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Der Ölpreis dürfte im Jahresverlauf wieder steigen

03.05.2013  |  Eugen Weinberg (Commerzbank)

Nachfragesorgen bei zugleich komfortabler Angebotslage haben am Ölmarkt zu einem markanten Preisrutsch geführt. Wir denken, dass der Markt derzeit zu stark auf das Sorgenkind Europa fixiert ist und dabei die Wachstumsaussichten in den anderen Regionen übersieht. Eine Belebung der Konjunktur in den USA und China dürfte die Ölnachfrage anschieben und zu einer allmählichen Einengung am Markt beitragen. Hinzu kommt, dass die Angebotsrisken derzeit als zu gering eingeschätzt werden. Die Ölpreise dürften in der zweiten Jahreshälfte deutlich anziehen.

Die Rohstoffpreise haben bislang ein enttäuschendesJahr verzeichnet. Der S&P GSCI Spot Index notierte im April zeitweise mit 7% seit Jahresbeginn im Minus (Grafik 1). Die Energieträger haben in diesem Zeitraum 5% verloren. Ein größeres Minus wurde nur dadurch verhindert, dass der US-Erdgaspreis um 30% gestiegen ist. Brent büßte dagegen bis zu 12% ein, WTI gut 5%. Bei den Industriemetallen beläuft sich das Minus seit Jahresbeginn gemessen am S&P GSCI auf gut 13%. Am stärksten sind die Edelmetalle unter Druck geraten. Bei Gold betrug das Minus bis zu 20%, bei Silber sogar 25%.

Die Gründe für den breitangelegten Preisrückgang sind vielschichtig. Die Erwartungen an die globale Konjunkturerholung sind seit Jahresbeginn sukzessive nach unten revidiert worden. In der Eurozone müssen die Hoffnungen auf ein Ende der Rezession in den Peripherieländern immer weiter nach hinten verschoben werden.

Auch in Deutschland hat sich die Wachstumsdynamik zuletzt spürbar abgeschwächt. In den beiden weltgrößten Volkswirtschaften und Rohstoffverbrauchsländern USA und China blieb das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal hinter den Erwartungen zurück. Zudem deuten die vorliegenden monatlichen Daten auf eine nur schleppende wirtschaftliche Belebung in beiden Ländern hin. Hinzu kommt, dass sich in vielen Rohstoffmärkten aufgrund der Ausweitung der Produktion Angebotsüberschüsse gebildethaben, welche in Verbindung mit der schwächeren Nachfrage zu steigenden Lagerbeständen führten.

Im Zuge dieser Nachrichtenlage haben sich die Anleger stark aus den Rohstoffmärkten zurückgezogen. Laut Daten der US-Aufsichtsbehörde CFTC sank das Anlagevolumen in Long-Only-Rohstoffinvestments im Februar um 12 Mrd. USD im Vergleich zum Vormonat. Auch bei den spekulativen Finanzanlegern kam es bei den meisten Rohstoffen seit Jahresbeginn zu einem merklichen Abbau der Netto-Long-Positionen. Aberist all der Pessimismus am Markt wirklich gerechtfertigt? Wir werden im Folgenden die Entwicklungen am Ölmarkt untersuchen. Aus aktuellem Anlass geben wir zudem eine Einschätzung zur derzeitigen Lage im europäischen Emissionshandel.

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Rohöl

Der Rohölpreis für die Sorte Brent fiel Mitte April im Tief bis auf 97 USD je Barrel und war damit so günstig wie zuletzt im Sommer 2012. Vom Mitte Februar verzeichneten Hoch bei 119 USD je Barrel hat der Preis zwischenzeitlich knapp 20% verloren. Ausschlaggebend war die Eintrübung der Nachfrageperspektiven: Die US-Energiebehörde (EIA)und die Internationale Energieagentur (IEA) haben ihre Schätzungen für das Wachstum der globalen Ölnachfrage in diesem Jahr seit Februar kontinuierlich nach unten revidiert, die IEA sogar drei Monate in Folge (Grafik 2).

Selbst die ohnehin skeptische OPEC hat ihre Prognose zuletzt leicht zurückgenommen. Die derzeitigen Schätzungen der dreiAgenturen gehen inzwischen nur noch von einem Nachfrageanstieg um 800 bis 960 Tsd. Barrel pro Tag aus.

Dies ist nicht ausreichend, um die Ausweitung des Angebots in den Nicht-OPEC-Ländern zu absorbieren, welches aktuellen Schätzungen zufolge im laufenden Jahr um mehr als 1 Mio. Barrel pro Tag steigen soll. Hauptverantwortlich hierfür ist die steigende Ölproduktion in Nordamerika (Schieferöl in den USA, Ölsande in Kanada). Gleichzeitig haben sich zuletzt auch die Angebotsrisiken verringert. So hat sich die Ölproduktion in der Nordsee seit Jahresbeginn weitgehend normalisiert.

Im April wurde erstmals seit 11 Monaten sogar wieder mehr Brentöl verladen als im entsprechenden Vorjahresmonat. Aufgrund des geringeren Importbedarfs der USA gelangt zudem mehr westafrikanisches Öl auf den Weltmarkt und konkurriert dort mit Brentöl. Hinzu kommt, dass der Südsudan nach der Beilegung des Streits mit dem Sudan seine im Janauar 2012 unterbrochene Ölförderung wieder aufgenommen hat. Vor der Stilllegung lag die Ölproduktion aus dieser Region immerhin bei gut 450 Tsd. Barrel pro Tag.

Der Angebotszuwachs außerhalb der OPEC ist somit größer als der erwartete globale Nachfrageanstieg. Folglich fällt der Bedarf an OPEC-Ölmit 29,7 Mio. Barrel pro Tag im laufenden Jahr nochmals geringer aus als im letzten Jahr. Schätzungen für die aktuelle OPEC-Produktion liegen zwischen 29,9 und 30,5 Mio. Barrel pro Tag, was einem Rückgang um mehr als 1 Mio. Barrel pro Tag gegenüber dem letzten Herbst entspricht. Die OPEC produziert trotz der erfolgten Kürzung aber noch immer mehr Rohöl alsam Markt benötigt wird (Grafik 3).

Die nächste offizielle OPEC-Sitzung findet am 31. Mai statt. Dort wird wohl über eine weitere Rücknahme des Angebots diskutiert werden. Das seit Anfang 2012 bestehende offizielle Produktionsziel von 30 Mio. Barrel pro Tag dürfte aber beibehalten werden, solange der OPEC-Basketpreis nicht deutlich unter 100 USD je Barrel fällt. Dieses Preisniveau wird von vielen OPEC-Ländern benötigt, um ihre Staatsausgaben mit den Öleinnahmen zu finanzieren. Allerdings könnte Saudi-Arabien wie Ende 2012 geschehenauch ohne offiziellen Beschluss das Angebot reduzieren, falls es dies für notwendig erachtet. Wir gehen davon aus, dass die drohenden Produktionskürzungen ausreichen werden, umeinen deutlichen und dauerhaften Preisverfall unter 100 USD je Barrel zu verhindern.

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Der Ölpreis sollte außerdem davon profitieren, dassdie Ölnachfrage nach Beendigung der derzeit noch laufenden Instandhaltungsmaßnahmen in den Raffinerien merklich anziehen wird. Diese an sich jahreszeitüblichen vorübergehenden Schließungen von Verarbeitungskapazitäten fielen in diesem Jahr laut IEA mit 7 Mio. Barrel pro Tag so hoch aus wie niemals zuvor. Eine robustere Wirtschaftsentwicklung in den USA und in China dürfte im weiteren Jahresverlauf den Malus einer weiterhin schwächelnden Konjunktur im Euroland überkompensieren. Die Wachstumsmotoren der globalen Ölnachfrage sind ohnehin nicht die Industrieländer, sondern die sogenannten BRIC-Staaten China, Indien, Brasilien und Russland.

Chinas Ölbedarf ist heute bereits höher als die Nachfrage der fünf großen europäischen Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien zusammen. Die zunehmende Motorisierung in China spricht für eine dort weiter steigende Ölnachfrage. Und auch wenn derzeit vor allem die Schlagzeilen in Europa Nachfragesorgen schüren, dann darf nicht übersehen werden, dass China und Indien mehr Öl nachfragen als die Europäische Union insgesamt. Beispielhaft hierfür ist die Entwicklung der Fahrzeugverkäufe, welche in Europa weiter auf Talfahrt sind, während sie in China im ersten Quartal ein Rekordniveau ereichten (Grafik 4).

Skeptischer als der Markt sind wir hinsichtlich der Bewertung der Angebotsrisiken. Diese sind mittlerweile weitgehend ausgepreist worden, obwohl es weiterhin zahlreiche Krisenherde gibt: So ist die Sicherheitslage in Libyen nach wie vor sehr angespannt. Auch in Nigeria, wo die Sicherheitskräfte im Norden mit Islamisten und zunehmender Gewalt im Süden zu kämpfen haben, besteht weiterhin das latente Risiko von Angebotsaufällen. Nicht zu vergessen sind auch der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, die unsichere Lage in Ägypten und der weiterhin schwelende Streit um das iranische Atomprogramm.

Jederzeit kann es in diesen Konfliktregionen zu einer erneuten Eskalation kommen, welche die geopolitische Risikoprämie auf den Ölpreis wieder steigen lässt. Es bleibt auchabzuwarten, ob das Ölangebot aus dem Südsudan wirklich in dem Maße zurückkommen wird wie derzeit erwartet. Die Nordseeproduktion bleibt zudem in einem strukturellen Abwärtstrend, weil die großen Felder ihr Fördermaximum überschritten haben (Grafik 5).

Nach dem massiven Rückgang um 9% bzw. 310 Tsd. Barrel pro Tag im vergangenen Jahr rechnet die IEA auch im laufenden Jahr mit einem Minus von knapp 7%. Ab Spätsommer wird es außerdem in den größeren Ölfeldern der Nordsee wie dem Buzzard-Feld wieder zu Wartungsarbeiten kommen, welche das Brentangebot zumindest vorübergehend zusätzlich spürbar verringern werden.

Alles in allem sind wir der Ansicht, dass die Lage amÖlmarkt von den meisten Marktbeobachtern derzeit als zu entspannt eingeschätzt wird. Dies zeigt sich auch an den deutlich gesunkenen spekulativen Netto-Long-Positionen bei Brent, welche sich seit Februar nahezu halbiert haben und auf dem niedrigsten Niveau seit Mitte Dezember befinden (Grafik 11, Seite 6).

Im Zangengriff zwischen dem derzeit bestehenden Überangebot und drohenden Produktionskürzungen dürfte der Brentölpreis zunächstauf dem derzeitigen Niveau verharren. Erst bei einer sichtbaren Aufhellung der Konjunktur wird es zu einem nachhaltigen Anstieg des Ölpreises kommen. Damit rechnen wir im zweiten Halbjahr. Die Belebung der Nachfrage wird zu einer Einengung der Marktbilanz führen und auch die Finanzanleger zurück in den Ölmarkt locken. Der Brentölpreis dürfte daher im Jahresverlauf steigen und im Jahresschlussquartal bei 118 USD je Barrel notieren. Für diese Prognose bestehen Abwärtsrisiken, sollte die von uns erwartete Erholung der Nachfrage im zweiten Halbjahrausbleiben.

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CO2 - Die Hoffnung stirbt zuletzt ...

Die Hoffnung stirbt zuletzt - das ist wohl das Motto am CO2-Markt, das die Preise derzeit stützt. Am 16. April hatte das EU-Parlament die Initiative der EU-Kommission abgelehnt, die Preise im Emissionshandel durch das Zurückhalten von 900 Mio. Zertifikaten in den nächsten drei Jahren zu stützen. Das "Nein" zum sogenannten Backloading schickte den CO2-Preis zunächst auf Talfahrt, aber bei rund 3 Euro je Tonne hat dieser eine Unterstützung gefunden. Wir gehen davon aus, dass das knappe Abstimmungsergebnis von 334 zu 315 Stimmen letztlich Hoffnungen auf eine neue Initiative schürt. Schließlich wurde das Vorhaben auch nicht gänzlich abgelehnt, sondern zurück an den federführenden Umweltausschuss verwiesen.

Tatsächlich gibt es durchaus Bestrebungen im Juni oder Juli, dasVorhaben erneut im EU-Parlament zur Abstimmung zu stellen. Es heißt, eine Ergänzung, in der versichert würde, dass das "Backloading" einmalig bliebe, die sogenannte fallback amendment, könnte eventuell das eine oder andere Parlamentsmitglied noch umstimmen. Zweifellos könnte auch Deutschlands Unterstützung dem Plan helfen. Aber bei dem Patt zwischen Umweltminister Altmaier und Wirtschaftsminister Rösler ist wohl vor den Bundestagswahlen im Herbst eine klare Positionierung eher unwahrscheinlich.

Die künftige Preisentwicklung hängt entscheidend vonden Chancen auf eine Implementierung des Backloadings ab. Ohne eine kurzfristige Verknappung am Markt dürfte der Preis weiter fallen. Interessant ist zu sehen, dass der Markt derzeit einen Preisverfall unter 1 Euro je Tonne mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% einpreist (Grafik 6).





Eine andere Betrachtungsweise wäre es anzunehmen, dass das Backloading den Preis auf 8 Euro steigen lassen würde, oder dieser ansonsten auf 1 Euro fallen würde. Wäre das ein allgemein akzeptiertes Szenario, so würde der Markt die Chancen auf ein Backloading bei dem aktuellen Preis von 3 Euro je Tonne mit etwa 30% veranschlagen. Wie auch immer man aufsetzt: Fakt ist, dass am Markt das Backloading als immer weniger wahrscheinlich erachtet wird, aber gänzlich ausgepreist ist es nicht.

Die künftige Preisentwicklung zu prognostizieren fällt immer schwerer, doch gehören wohl auch wir zu der Gruppe, deren Hoffnung zuletzt stirbt. Vor diesem Hintergrund rechnen wir mit seitwärts tendierenden Preisen. Eine deutliche Erholung erwarten wir aber nur für den Fall, dass sich ein Backloading abzeichnet.

Auch wenn wir der Meinung sind, dass der Markt politisch getrieben bleibt, möchten wir die Fundamentalfaktoren nicht gänzlich vernachlässigen.Anfang April wurden für 90% der im EU ETS erfassten Anlagen die verifizierten Emissionen für das Jahr 2012 vorgelegt: Diese sind ein weiteres Jahr gesunken, und zwar um 1,4% (Grafik 7). Der Rückgang ist abermals vor allem der wirtschaftlichen Flaute geschuldet. Der Emissionsausstoß der erfassten Industriesektoren sank um 4,6%.

Ein Anreiz zu emissionsärmerer Energieproduktion gibt der Preis aber wohl nicht mehr: Denn die verifizierten Emissionen des Energiesektors sind um knapp 1% gestiegen und damit ungefähr trotz des wohl weiteren Vormarsches der erneuerbaren Energien doppelt so stark wie die Energieproduktion selbst. Scheinbar istwie in Deutschland auch in anderen EU-Staaten die derzeit günstige kohlebasierte Stromerzeugung zulasten der gasbasierten hochgefahren worden. Alles in allem dürfte sich das Überangebot an Emissionsrechten der letzten fünf Jahre auf geschätzt 1,7 Mrd. Zertifikate summieren.

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Auf einen Blick

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© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG



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