Rohstoffe kompakt Energie: Strom bleibt an der Börse vorerst günstig
30.07.2014 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Der Strompreis für Grundlast im nächsten Kalenderjahr konnte zuletzt aus seinem engen Korridor nach oben ausbrechen. Der momentanen Preiserholung dürfte jedoch schnell die Puste ausgehen. Wir erachten zwar die Wende im EU-Emissionshandel als nachhaltig, aber angesichts des weiterhin hohen Angebots am Kohlemarkt dürfte sich Kohle vorerst nicht weiter verteuern. Zudem werden die Erneuerbaren Energien - wenn auch etwas verlangsamt - weiter ausgebaut, und so richtig rund läuft die deutsche Konjunktur und damit die Stromnachfrage auch nicht. Wir behalten unsere Prognose einer nur moderaten Preissteigerung bei.
In den letzten Tagen haben die längerfristigen Preise an der deutschen Strombörse deutlich angezogen (Grafik 1). Der Phelix-Future für Grundlast im nächstfälligen Kalenderjahr notiert aktuell bei 35,5 Euro je MWh. Damit ist er aus seiner seit fast vier Monate geltenden engen Handelsspanne zwischen 34 und 35 Euro ausgebrochen. Maßgeblich für die Tendenzen am Strommarkt ist das Zusammenspiel der beiden Preisdeterminanten Kohle und CO2, denn sie bestimmen die Kosten der zuletzt bereitgestellten Stromeinheit und damit den Preis (siehe dazu Rohstoffe kompakt "Vorerst kein Spannungswechsel am Strommarkt", veröffentlicht im März 2014). Während sich der CO2-Preis von seinem Rücksetzer Ende März bereits seit einiger Zeit spürbar erholte, standen die Preise am Kohlemarkt bis vor kurzem deutlich unter Druck. Zwischenzeitlich war Kohle mit 72 USD je Tonne so billig wie zuletzt im Frühjahr 2010. Erst in den letzten Tagen ziehen Kohle- und CO2-Preis im Tandem nach oben und geben damit auch dem Strompreis Rückenwind. Wir schauen uns im Folgenden die weiteren Tendenzen am Kohlemarkt und im Emissionshandel an und erklären, warum wir nur begrenztes Preisanstiegspotenzial für den Strompreis sehen.
Kohlepreise in breiter Talsohle
Die europäischen Kohlepreise an der ICE kannten drei Jahre lang nur eine Richtung: Abwärts. Der in unserer empirischen Schätzung für den Grundlastpreis relevante Kohlefuture mit Fälligkeit in 12 Monaten notierte Mitte Juli im Tief mit 77,5 USD je Tonne erstmals seit fünf Jahren signifikant unter 80 USD je Tonne. In den letzten Tagen konnte er zwar etwas zulegen, aber ist das Ende der Talsohle nun tatsächlich erreicht? Um das "Positive" zuerst zu nennen: Vor allem in der asiatischen Schlüsselregion, die gut zwei Drittel des globalen Kohlebedarfs ausmacht, ist die Nachfrage robust. In China, dem mittlerweile mit Abstand größten Importland, lagen die Nettoimporte an Kohle in der ersten Jahreshälfte trotz verstärkter Bemühungen der Regierung, den Umweltschutz voranzutreiben, 4,5% über Vorjahr (Grafik 2, S.2).
Offensichtlich bleibt die seewärtig importierte Kohle aufgrund der geringen Weltmarktpreise weiterhin attraktiv, selbst wenn die heimisch geförderte Kohle durch die Verbesserung der Infrastruktur nun auch für den Süden Chinas erschwinglicher wird. Das australische Forschungsinstitut Bureau of Resources and Energy Economics (BREE) rechnet mit einem Anstieg von Chinas Kohleeinfuhren um 4% auf 260 Mio. Tonnen im laufenden und weiteren 3% Wachstum im nächsten Jahr.
In Indien sieht BREE die Kohleeinfuhren in diesem und im kommenden Jahr ebenfalls um jeweils 4% steigen. Dahinter verbirgt sich eine starke Dynamik, denn bis zu den Wahlen im Mai waren die Käufe der staatlichen Versorger eher gedämpft. Vor allem die Inbetriebnahme neuer Kohlekraftwerke lässt den Kohlebedarf des Landes steigen. Mit der Wahl von Narendra Modi zum neuen Premierminister besteht zudem die Hoffnung, dass die zuletzt schwächelnde indische Konjunktur wieder stärker an Fahrt gewinnt. Unsere Volkswirte rechnen immerhin mit einer Belebung des Wachstums von 4,7% im Vorjahr auf 5,8% im laufenden und 6,2% im Jahr 2015.
Auch Japans Kohleimportbedarf, der im letzten Jahr geringfügig über dem Indiens lag, bleibt hoch. Noch immer sind alle 48 Atomkraftwerke abgeschaltet. Neun Versorger haben zwar Anträge gestellt, insgesamt 19 Reaktoren wieder in Betrieb nehmen zu wollen. Und erst kürzlich hat die nationale Aufsichtsbehörde für Atomkraft die vorläufige Erlaubnis erteilt, mit Sendai einen ersten Reaktor im Süden des Landes hochzufahren. Noch fehlt aber die Bewilligung der lokalen Regierung, so dass der Reaktor frühestens im September angefahren werden kann. Damit muss Japan erstmals seit 40 Jahren in den Sommermonaten ohne Atomkraft auskommen. Zum Vergleich: vor der Atomkatastrophe von Fukushima trug die Atomkraft rund 30% zur Stromerzeugung bei. Der Bedarf an fossilen Brennstoffen bleibt entsprechend hoch. Kohle ist zwar die deutlich günstigere Alternative zu Gas, allerdings sind die Kapazitäten kurzfristig weitgehend ausgereizt. Laut derzeit vorliegenden Plänen könnten die Kapazitäten der Kohlekraftwerke in der nächsten Dekade jedoch auf 48 Gigawatt wachsen. Sie wären damit gut 20% höher als vor der Katastrophe von Fukushima. Nicht zuletzt dürfte der viertgrößte Kohleimporteur der Welt, Südkorea, trotz der Einführung eines Importzolls zum 1. Juli ebenfalls seine Kohleimporte um 1% steigern.
Aber auch außerhalb Asiens gibt es Regionen, in denen sich die Nachfrage belebt: in den USA wird der Verbrauch vor allem wegen des höheren Bedarfs der Stromproduzenten im laufenden Jahr knapp 3% zulegen, bevor er allerdings im nächsten Jahr aufgrund der Stilllegung von Kraftwerken zurückfallen dürfte (siehe zudem Kasten "Auswirkungen des Clean Power Plan", Seite 3). Auch in Europa, wo die Nachfrage trotz attraktiver Preise wegen schwacher Konjunktur rückläufig war, dürfte eine allmähliche Konjunkturerholung die Nachfrage anschieben.
Alles in allem sind die Perspektiven für die Nachfrage also recht positiv. Wie aber wird sich das Angebot entwickeln? Schließlich war es vor allem die massive Ausweitung der Produktion, welche die Preise unter Druck gesetzt hat. Im letzten Jahr war vor allem das australische Angebot trotz der geringen Rentabilität nochmals massiv gestiegen (Grafik 3). Dass die australischen Minenbetreiber nicht mit Produktionseinschränkungen auf hohe Kosten, die Aufwertung des australischen Dollar und niedrige Kohlepreise reagiert haben, ist unter anderem den "Take-or-pay"-Verträgen in der Transportkette geschuldet.
USA: Clean Power Plan spricht für mittelfristig geringeren Kohlebedarf der Stromerzeuger Die US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) hat Anfang Juni einen Vorschlag präsentiert, mit dessen Hilfe die Kohlendioxid-Emissionen in den USA bis 2020 um 26% bzw. bis 2030 um 30% gegenüber dem Ausstoß von 2005 gesenkt werden sollen. Der "Clean Power Plan" zielt darauf ab, die Emissionen der Versorger zu senken, die noch über 70% des Stroms durch die Verbrennung von konventionellen Brennstoffen produzieren und damit rund ein Drittel der US-Treibhausgasemissionen ausmachen. Dabei wird für jeden Bundesstaat als Zielgröße ein spezifischer CO2-Ausstoß je MWh fixiert. Vier Maßnahmen wurden gleichzeitig vorgeschlagen: 1) Kohlekraftwerke effizienter zu machen 2) Gaskraftwerke effektiver zu nutzen. 3) Mehr Strom aus erneuerbaren Energien bzw. Kernkraftwerken und 4) effizientere Energienutzung im Endverbrauch. Das dürfte mittelfristig den Kohlebedarf deutlich senken: Die EPA bezifferte den Rückgang der Kohleproduktion bis 2020 auf mindestens 25% gegenüber dem Referenzszenario.
Als die Kapazitäten vor einigen Jahren knapp und die Preise hoch waren, hatten sich viele Minenbetreiber in Australien in diesen langfristigen Verträgen gebunden, was sie heute teuer bezahlen müssen. Auch wenn die dauerhaft geringe Rentabilität allmählich doch Minenschließungen erzwingen wird, dürfte per saldo laut BREE das Angebot des weltweit zweitgrößten Exporteurs nochmals leicht zunehmen. Denn gleichzeitig werden neue kostengünstige Minen in Betrieb genommen werden. Da zudem Indonesien und Kolumbien ihre Exporte ausweiten, wird das unter den niedrigen Preisen leidende Kohleexportgeschäft der USA überkompensiert und somit das Angebot vorerst reichlich bleiben. Alles in allem spricht das weiterhin hohe Produktionsniveau trotz steigender Nachfrage gegen eine spürbare Preiserholung.
Gute Chancen für eine nachhaltige Trendwende im Emissionshandel
Die Preise im Emissionshandel haben sich von ihrem Rücksetzer Ende März mittlerweile deutlich erholt. Mit 6 Euro je Tonne kostet das Recht zur Emission einer Tonne CO2 knapp 40% mehr als im Jahrestief (Grafik 4). Wir sehen die Wende aus zwei Gründen als nachhaltig an: Zum einen ist das Angebot an Zertifikaten in den Auktionen, in denen die den Unternehmen nicht kostenlos zugeteilten Zertifikate versteigert werden, durch das Backloading seit Mitte März deutlich geringer (Grafik 5). In Deutschland beispielsweise werden statt der ursprünglichen 204,5 Mio. nur 127 Mio. Zertifikate versteigert, was im Übrigen knapp 24% des EU-weiten Versteigerungsvolumens sind. Ende Mai waren bereits 55% des diesjährigen Budgets versteigert.
Zum anderen gibt der politische Wille, den EU-Emissionshandel zu stärken, Rückenwind, auch wenn die internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz ins Stocken geraten sind. Dabei kommt momentan den Diskussionen um die Einführung einer Marktstabilitätsreserve (MSR) eine hohe Bedeutung zu (siehe dazu auch Rohstoffe kompakt "Rückschlag im EUEmissionshandel nicht von Dauer", April 2014). Die Marktstabilitätsreserve ist ein mengenbezogener Regulierungsmechanismus, der auf den kumulierten Überschuss abstellt. Übersteigt dieser eine gewisse Grenze, so werden Zertifikate aus dem Markt genommen und in die MSR überführt. Bei Unterschreiten der Grenze, werden diese wieder zurückgeführt. Damit würde immer eine gewisse Knappheit am Markt erreicht.
Das Echo auf diese Maßnahme ist geteilt. Gelobt werden die Einfachheit und die Transparenz des Mechanismus. Positiv wird zudem gesehen, dass Zertifikate nicht erlöschen und die Politik durch die Fixierung von Obergrenzen nach wie vor in der Lage ist, Klimaschutzziele umzusetzen. Kritisiert wird dagegen, dass der für die Festlegung des "Mindestumlauf" angesetzte Hedging-Bedarf nicht eindeutig zu ermitteln ist. Denn zum einen wandelt sich die Struktur der Stromerzeugung, zum anderen nehmen künftig immer mehr Industrieunternehmen an den Versteigerungen teil. Negativ ist zudem die lange Verzögerung von bis zu zwei Jahren, mit der die Maßnahme greift. Andere kritisieren grundsätzlich den "mengenbezogene" Ansatz. Vielmehr solle am Preis direkt angesetzt werden. Aber auch wenn über das Für und Wider der MSR zweifellos noch viel gestritten werden dürfte, positiv für den Preis ist jedenfalls das Bemühen der Mitgliedsstaaten, das EUEmissionshandelsystem zu retten. Das spricht für mittelfristig weiter steigende Preise.
Und am Strommarkt fehlt zudem die Nachfrage...
Der Verbrauch in Deutschland ist seit mehreren Jahren rückläufig: Im vergangenen Jahr lag er 1,5% niedriger als 2012 und damit erstmals seit dem Rezessionsjahr 2009 wieder unter 600 Mrd kWh (Grafik 6). Im ersten Quartal des laufenden Jahres war der Stromverbrauch abermals rückläufig: das deutliche Minus von 6% war deshalb besonders bemerkenswert, als dass die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal zugleich um 2,5% höher war als im Vorjahr. Eine Begründung ist die zuletzt eher verhaltene Entwicklung stromintensiver Wirtschaftszweige.
Preisbelastend wirkt aber auch die Angebotsentwicklung, denn die Produktion an sogenanntem grünen Strom mit niedrigen Grenzkosten ist rasant gestiegen (Grafik 7). Im ersten Quartal war die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien dank reichlicher Sonnenstunden weiter kräftig gestiegen. Der "Merit-Order-Effekt" wirkt zwar vor allem auf den kurzfristigen Strompreis, aber indirekt drücken die installierten Kapazitäten auch den Preis des Phelix-Futures im nächsten Kalenderjahr. Mit der Kürzung der Vergütungssätze sowie der Festlegung von Ausbaukorridoren dürfte sich das Tempo des Ausbau der erneuerbaren Energien zwar etwas verringern, aber grundsätzlich geht der Vormarsch weiter.
Alles in allem dürften die Strompreise an der Börse zwar ihre Talsohle erreicht haben. Doch sehen wir nur wenig Preissteigerungspotenzial und behalten deshalb unsere Prognose bei. Die Wende im EU-Emissionshandel erachten wir zwar als nachhaltig, aber angesichts des hohen Angebots am Kohlemarkt sehen wir vorerst wenig weiteres Anstiegspotenzial für den Kohlepreis. Zudem lief die Konjunktur in Deutschland zuletzt nicht mehr richtig rund und die erneuerbaren Energie werden - wenngleich mit etwas moderaterem Tempo - weiter ausgebaut, was strukturell den Strompreis zusätzlich bremsen sollte.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG
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