Kohlemarkt dürfte Talsohle erreicht haben
03.06.2013 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Die anhaltende Konjunkturschwäche und ein reichliches Angebot haben die Kohlepreise am atlantischen Markt deutlich unter Druck gesetzt. Doch im Jahresverlauf dürften sich die Kohlepreise wieder leicht erholen: nicht nur dass eine Festigung der Konjunktur Impulse gibt, auch die deutlich gestiegene Attraktivität der kohlebasierten Stromproduktion dürfte die Nachfrage steigen lassen. Zusätzlich stützt der starke Importsog des pazifischen Marktes, so dass die Preise trotz einer zuletzt eher komfortablen Angebotssituation anziehen dürften.
Anfang April war Kohle an der ICE mit 78 USD je Tonne in Nordwesteuropa so billig wie seit drei Jahren nicht mehr. Im Vergleich zu den zwischenzeitlichen Höchstständen zum Jahreswechsel 2010/2011 hat der Kohlepreis 40% einbüßen müssen (Grafik 1). Die Preise in Europa wurden nicht nur durch die Konjunkturschwäche in Europa belastet, auch das reichliche Angebot aus den USA setzte die Preise unter Druck.
Die amerikanischen Kohleproduzenten suchten in Europa neue Absatzmärkte, nachdem die heimische Kohlenachfrage aufgrund des relativen Preisvorteils der gasbasierten Stromerzeugung eingebrochen war. Von seinem Tief konnte der nächstfällige Kohlefuture an der ICE aber wieder etwas zulegen. Wird sich diese Erholung bei dem nach Öl zweitwichtigsten Energierohstoffs fortsetzen? Wir werfen im Folgenden einen genaueren Blick auf die aktuellen Entwicklungen und Aussichten in den wichtigsten Nachfrage- und
Angebotsmärkten.
Blicken wir zunächst nach China, das amKohlemarkt eine herausragende Stellung einnimmt, denn es steht nicht nur für nahezu die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs, sondern dominiert mittlerweile auch den Kohlehandel: Erst 2009 zum Netto-Importeur geworden, war China 2012 bereits mit deutlichemAbstand Importweltmeister. Vor allem im letzten Jahr hat China seine Kohleeinfuhren nochmals rasant gesteigert. Die australische Researcheinheit BREE beziffert das Importvolumen auf 210 Mio. Tonnen, was 45% mehr als im Vorjahr ist.
Infrastrukturprobleme im eigenen Land sowie der relative Preisvorteil ausländischer Kohle waren ausschlaggebend für diesen immensen Importsog. Am aktuellen Rand scheint sich die Dynamik allerdings aufden ersten Blick abgeflacht zu haben: Laut Chinas Zollstatistik, die nicht nur thermischeKohle, sondern auch Kokskohle umfasst, lagen die Netto-Importe im ersten Quartal zwar noch immer 30% höher als im Vorjahr, aber in der Verlaufsbetrachtung fast 7% unter demVorquartal (Grafik 2).
Das Minus relativiert sich jedoch vor dem Hintergrund des außerordentlich starken Zuwachses im Jahresschlussquartal, zumal es wohl durch saisonale Faktoren zusätzlich verstärkt worden ist. Angesichts eines nach wie vor robusten Wirtschaftswachstums im Reich der Mitte und des insbesondere deutlich steigenden Strombedarfs dürfte der Kohleverbrauch weiter kräftig wachsen. Das niedrige Preisniveau ausländischerKohle stützt die Importnachfrage zusätzlich.
Einen erheblichen Dämpfer für den Importsog könnte es allerdings dann geben, wenn China - wie derzeit diskutiert - künftig keine Kohle minderer Qualität mehr importieren würde. Aber auch wenn im Zuge dessen die Importe deutlich fallen würden, dürfte dies primär den Markt für sogenannte sub-bituminöse Kohle betreffen. Indonesien ist hier ein Hauptlieferant für China. Dagegen könnte sich der Markt für höherwertige Kohle entsprechend sogar einengen.
Neben China ist Indien der wichtigste Treiber der globalen Kohlenachfrage. Auch Indiens Kohleproduktion hat mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten können. Im vergangenen Jahr sind deshalb die Kohleinfuhren Schätzungen zufolge um weitere 17% auf gut 100 Mio. Tonnen gestiegen. Indien ist mittlerweile der drittgrößte Kohleimporteur der Welt. Zusätzliche Unsicherheit über die künftige Versorgungslage schürt das Vorhaben der indischen Regierung, Anteile des staatlich-kontrollierten Unternehmens Coal India Limited zu verkaufen, das für mehr als 80% der heimischen Produktion verantwortlich und größter Kohleförderer weltweit ist.
Nach der Drohung langwieriger Streiks sind diese Pläne wohl aber vorerst auf Eis gelegt worden. Langfristig wird davon ausgegangen, dass die Energieerzeugung aus Kohle bis 2018 noch einmal um mehr als die Hälfte wachsen soll. Demzufolge müsste der Importbedarf in diesem Zeitraum geschätzt um jährlich weitere 11% steigen. Schon vor dem Jahr 2017 dürfte Indien China als weltgrößten Kohleimporteur überholt haben.
Während in Indien und China die Zeichen also weiter deutlich auf Wachstum des Importbedarfs stehen, dürften die Einfuhren im ehemals größten Importland Japan nur mäßig expandieren. Japan würde angesichts der Ausfälle bei derAtomkraft und der hohen LNG-Preise zwar sicherlich gerne verstärkt auf Kohlestromzurückgreifen, aber die Kapazitäten der Kohlekraftwerke sind ausgereizt. Das australische Researchinstitut BREE rechnet sogar mit fallenden Einfuhren. Der Rückgang dürfte aber durch einen Mehrbedarf in Südkorea ausgeglichen werden.
Auch Europa zeigt eine auf den ersten Blick vielleicht überraschend positive Nachfrageentwicklung. Trotz der aktuellen Konjunkturschwäche und der ambitionierten umweltpolitischen Ziele Europas, die klar auf emissionsarme Energieproduktion setzen und damit gegen Kohle sprechen, sind laut BREE Schätzungen die Importe in der EU im letzten Jahr um 5% auf 173 Mio. Tonnen gestiegen (Grafik 3).
Neben der tendenziell rückläufigen einheimischen Kohleproduktion war dies vor allem den niedrigen Kohlepreisen zuzuschreiben, welche die Kohleverstromung attraktiv machen. Verstärkt wurde der Effekt durch den massiven Preisverfall der Emissionsrechte. Dieser Trend dürftesich bis zuletzt fortgesetzt haben. Darauf deuten zumindest die jüngsten Zahlen zum Primärenergieverbrauch in Deutschland. Demnach lag der Verbrauch von Steinkohlen im ersten Quartal gut 10% über Vorjahr. Infolge der hohen preislichen Wettbewerbesfähigkeit weitete sichder Einsatz in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung um 14,5% aus.
Insgesamt wird die Nachfrage nach Kohleimporten getrieben durch China und Indien also weiter deutlich zulegen. Doch woher kommt das Angebot? Gute Nachrichten kommen aus Australien, dem zweitgrößten Kohleexporteur der Welt. Die australische Researcheinheit BREE, erwartet für 2013 ein zweistelliges Wachstum der Exporte, da einige Projekte abgeschlossen werden und die Produktion aufnehmen sollen. Imvergangenen Jahr konnte Australien seine Kohleausfuhren bereits um geschätzte 16% auf 171 Mio. Tonnen erhöhen (Grafik 4).
Bei den anderen großen Anbietern auf dem Weltmarkt gestaltet sich die Lage aber schwieriger. So kann bei dem mit Abstand größten Kohleexporteur der Welt, Indonesien, nur mit einem moderaten Anstieg der Exporte in den kommenden Jahren gerechnet werden. Bereits 2012 wurden mit 315 Mio. Tonnen nur leicht höhere Ausfuhren verzeichnet als 2011.
Gründe für ein abschwächendes Exportwachstum liegen in der relativ niedrigen Qualität indonesischer Kohle und höheren Transportkosten für neue weiter im Inland gelegene Minen. Desweiteren bringt eine aktuell geführte politische Diskussion sogarProduktionsbeschränkungen ins Gespräch, um die Ressourcen auch noch für kommende Generationen zu erhalten. Schätzungen zufolge könnten sonst bei einem fortgesetzten Wachstumdie Kohlereserven innerhalb der nächsten 20 Jahre ausgebeutet sein.
Auch Kolumbien sorgt zurzeit eher für schlechte Nachrichten. Die Aussichten für das 2013 erwartete moderate Wachstum der Ausfuhren aus der wichtigsten Exportnation auf dem atlantischen Markt wurden zu Beginn des Jahres durch einen mittlerweile beendeten Streik in der Cerrejon Mine und einen Angriff der FARC auf deren Eisenbahnverbindung etwas eingetrübt. Schon im Vorjahr haben die niedrigere Nachfrage in Nordamerika und Lohnstreitigkeiten zwischen Minenbetreibern und -arbeitern die kolumbianischen Exporte auf einem Niveau von ca. 7 Mio. Tonnen stagnieren lassen.
In den kommenden Jahren wird aber wieder mit einer anziehenden Exportdynamik gerechnet, da selbst wenn die Nachfrage des atlantischen Marktes etwas abflachen solltedas Wachstum des pazifischen Marktes dies deutlich überkompensieren sollte. Kolumbianische Kohle ist für asiatische Abnehmer dank der niedrigen Produktionskosten trotz hoher Transportkosten attraktiv. Mit dem Ausbau des Panamakanals, der 2015 abgeschlossen sein könnte, verringern sich die Transportkosten zudem, da dann die Passage von Capesize-Schiffen erlaubt sein dürfte.
Südafrika, das Bindeglied zwischen atlantischemund pazifischem Markt mit zuletzt starkem Trend zum letzterem, hat mit ähnlichen Problemen zukämpfen. Streiks belasten auch hier immer wieder die Produktion wie zuletzt im März, als die Arbeit in sechs Minen für fast einen Monat niedergelegt wurde. Zudem hat die Gewerkschaft der Minenarbeiter (NUM) eben erst Lohnerhöhungen von bis zu 60% gefordert. Trotzdem wird für 2013 ein ähnliches Wachstum wie 2012 erwartet, als die Exporte um geschätzte 5% auf 75 Mio. Tonnen erhöht wurden.
Längerfristig könnte das Exportvolumen allerdingsdarunter leiden, dass die südafrikanische Regierung künftig mehr Wert auf die Versorgungssicherheit der heimischen Energieversorger legen will, was höchstens geringe Steigerungen der Ausfuhren zulassen sollte.
Am wichtigsten für den europäischen Markt wiegt aber unseres Erachtens die Entwicklung des US-Angebots, denn hier scheint der Exportboom seinen Höchststand erreicht zu haben; Begünstigt durch Substitutionseffekte in der Stromerzeugung infolge der sehr niedrigen US-Gaspreise waren die Ausfuhren 2012 noch um knapp die Hälfte auf rund 50 Mio. Tonnen gestiegen (Grafik 5 und Grafik 6).
Laut Prognosen der US-Energiebehörde EIA wird diese Substitution aber wieder zurückgefahren, denn schließlich ist der US-Gaspreis in den letzten zwölf Monaten kräftig gestiegen (Grafik 7). Da zugleich mit einer höheren Stromnachfrage gerechnet wird, prognostiziert die EIA insgesamt einen Anstieg der US-Kohlenachfrage um 7,3%. Bei nur leicht expandierender Kohleproduktion dürften die Kohleexporte im laufenden Jahr um 15% sinken. Langfristige Projektionen sagen sogar eine deutliche Einschränkung der Ausfuhren in den nächsten Jahren voraus, wobei allerdings erhebliche Produktionskürzungen unterstellt werden.
Alles in allem sehen wir angesichts der Konjunkturschwäche in Europa und dem unsicheren Ausblick bezüglich des chinesischen Importbedarfsauf kurze Sicht wenig Erholungspotenzial. Ein weiteres Abrutschen der Preise erwarten wir aber auch nicht, denn die Preise dürften für viele Produzenten kaum noch rentabel sein. Noch niedrigere Preise dürften folglich zu Produktionskürzungen führen. In der zweiten Jahreshälfte erwarten wir aber ein Anziehen der Preise: eine Erholung der Kohlenachfrage derStromproduzenten aufgrund des gestiegenen Preisvorteils, eine Stabilisierung der Konjunktur in Europa, ein Anziehen des Importsogs am pazifischen Markt und das Ende des US-Exportbooms dürften die Preise in der zweiten Jahreshälfte wieder auf 90 USD je Tonne steigen lassen.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG
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