent von 1.532 auf 2.074 Billionen Kubikfuß. Und im aktuellen Jahr hat sich der Trend fortgesetzt und sogar noch verstärkt. Am 17 Juli beliefen sich die amerikanischen Erdgas-Lagerbestände auf sage und schreibe 2.952 Billionen Kubikfuß. Gegenüber dem Vorjahreswert von 2.384 Billionen Kubikfuß bedeutet das ein Plus von 24 Prozent.
Bei derartigen Zuwachsraten verwundert es nicht, dass die Vorräte sich gegenwärtig 18 Prozent über ihrem fünfjährigen Durchschnitt bewegen. Oder anders ausgedrückt: An Erdgas herrscht derzeit alles andere als ein Mangel. Genau genommen gibt es fast keinen anderen Rohstoff, bei dem die Fundamentals auch nur ansatzweise so bärisch sind wie bei dem fossilen Energie-Lieferanten. In diesem Zusammenhang muss zwar bedacht werden, dass die Notierungen teilweise bereits unter den Produktionskosten liegen, was zu dem Schluss verleitet, dass der Output erkennbar sinken könnte. Allerdings sorgen moderne Fördertechniken dafür, dass die Kosten zurückgehen. Von daher erwarten wir eher keinen nennenswerten Rückgang der Förderung.
Neufunde deutlich über Verbrauch
Ein weiterer negativer Faktor für den Erdgaspreis ist der Umstand, dass die Neuentdeckungen in den USA (inklusive der Importe) im laufenden Jahr zwar um zwei Prozent sinken sollen, mit 63,1 Milliarden Kubikfuß täglich aber nach wie vor deutlich über dem Verbrauch von 62,1 Milliarden Kubikfuß liegen. So lange dies der Fall ist, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Lagerbestände weiter zunehmen. Sollte sich die amerikanische Konjunktur kurzfristig erholen, ist zwar nicht auszuschließen, dass der Bedarf an Erdgas zunimmt. Auf der anderen Seite glauben wir nicht, dass die Nachfrage so stark wächst, dass sie über das Angebot steigt. Alles in allem muss demzufolge konstatiert werden, dass rein unter Angebot/Nachfrage-Gesichtspunkten zur Stunde nicht allzu viel für nachhaltig steigende Erdgaspreise spricht.
Hoffen auf Hurrikan-Saison
Etwas anders stellt sich die Lage dar, wenn man sich den saisonalen Kursverlauf des “flüchtigen Energieträgers“ ansieht. Zwischen Mitte Juli und Ende Oktober ziehen die Notierungen für gewöhnlich an, was primär an der Hurrikan-Saison und damit häufig einhergehenden Förderausfällen im Gold von Mexiko liegt. Darüber hinaus wird Erdgas in den USA hautsächlich zur Stromerzeugung genutzt. An elektrischer Energie besteht während der Sommermonate ein erhöhter Bedarf, weil dann die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen. Wer mithin gerne Saisonalitäten tradet und an eine überdurchschnittlich intensive Tropensturm-Saison glaubt, kann sich Long-Engagements in Erdgas zumindest überlegen.
Technische Trendwende noch nicht in Sicht
Allerdings sollten diejenigen sich im Klaren darüber sein, dass man damit gegen den primären Trend handelt. Immerhin ist der Abwärtstrend seit Sommer vergangenen Jahres unverändert intakt. Die wichtige 18-Tage-Linie konnte der August-Future nicht verteidigen und auch die meisten Indikatoren sprechen nicht für Kursanstiege. So generiert die Stochastik bereits ein unverkennbares Verkaufssignal und der MACD steht unmittelbar davor, das ebenfalls zu machen.
Des Weiteren bewegt sich auch der RSI mit aktuell 40 im bärischen Bereich. Wir wollen zwar nicht gänzlich ausschließen, dass der Markt in der Nähe der zentralen Unterstützung bei 3,20 US-Dollar einen Boden ausbilden kann. Allzu hohe Wetten würden wir darauf aber nicht eingehen. Insgesamt spricht aus technischer Sicht damit wenig für eine unmittelbar bevorstehende Trendwende nach oben, so dass wir wenigstens derzeit von Long-Positionen in Erdgas ungeachtet des augenscheinlich sehr günstigen Kursniveaus eher abraten müssen. Sollte die angesprochene Bodenbildung jedoch erfolgen, würde sich die Bewertung eventuell ändern. Aber so weit sind wir eben noch nicht.
© Marc Nitzsche
Chefredakteur Rohstoff-Trader
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter finden sie auf der Website: www.Rohstoff-Trader.de