Keine Verknappung am Ölmarkt


Alles in allem glauben wir, dass sich die im Preis implizierten Erwartungen einer spürbaren Einengung der Angebots-Nachfrage-Relation bereits zu stark von den tatsächlichen Fundamentaldaten entfernt haben. Die Belebung der Nachfrage dürfte aufgrund der Stagnation in den Industrieländern nicht stark genug ausfallen, um das derzeitige Preisniveau nachträglich zu untermauern. Die freien Förderkapazitäten der OPEC liegen trotz der erwähnten Produktionsausweitungen noch immer bei rund 6 Mio. Barrel pro Tag (Grafik 3, S. 2). Selbst bei einem stärkeren Anstieg der Nachfrage als von IEA und EIA unterstellt, dürfte es daher nicht zu einem Angebotsengpass kommen.
Die Reichweite der Lagerbestände in den OECD-Ländern liegt zudem auf einem Niveau, welches in der Vergangenheit mit deutlich niedrigeren Ölpreisen einherging, zumal dieser Wert im zweiten Quartal eher wieder steigen sollte. Berücksichtigt man die Bestände, die zusätzlich in Tankern auf See gelagert werden, so ist die Reichweite noch höher. Wenn klar wird, dass die hochgesteckten Erwartungen enttäuscht werden, dürften die Finanzanleger umdenken. Ein Abbau der hohen spekulativen Netto-Long-Positionen dürfte den Ölpreis stark unter Druck setzen. Wir rechnen mit einem Rückgang des Ölpreises auf 65 USD je Barrel bis zum Sommer und danach nur mit einer leichten Erholung auf 70 USD bis zum Jahresende. Ein Preisniveau von 80 USD dürfte erst wieder Ende 2011 erreicht werden.
Uneinheitliches Bild bei den Mineralölprodukten
Die wichtigste Preisdeterminante für Mineralölprodukte ist zweifellos der Rohölpreis; deshalb spiegelt unsere Preisprognose für die Ölprodukte im Groben das erwartete Verlaufsprofil für die Preise am Rohölmarkt wider. Das heißt konkret, bis Spätsommer erwarten wir fallende Preise, bevor sie sich danach wieder erholen sollten. Wie eng der Verbund von Produkt- und Rohölpreisen ist, hängt von der Entwicklung der Margen ab, denn in gewissen Grenzen haben die Märkte für Mineralölprodukte ein Eigenleben.
Dies zeigt sich derzeit am Markt für Destillate, der stark gespalten ist: Während die Margen am Benzinmarkt - gemessen am Preisabstand zwischen Benzin und Rohöl - seit Jahresbeginn kräftig gestiegen sind und aktuell deutlich über dem Fünfjahresdurchschnitt liegen, konnten die Gewinnspannen am Dieselmarkt nur leicht ausgeweitet werden und liegen noch immer deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt. Auch wenn durch Quersubventionierung in den Raffinerien eine solche Situation grundsätzlich für längere Zeit Bestand haben könnte, rechnen wir in den kommenden Monaten mit einer Annäherung der Margen.
Die vergleichweise niedrigen Margen am Dieselmarkt sind das Resultat eines starken Überangebots im vergangenen Jahr. Denn eine im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise eingebrochene Dieselnachfrage traf auf eine wegen zuvor hoher Margen kräftig ausgeweitete Produktion. China, das nach der Umstellung des Preismechanismus Anfang 2009 den Raffinerien mehr oder weniger feste Margen garantierte, und die USA wurden zu Netto-Exporteuren. Der Überschuss am Markt hatte zu einem deutlichen Lageraufbau geführt. Doch nun scheint sich die Lage zu drehen: die auf hoher See gelagerten Bestände an Mitteldestillaten sind in den letzten Wochen kontinuierlich gefallen, sie belaufen sich aktuell auf ungefähr 70 Mio. Barrel, verglichen mit 90 Mio. Barrel im Januar. Dies entspricht einem Rückgang um gut 300 Tsd. Barrel pro Tag.
