Erdgas: Wie geht’s nach der Rallye weiter?


US-Lagerbestände auf dem Rückzug
Immerhin befinden sich die US-Lagerbestände seit Jahresbeginn kontinuierlich auf dem Rückzug: So lagen die amerikanischen Vorräte Ende April nur noch bei 1,371 Billionen Kubikfuß. Gegenüber der Vorwoche bedeutet dies zwar einen Anstieg um 86 Milliarden Einheiten, der recht deutlich über dem erwarteten Plus von 71 Milliarden Kubikfuß lag und die Preise somit unter leichten Abgabedruck setzte. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Lagerbestände aktuell 255 Einheiten oder 16 Prozent unter dem Niveau des Vergleichszeitraums des Vorjahres liegen. Mittlerweile notieren die Bestände sogar leicht unter ihrem fünfjährigen Durchschnitt. Sicherlich muss eingestanden werden, dass ein Großteil dieser tendenziell "bullischen" Entwicklung in den derzeitigen Kursen bereits eingepreist ist. Sollten die Vorräte in den nächsten Monaten jedoch weiter nachgeben, was wir für recht wahrscheinlich halten, dürfte sich Erdgas weiter verteuern.
Zunehmender Verbrauch
Unser Optimismus in Bezug auf einen weiteren Rückgang der US-Lagerbestände basiert in erster Linie auf der Erwartung eines höheren Verbrauchs. Der massive Anstieg der Rohölpreise bringt die amerikanischen Stromerzeuger zunehmend in die Bredouille und viele von ihnen schwenken nunmehr auf Erdgas als Ausgangsrohstoff um. Eindrucksvoll belegt wird diese Tatsache durch den erkennbaren Anstieg des Absatzes von Gasturbinen. Gleichzeitig naht langsam aber sicher die verbrauchsintensive Sommerzeit. Auch wenn der lange und harte Winter in weiten Teilen der USA für den jüngsten Schwund der Erdgas-Vorräte verantwortlich war, ist es eine unumstößliche Wahrheit, dass der Sommer die eigentlich verbrauchsintensive Zeit ist. Wie bereits angedeutet findet Erdgas in den Vereinigten Staaten primär bei der Stromerzeugung Verwendung und der Verbrauch an elektrischer Energie ist erfahrungsgemäß in den heißen Sommermonaten am höchsten, weil dann quasi Tag und Nacht die Strom fressenden Klimaanlagen laufen. Ganz so weit ist es momentan zwar noch nicht, so dass dem Markt kurzfristig ein wenig die Long-Fantasie fehlt. Auf Sicht von ein bis zwei Monaten allerdings muss aus den genannten Gründen mit einem signifikanten Anstieg der Erdgas-Nachfrage gerechnet werden.
Drohende Produktionsausfälle
Ein weiterer „bullischer“ Faktor ist die am 1. Juni offiziell beginnende "Hurrikan-Saison". Während dieser Zeit kommt es nicht selten zu erheblichen Förderausfällen an den Anlagen im Golf von Mexiko. In den vergangenen beiden Jahren kam es entgegen der Vorhersagen der Meteorologen im Hinblick auf Anzahl und Intensität lediglich zu unterdurchschnittlichen Stürmen. Entsprechend verhalten sind die Prognosen für 2008. Genau hierin besteht aber die Gefahr bzw. die Chance für "Erdgas-Haussiers". Denn wenn kaum jemand mit starken Hurrikans rechnet, ist für den Fall, dass diese dann doch kommen die Überraschung umso größer, was zu panikartigen Erdgas-Käufen führen dürfte. Wirklich zum Tragen wird dieser Faktor wohl erst im Spätsommer bzw. Herbst kommen. Statistisch ist es nämlich so, dass die meisten Wirbelstürme in dieser Zeit passieren. Zu Beginn und am Ende der Hurrikan-Saison ist die Wahrscheinlichkeit für "Monsterstürme" dagegen eher gering.
Kurzfristige Rücksetzer dennoch möglich
Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich die fundamentalen Aussichten im Hinblick auf steigende Erdgas-Notierungen deutlich verbessert haben, weil die Zeiten der erdrückend hohen Lagerbestände vorerst vorbei sind. Dessen ungeachtet muss kurzfristig mit weiteren Rücksetzern gerechnet werden. Denn bis die wirklich Preis treibenden Umstände (Hitze und Hurrikans) zum Tragen kommen, dauert es noch ein wenig.
Anzeichen technischer Schwäche
Charttechnisch wirkt Erdgas vordergründig betrachte recht stark. Ein RSI und knapp 62 (über 50) sowie Notierungen oberhalb aller wichtigen gleitenden Durchschnitte legen die Vermutung nahe, dass die "Bullen" alles fest im Griff haben. Bei genauerem Hinsehen jedoch ist dem nicht so: Sowohl die Stochastik als auch der MACD könnten in Kürze ein Verkaufssignal generieren. Bei letzterem Indikator zeigen sich darüber hinaus bereits "bärishe" Divergenzen, weil sich das Barometer trotz des neuen Hochs im April unterhalb seines Standes von Mitte März bewegt. Zudem liegt das Mai-Hoch unter dem April-Hoch, was die Vermutung eines beginnenden korrigierenden Abwärtstrends nährt. Zumindest einen Test des starken Supports bei 10,50 US-Dollar können wir uns in den kommenden Tagen problemlos vorstellen. Ausgehend von den aktuellen Notierungen des Juni-Futures im Bereich von knapp über elf US-Dollar ergibt sich somit ein Abwärtspotenzial von gut fünf Prozent.
© Marc Nitzsche
Chefredakteur Rohstoff-Trader
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter finden sie auf der Website: www.Rohstoff-Trader.de