Überangebot dürfte Dieselpreise belasten


Wann entwickelt der Ölmarkt wieder ein echtes Eigenleben? Trotz einiger ölmarktspezifischer Einflussfaktoren wie der Ölpest im Golf von Mexiko und der drohenden starken Hurrikansaison in den USA werden die großen Tendenzen weiterhin vor allem vom Risikoappetit der Finanzmarktteilnehmer bestimmt (Grafik 1). Dieser schlägt sich in der Entwicklung des spekulativen Interesses nieder: so ging der Ölpreisverfall in der ersten Maihälfte einher mit einer Halbierung der Netto-Long-Positionen der spekulativen Finanzanleger. Der jüngste Ölpreisanstieg wurde entsprechend begleitet von einer Verdopplung der Netto-Long-Positionen in den vergangenen drei Wochen. Dies geschah ungeachtet zuletzt schwächerer Konjunkturdaten und steigender Lagerbestände in den USA.
Dass der Ölpreis zuletzt wieder der Marke von 80 USD je Barrel überwinden konnte, werten wir daher als ein Zeichen der Stärke, die wir angesichts des fundamentalen Umfeldes als nicht nachhaltig erachten. Von einer drohenden Angebotsverknappung kann weiterhin keine Rede sein. Die Reichweite der industriellen OECD-Lagerbestände ist im Mai laut Internationaler Energieagentur (IEA) auf 61 Tage gestiegen und liegt damit auf Vorjahresniveau bzw. am oberen Rand des Fünf-Jahreskorridors.
Auch der Blick nach vorne rechtfertigt unseres Erachtens noch keine steigende Preise: die IEA hat im Juli ihre Einschätzung für 2011 vorgelegt. Demnach wird die globale Ölnachfrage im kommenden Jahr zwar um 1,3 Mio. Barrel pro Tag steigen, aber bis Mitte des Jahres kann diese Zunahme fast ausschließlich durch Produktionssteigerungen außerhalb der OPEC abgedeckt werden. Vor allem dank einer stärkeren Förderung in Brasilien und Aserbaidschan, aber auch aufgrund eines deutlich steigenden Angebots an Biokraftstoffen kann die schrumpfende Förderung in Mexiko und in der Nordsee überkompensiert werden. Damit bleiben die freien Kapazitäten der OPEC hoch und sorgen für einen hinreichend hohen Sicherheitspuffer im Falle von Angebotsausfällen. Sorgen bereitet zudem die anhaltend ungleichmäßige Verteilung des Nachfragewachstums. Dieses wird ausschließlich getrieben durch den zunehmenden Ölbedarf außerhalb der OECD.


Ob und wann die Ölpreise auf das fundamental gerechtfertigte Niveau von 70 USD zurückfallen werden, wird vor allem vom Verhalten der Finanzanleger bestimmt. Ein Auslöser für den von uns erwarteten Preisrückgang könnte die zunehmende Angst vor einem erneuten Abgleiten der US-Konjunktur sein. Aber auch die sich abzeichnende Verlangsamung der chinesischen Wirtschaftsdynamik könnte für Ernüchterung sorgen. Schließlich war Chinas Öldurst bis zuletzt die treibende Kraft für die globale Ölnachfrage. Ein weiterer potenzieller Belastungsfaktor ist die Ausweitung des OPEC-Angebots. Im Juli produzierte die OPEC 29,24 Mio. Barrel Rohöl pro Tag. Das sind 400 Tsd. Barrel pro Tag mehr als im zweiten Halbjahr benötigt wird. Kurzzeitige Preisanstiege über 85 USD sind dennoch möglich, etwa in Folge von Wirbelstürmen im Golf von Mexiko, welche zu vorübergehenden Produktionsausfällen führen können.
Diesel: Angebotsausweitung bremst Erholung des Crack Spreads
Der sogenannte Crack Spread am Dieselmarkt, also die Spanne zwischen dem Diesel- und dem Rohölpreis, konnte sich bis Mitte Juni deutlich erholen, gab aber in den letzten Wochen wieder nach. Impulse für die Erholung gab zunächst die sich belebende Nachfrage nach Mitteldestillaten (im folgenden ohne Flugbenzin). Vor allem in den USA fiel der Aufschwung kräftig aus, da die Nachfrage hier zyklischer ist als in Europa (Grafik 2). Zwar ist sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks das Transportwesen der wichtigste Nachfragesektor. Da sich die Dieselnachfrage in den USA auf den Lkw-Sektor beschränkt, schwankt diese stark mit dem konjunkturellen Auf und Ab, welches den logistischen Bedarf einer Wirtschaft bestimmt.
Auch in Europa haben die Tendenzen gedreht, allerdings ist die Dynamik der Erholung schwächer. Die europäische Nachfrage nach Mitteldestillaten ist mit rund 6 Mio. Barrel pro Tag 60% höher als die in den USA. Dies ist nicht zuletzt auf die starke “Verdieselung“ des Pkw-Bestands zurückzuführen. Dieselfahrzeuge machen mittlerweile ein Drittel des gesamten europäischen Pkw-Bestands aus. Die Tendenz steigt weiter, denn noch immer ist knapp die Hälfte der neuzugelassenen Pkw dieselbetrieben. Im Zuge dessen ist die Dieselnachfrage in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Sie kompensierte den tendenziell schrumpfenden Bedarf zu Heizölzwecken.