Rohstoff-Welt.de - Die ganze Welt der Rohstoffe

Emissionshandel kommt nicht vom Fleck

27.03.2017  |  Eugen Weinberg (Commerzbank)

Im Emissionshandel wurde das Votum im EU-Umweltrat zu den Strukturreformen der vierten Handelsperiode mit einem Preissprung quittiert, der aber schnell verpuffte. Mit der angestrebten Löschung von Zertifikaten und der Verdoppelung der Überführungsrate in die Marktstabilitätsreserve hat der Rat zwar tatsächlich den Vorstoß zu einer langfristigen Verknappung gemacht, aber gleichzeitig ist der Markt derzeit durch hohe Auktionsvolumina überversorgt.

Das dürften die wohl im letzten Jahr stark gefallenen verifizierten Emissionen unterstreichen, die Anfang April veröffentlicht werden. Alles in allem wird der Emissionshandel wohl die Talsohle durchschritten haben, die Preiserholung dürfte aber nur allmählich Fahrt aufnehmen.

Der Preis im EU Emissionshandel kommt nicht wirklich vom Fleck: Seit nunmehr einem Jahr schwankt der Preis für das Recht zur Emission einer Tonne CO2 überwiegend um 5 Euro. Sämtliche Erholungsversuche sind gescheitert (Grafik 1).

Auch zuletzt konnte er nur kurz von den weiteren Fortschritten bei den Strukturreformen für die vierte Handelsperiode profitieren: dem Votum des EU Umweltrats Ende Februar folgte zwar ein Preissprung um über 10%, doch die Gewinne wurden schnell wieder abgegeben. Zweifellos sind die Reformen nicht in trockenen Tüchern und nun beginnt erst der Trilog zwischen EUParlament, Rat und Komission.

Aber dennoch stellt sich die Frage, ob die nun angestrebten Reformen für die vierte Handelsperiode tatsächlich so zahnlos sind, wie es das schnelle Verpuffen des Preiseffektes nahe legt. Wir schauen genauer hin und erklären, warum der Preis trotz eines sich unseres Erachtens langfristg verknappenden Marktes derzeit auf der Stelle tritt.

Das erste Schlüsselelement der Strukurreformen ist die Reduzierung der jährlichen Obergrenze ausgegebener Zertifikate um 2,2% p.a. (Linearer Reduktionsfaktor (LRF)). Damit sinkt die Obergrenze zwar schneller als bislang (1,74% p.a. in der dritten Handelsperiode), aber weniger als zwischenzeitlich angestrebt (2,4% p.a., wobei diese Rate noch immer für die Jahre nach 2024 im Raum steht).

Immerhin um gut 550 Mio. Tonnen, was in etwa dem jährlichen Treibhausgasausstoß Großbritanniens entspricht, wird die Emissionsgrenze im Laufe der vierten Handelsperiode sinken. Damit bleibt die Rate jedoch hinter dem tatsächlichen Rückgang der verifizierten Emissionen im EU ETS der letzten Jahre zurück. Diese sind nämlich laut einer gemeinsamen Studie der Research-Gruppen Sandbag / Agora (inklusive einer Schätzung für 2016) in den letzten vier Jahren im Durchschnitt um 3% gesunken (Grafik 2).

Vor allem die Emissionen im Energiesektor sind stark gefallen. Der Rückgang hier war mit durchschnittlich 4,5% p.a. deutlich höher als der in der Industrie (-0,7% p.a.).

Open in new window

Maßgeblich für den Rückgang der Emissionen ist die Verdrängung der kohlebasierten Stromproduktion. Seit Beginn der zweiten Handelsperiode im Jahr 2008 ist der Emissionsausstoß der Kohlekraftwerke um 25% gesunken. Ein kleiner Teil der Erklärung liegt in der insgesamt rückläufigen Stromproduktion.

Entscheidender ist aber der bereits seit langem zu beobachtende Bedeutungsverlust des Kohlestroms: 1990 wurden noch knapp 40% des europäischen Stroms in Kohlekraftwerken produziert; heute sind es noch rund 25%. Allerdings hatte sich der rückläufige Trend zwischenzeitlich etwas verlangsamt, und das, obwohl zeitgleich der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorangekommen ist (Grafik 3).

Kurzfristig bestimmen nämlich auch die relativen Preisentwicklungen die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke: Kohle hatte sich in Euro vom Frühsommer 2011 bis zum Frühjahr 2015 in Euro um 60% verbilligt, was den Einsatz von Kohle in der Stromindustrie attraktiver gemacht und damit den strukturellen Trend gebremst hat.

Im letzten Jahr drehte der Wind dann aber wieder: Der Kohlepreis hatte sich zwischenzeitlich fast verdoppelt, was im letzten Jahr entsprechend zu einem starken Rückgang von Steinkohlestrom um 17% gegenüber Vorjahr geführt hat; profitieren konnte die gasbasierte Stromerzeugung, die den Schätzungen zufolge um 20% zulegte. Die Stromproduktion aus eneuerbaren Energien ist dagegen nur geringfügig um knapp 2% gegenüber Vorjahr gestiegen.

Mit einem Produktionsanstieg um nur 11 Terawattstunden blieb der Zuwachs deutlich hinter dem Vorjahr zurück (+72 Twh). Das schwache Plus erklärt sich aber nicht mit einem mangelnden Zubau an installierten Kapazitäten, sondern ist primär witterungsbedingt: 2016 hatte vergleichsweise wenig Sonnenstunden und wenig Wind.

Mit dem starken Rückgang der Emissionen ist der strukturelle Überschuss weiter gestiegen: Sandbag/Agora schätzen in ihrer Studie, dass die tatsächlich erfassten Emissionen im EU ETS 2016 11% unter der Obergrenze lagen (Grafik 4). Einschließlich "Backloading" und nicht platzierter Zertifikate würde sich der (strukturelle) Überschuss mittlerweile auf über 3 Mrd. Tonnen CO2 aufsummieren. Auch wenn der dem Markt tatsächlich zur Verfügung stehende Überschuss mit knapp 1,7 Mrd. Zertifikaten deutlich geringer ist, zeigt vor allem der massive strukturelle Überhang, wie groß der Handlungsbedarf bei der langfristigen Obergrenze ist.



Nun mag man argumentieren, dass die Reformen ohnehin erst ab 2021 greifen und somit nicht die akuellen, sondern die langfristigen Tendenzen in der Emissionsentwicklung zählen. Sehen diese anders aus? Entscheidend für die im EU ETS erfassten Emissionen ist auch langfristig der Bedarf der Versorger. Der wiederum hängt von dem Strombedarf und seiner Erzeugungstruktur ab.

Hier spielen zwei EU-Direktiven eine wesentliche Rolle: für den Strombedarf ist vor allem die EU Direktive zur Energieeffizienz relevant, denn sie sieht vor, dass die Energieeffizienz bis zum Jahr 2030 um mindestens 30%, besser aber noch um 35% bis 40% gesteigert werden soll. Nach 2020 sollen die Energieversorger dazu beitragen, jährlich 1,5% Energie zu sparen.

Neben den Einsparungen im Wärmebereich soll die wesentlich verbesserte Kennzeichnungspflicht von energieeffizienten Geräten den Energiebedarf und in Folge dessen den Strombedarf bremsen. Gleichzeitig wird jedoch der Bedarf in anderen Segmenten steigen. Vor allem der Ausbau der Elektromobilität dürfte den fallenden Trend bremsen. Letztlich geht die EU Komission in ihrem Referenzszenario davon aus, dass der Strombedarf im Jahr 2030 rund 5% höher liegen wird als im Jahr 2015.

Open in new window

Open in new window

Für die Erzeugungsstruktur ist die Direktive zu den Erneuerbaren Energien von Relevanz. Denn im Rahmen dessen wurde festgelegt, dass im Jahr 2030 die Hälfte der Stromererzeugung auf erneuerbaren Energien beruhen soll. Den Planungen zufolge wird dies wohl stark zulasten von Kohle gehen. Denn nach einer Auswertung der nationalen Klimapläne der "Energy Transitions Commission", einer industrienahen Expertengruppe, soll in der EU der Anteil der kohlebasierten Stromerzeugung auf 12% fallen und sich damit mehr als halbieren (Grafik 5). In der EU würden folglich Kohlekraftswerkskapazitäten von gut 110 GW stillgelegt. Entsprechend kräftig sollten die Emissionen der Versorger fallen.

Die Obergrenze und ihre jährliche Absenkung um 2,2% p.a. erscheinen uns also nicht nur angesichts des deutlich stärkeren Rückgangs der erfassten Emissionen in der Vergangheit, sondern auch vor dem Hintergrund des mittelfristig (angestrebten) Wandels in der Stromerzeugung als wenig ambitioniert.

Andere Strukturreformen, die der EU-Umweltrat auf den Weg gebracht hat, sollten aber durchaus eine preisstützende Wirkung haben. Denn das Angebot an Emissionszertifikaten, das dem Markt zur Verfügung steht, wird sich merklich verknappen. Hier spielt die Marktstabilitätsreserve (MSR) eine entscheidende Rolle. Bereits lange entschieden ist, dass diese im Jahr 2018 aufgesetzt und ab dem Folgejahr einsatzfähig wird.

Jetzt wurde deren Funktionsweise in zwei wesentlichen Punkten verschärft: zum einen sollen ab dem Jahr 2019 jährlich nicht nur 12%, sondern 24% der überschüssigen Zertifikate in den MSR überführt werden. Die hohe Überführungsrate soll bis einschließlich 2023 gelten, und damit ein Jahr länger als vom EU Parlament vorgeschlagen. Dank der Verdoppelung der Überführungsrate wird das am Markt verfügbare Überangebot schnell reduziert, denn das Volumen in den Versteigerungen wird entsprechend reduziert. Das dürfte dem Preis Auftrieb geben.

Legt man beispielsweise einen kumulierten Überschuss von rund 1,8 Mrd. Zertifikaten zugrunde, so würden neben den Zertifikaten des Backloadings mehr als 400 Mio. Zertifikate zusätzlich in die Marktstabilitätsreserve überführt. Das Auktionsangebot würde 2019 also entsprechend auf knapp 600 Mio. Zertifikate schrumpfen (Grafik 6). Auch die Researchgruppen Sandbag und BNEF gehen davon aus, dass das Auktionsangebot im Jahr 2019/20 in dieser Höhe gekappt wird.

Open in new window

Zum zweiten hat der EU-Umweltrat die Löschung von Zertifikaten in der Marktstabiltätsreserve in Aussicht gestellt. Ab dem Jahr 2024 soll das Volumen der MSR auf das Budget der Versteigerungen im Vorjahr beschränkt werden. Alle überschüssigen Zertifikate sollen entsprechend gelöscht werden. Auch wenn diese Maßnahme erst spät greift, so hat sie doch einen sehr wesentlichen Einfluss auf das langfristige Angebot an Zertifikaten. Berechnungen der Forschungsgruppe Sandbag zufolge könnten auf diesem Weg bis zum Jahr 2029 3 Mrd. Zertifikate gelöscht werden.



Neben den zwei wichtigen Änderungen in Bezug auf die Marktstabilitätsreserve wurde noch ein weiteres Element im EU Umweltrat überraschend verschärft: Er betrifft implizit den Anteil der frei zugeteilten Zertifikate, also der Zertifikate, die den im freien Wettbwerb stehenden Industrienehmen ohne Kosten zugeteilt werden, um so eine Abwanderung der Produktion ins Ausland zu verhindern ("Carbon Leakage").

Grundsätzlich ist dieser Anteil auf 43% beschränkt (die übrigen Zertifikate werden versteigert). Der Rat strebt an, die maximale Abweichung dieses Anteils auf nur zwei Prozent zu begrenzen statt wie vom Parlament vorgeschlagen fünf Prozent zuzulassen.

Alles in allem hat der Rat also durchaus Willen gezeigt, den EU Emissionshandel in der vierten Handelsperiode zu verknappen. Statt der von vielen erwarteten laxeren Regeln haben die Mitgliedsländer für eine Verschärfung gestimmt. Damit ist der Weg nun frei für den Trilog zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission. Spätestens in der ersten Jahreshälfte 2018 soll der Legislativprozess abgeschlossen sein.

Warum aber können sich bei all diesen Strukturreformen die Preise nicht erholen? Wir führen die derzeit gedämpfte Preisentwicklung vor allem auf das hohe Versteigerungsvolumen zurück. Denn mit dem Auslaufen des Backloadings ist in diesem und nächstem Jahr das Auktionsangebot hoch (nochmals Grafik 6).

Demgegenüber steht wie eingangs erwähnt ein wohl im letzten Jahr erneut gefallener Emissionsausstoß der im EU ETs erfassten Anlegen. Allerdings dürften die Anfang April zur Veröffentlichung anstehenden verifizierten Emissionen nicht ganz so stark gefallen sein wie Sandbag / Agora erwarten.

Zwar gehen auch wir davon aus, dass aufgrund der geringen Kohleverstromung die Emissionen der Verbrennungsanlagen 2016 trotz leicht gestiegener Produktion deutlich gefallen sind. Dem dürften aber höhere Emissionen in den erfassten Industriezweigen gegenüber stehen. Denn dank des Baubooms ist die Produktion in der europäischen Zementindustrie um rund 8% gestiegen.

Auch die Aluminiumindustrie verbuchte ein deutliches Plus und die Raffinerien immerhin ein mageres. Damit dürfen diese Industriezweige das Minus in der europäischen Stahlindustrie mehr als wettmachen (Grafik 7). Alles in allem rechnen wir mit einem Minus der verrifzierten Emissionen von 2¼% gegenüber Vorjahr.

Kurzfristig dürfte das hohe Auktionsangebot eine Preiserholung ausbremsen. Die langfristige Verknappung sollte die Preise aber ganz allmählich höher schieben: Ende des Jahres dürfte der Preis im Emissionshandel bei 6 Euro je Tonne notieren.

Open in new window

Auf einen Blick

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window



Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG



Diese Ausarbeitung dient ausschließlich Informationszwecken und stellt weder eine individuelle Anlageempfehlung noch ein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder sonstigen Finanzinstrumenten dar. Sie soll lediglich eine selbständige Anlageentscheidung des Kunden erleichtern und ersetzt nicht eine anleger- und anlagegerechte Beratung. Die in der Ausarbeitung enthaltenen Informationen wurden sorgfältig zusammengestellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Einschätzungen und Bewertungen reflektieren die Meinung des Verfassers im Zeitpunkt der Erstellung der Ausarbeitung und können sich ohne vorherige Ankündigung ändern.