Umbruch am Gasmarkt
25.07.2011 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Drei neue Tendenzen bestimmen das Geschehen am Gasmarkt: die Nutzung unkonventioneller Gasressourcen, der massive Ausbau des LNG-Handels und ein stark steigender Bedarf in den Industrie- und Schwellenländern. Während der amerikanische Gasmarkt vor allem von der rasch steigenden unkonventionellen Gasproduktion profitiert, die zur Zeit eine Erholung des Henry Hub Preis abbremst, dürfte in der übrigen Welt die steigende Nachfrage der Schlüsselparameter sein. Denn die Konkurrenz zwischen europäischen und asiatischen Konsumenten unterstützt die Preise und gibt den Produzenten wieder mehr Verhandlungsmacht. Eine gänzliche Abkehr von der Ölpreisbindung ist daher unwahrscheinlich.
Das Preisgefüge am internationalen Gasmarkt ist weiter stark in Bewegung. Nachdem Europas Gaspreise im Jahr 2009 in den Abwärtssog des amerikanischen Gaspreises geraten waren, haben sie sich im vergangenen Jahr von den Tendenzen in den USA entkoppelt und sind getrieben von der Entwicklung am britischen Spotmarkt wieder kräftig gestiegen (Grafik 1).
Ausschlaggebend war zum einen eine kräftige Nachfrageerholung. Der Verbrauch in der Europäischen Union legte von seinem Sieben-Jahrestief im Jahr 2009 teils konjunkturbedingt, teils witterungsbedingt 7,4% zu und erreichte mit knapp 500 Mrd. Kubikmeter nahezu sein Hoch aus dem Jahr 2005. Zum anderen gab es Angebotsprobleme infolge von Produktionsausfällen in der Nordsee sowie einer langen Instandhaltungsphase in Katar. Kurzzeitig übertraf der britische Gaspreis NBP sogar den deutschen Grenzübergangspreis, der den Preis für Deutschlands Gasimporte abbildet und zumeist als Referenzpreis für Kontinentaleuropa verwendet wird. Dieser hatte sich in den letzten Monaten zwar wieder dem ölpreisindexierten Wert angenähert, bleibt jedoch noch immer spürbar darunter.
Wie sieht die Zukunft aus? Wir machen derzeit im Wesentlichen drei neue Tendenzen aus, die das Geschehen am Gasmarkt maßgeblich beeinflussen.
1) Die Globalisierung des Handels dank LNG
Allein im letzten Jahr hat der Handel mit verflüssigtem Erdgas (LNG) um 25% gegenüber Vorjahr auf 300 Mrd. Kubikmeter zugelegt. Der LNG-Handel macht nun 9% des globalen Gasverbrauchs aus. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren es lediglich 5,5%. Der Bedeutungszuwachs ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die Gasnachfrage selbst um 30% zugenommen hat. Die voranschreitende Globalisierung zeigt sich aber auch darin, dass mit Russland, Jemen und Peru seit 2009 drei weitere Länder zu LNG-Exporteuren wurden bzw. vier weitere Länder zu den Importeuren stießen.
Nach wie vor entfällt allerdings mit rund 60% das Gros der Importe auf den asiatisch-pazifischen Raum. Knapp 30% der LNG-Einfuhren bezieht Europa. Die USA zogen sich dank der positiven Produktionsentwicklung (siehe nächste Seite) stark aus dem Markt zurück. Im letzten Jahr wurden nur 12 Mrd. Kubikmeter LNG importiert. Auf der Exportseite ist Katar mit Verflüssigungskapazitäten von nun 100 Mrd. Kubikmeter der größte Anbieter.
Hinzu kommt, dass das Königreich dank einer großen Tankerflotte in der Lage ist, verschiedene Regionen effizient zu bedienen. Damit stellt Katar ein Viertel des weltweiten LNG-Handels, doppelt so viel wie der zweitgrößte Exporteur Indonesien. Bis Mitte des laufenden Jahres dürfte noch einiges an neuer Kapazität in Betrieb genommen werden, aber dann ist Schätzungen der IEA zufolge mit der nächsten großen Welle erst im Jahr 2015 zu rechnen. Vor allem Australien baut derzeit seine Kapazitäten aus.
2) Die Nutzung der unkonventionellen Gasreserven
Die zweite “Revolution“ am Gasmarkt ist die zunehmende Erschließung der unkonventionellen Reserven. Inzwischen werden 15% der globalen Gasproduktion aus unkonventionellen Quellen gefördert. Ein Großteil der Förderung bzw. 420 Mrd. Kubikmeter entfällt auf die USA, die ohne Zweifel die Triebfeder der Entwicklung sind. In den USA stammt mittlerweile 60% der Gasproduktion aus unkonventionellen Quellen, wobei das “tight gas“ aus dichten Gesteinsschichten noch immer die Hälfte stellt. Bemerkenswert ist, dass die Produktion im vergangenen Jahr trotz des niedrigen Preisniveaus von 4,4 USD je mmBtu im Jahresdurchschnitt um 5% ausgeweitet wurde. Die Vereinigten Staaten rangierten mit 613 Mrd. Kubikmeter auf Platz zwei in der Rangliste der größten Produzentenländer, gut 5% hinter dem Spitzenreiter Russland.
Angesichts des immensen Erfolges in den Vereinigten Staaten haben viele Länder ihre Anstrengungen zur Nutzung dieser Quelle verstärkt. Die amerikanische Energieagentur (EIA) hat im Frühjahr dieses Jahres eine neue Studie veröffentlicht, in der die unkonventionellen Schiefergas-Ressourcen in 32 Ländern auf 185 Billionen Kubikmeter geschätzt wurden (ohne den Nahen Osten). Knapp 20% davon und damit die größten Ressourcen, noch in höher als in den USA, werden in China vermutet (Grafik 2 und 3).
Auch wenn angesichts dieser Schätzungen das Potenzial immens ist, muss bei den mittelfristigen Produktionsprognosen berücksichtigt werden, dass außerhalb der USA die Nutzung zumeist noch in den Kinderschuhen steckt. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung in Australien und China. Insgesamt werden in Asien rund 30 Mrd. Kubikmeter “tight gas“ bzw. 6 Mrd. Kubikmeter Kohleflözgas und in Australien rund 5 Mrd. Kohleflözgas gefördert. Innerhalb Europas sind die Bemühungen Polens am weitesten gediehen. Allerdings stellen Experten in Frage, ob in Europa die Schiefergasproduktion kostengünstiger wird als der Bezug von konventionellem Gas.
Die globalen Effekten der Produktionserfolge in den USA zeigten sich bislang vor allem in einem schrumpfenden Importbedarf des Landes. Mittelfristig könnte der geplante Bau einer Verflüssigungsstraße die USA aber auch in die Lage eines Netto-Anbieters versetzen.
Die drei Preismodelle am Gasmarkt
1) Der regulierte Markt, der ein Drittel des Gasmarktes ausmacht. Reguliert wird vor allem im Nahen Osten, in Afrika, in einigen Ländern Lateinamerikas und in vielen Ländern Asiens, unter anderem auch in China und in Indien. Überwiegend wird hier übrigens nicht kostendeckend verkauft mit entsprechender Problematik für die Investitionsanreize.
2) Der liberalisierte Markt. Für ein Drittel des Gasnachfrage bestimmt sich der Preis an der Kassamärkten der sogenannten Handelspunkte, den “Hubs“, von Nordamerika und Großbritannien. Auch für ein Viertel des Gasverbrauchs in Kontinentaleuropa sowie für die LNG-Importe in den lateinamerikanischenändern bildet sich der Preis im “gas-on-gas“ Wettbewerb.
3) Das Modell der Ölpreisbindung. Rund ein Drittel der Absatzmenge ist in der Preisentwicklung an den Ölpreis gekoppelt. Dabei ist das Preisniveau von Region zu Region unterschiedlich: Die der Ölpreisbindung unterliegenden LNG-Importe in Japan beispielsweise sind deutlich teurer als die ölpreisgebundenen Pipeline-Importe Kontinentaleuropas.
3) Kräftig steigender Verbrauch
Die dritte Strukturveränderung ist u.E. ein kräftig anziehendes Nachfragewachstum. Triebfeder ist der stark steigende Bedarf in den Schwellenländern. China ist binnen kurzer Zeit zum viertgrößten Konsumenten der Welt aufgestiegen, nach den USA, Russland und dem Iran. Im letzten Jahr stand ein Nachfrageplus von 22% zu Buche. Das rasante Wachstum dürfte sich fortsetzen: Gemäß dem 12. Fünf-Jahresplan für den Zeitraum 2011 bis 2015 strebt China im Jahr 2015 einen Gasanteil am primären Energieverbrauch von 8,3% an.
Zum Vergleich: Im Jahr 2008 lag der Anteil nicht einmal halb so hoch. Angesichts eines tendenziell ohnehin kräftig steigenden Energieverbrauchs entspräche dies mit 260 Mrd. Kubikmeter immerhin dem Zweieinhalbfachen des aktuellen Verbrauchs. Langfristigen Prognosen der IEA zufolge dürfte der Bedarf Chinas im Jahr 2035 dem von Europa entsprechen (Grafik 4, S. 4). Auch im Nahen Osten rechnet man aufgrund des zunehmenden Bedarfs in der Stromerzeugung mit einem starken Anstieg des Verbrauchs.
Hinzu kommt, dass die IEA in ihrem jüngsten Ausblick „The Golden Age of Gas Scenario“ auch den Bedarf in den Industrieländern nach oben revidiert hat. Teils bedingt durch eine geringere Nutzung der Atomenergie, teils aufgrund der verglichen mit Kohle größeren Umweltverträglichkeit von Gas, wurde der Verbrauch in den OECD Ländern im Jahr 2035 um 10% nach oben revidiert. Man rechnet mit einem Verbrauch von 1.950 Mrd. Kubikmetern. Alles in allem dürfte der globale Verbrauch in diesem Szenario bis 2035 jährlich um 1,8% wachsen, wobei rund 80% des Wachstums der Gasnachfrage von den Schwellenträgern getragen wird.
Erst mittelfristig Preiserholung in den USA erwartet
Für die Preistendenzen ist das Zusammenspiel dieser drei Faktoren entscheidend, wobei zusätzlich die unterschiedlichen Preismechanismen an den jeweiligen Märkten zu berücksichtigen sind (siehe Kasten). Am amerikanischen Markt ist der rasche Produktionszuwachs aufgrund der Erfolge bei der Förderung von unkonventionellem Gas bereits seit zwei Jahren die wichtigste Preisdeterminante.
Erst kürzlich hat die EIA ihre Produktionsprognose abermals deutlich nach oben revidiert: Hatte sie im Mai noch mit einem Produktionszuwachs von 2,3% im laufenden Jahr gerechnet, wurde die Prognose Mitte Juni aufgrund der zuletzt überraschend hohen Produktionsdaten auf ein Plus von 4,5% angehoben. Die positive Produktionsentwicklung war umso bemerkenswerter, als dass die Bohraktivitäten im Gasbereich deutlich nachgelassen hatten. Gemäß Baker Hughes beläuft sich die Anzahl der aktiven Bohranlagen im Juli auf rund 875. Das sind knapp 9% weniger als vor einem Jahr.
Die Produktionserfolge machen den US-Markt immer mehr zum Selbstversorger. Das stimmt auch die Finanzanleger skeptisch. Deren Bedeutung ist am amerikanischen Markt hoch. Das zeigt sich auch in der sogenannten “Churn rate“, also dem Verhältnis von Handelsvolumen und physischer Lieferung. Schätzungen zufolge dürfte sich diese bei Henry Hub auf rund 100 belaufen. Zum Vergleich: selbst für das britische Gas NBP liegt diese nur bei rund 12.
Die spekulativen Investoren befinden sich seit geraumer Zeit auf der Netto-Short Seite und drücken damit eher den Preis, während sich diese am Ölmarkt auf der Netto-Long befinden und damit in der Tendenz eher den Preis unterstützen. Mit einem kurzfristigen Wechsel auf die Netto-Long Seite ist angesichts der bis zuletzt überraschend positiven Produktionsentwicklung eher nicht zur rechnen. Wir haben deshalb auf kurze Sicht unsere Preisprognose nach unten revidiert.
Nichtsdestotrotz rechnen wir mittelfristig mit steigenden Preisen. Zum einen dürften die Erfolge bei der Gewinnung unkonventionellen Gases nachlassen. So verweisen Experten immer wieder auf die verglichen mit der konventionellen Produktion schnelleren Erschöpfungsraten und auch die Umweltaspekte werden zunehmend kritisch gesehen. Zum anderen haben sich in den USA die Stromerzeugungskapazitäten zugunsten von Gas verschoben.
Gaskraftwerke stellten in den letzten 10 Jahren 80% der neugeschaffenen Kapazitäten und machen damit nun 39% der Kapazitäten aus (Grafik 5). Das schürt die Nachfrage. Wir rechnen deshalb mit einem Preisanstieg auf 6 MMBtu zum Jahresende 2012. Damit bleibt Erdgas aber im Vergleich zu Öl im historischen Vergleich weiterhin günstig.
Kräftiges Nachfragewachstum unterstützt Preise in Europa
Bis zur Inbetriebnahme des geplanten LNG-Exportterminals im Jahr 2015 dürften die amerikanischen Produktionserfolge bei Schiefergas die Tendenzen in der übrigen Welt nur noch geringfügig beeinflussen, da wir einen Großteil des Effektes über einen schrumpfenden Importbedarf bereits gesehen haben. Wir denken deshalb, dass vor allem die kräftig steigende globale Gasnachfrage in den kommenden Jahren die wesentliche Preisdeterminante in der übrigen Welt sein wird. Kurzfristig hat der zusätzliche Bedarf Japans bereits Spuren hinterlassen.
Verstärkt durch Libyens Exportausfälle hat sich die Situation am Gasmarkt angespannt. Langfristig wird aber vor allem Chinas Importbedarf die Preise unterstützen, denn das Angebot dürfte trotz des angestrebten Ausbaus der unkonventionellen Gasproduktion mit der Nachfrage nicht mithalten. Im bereits erwähnten“ GAS“-Szenario der IEA steigt Chinas Einfuhrbedarf von derzeit 20 Mrd. Kubikmeter auf 330 Mrd. Kubikmeter im Jahr 2035: Das Land wird damit der weltweit zweitgrößte Importmarkt, nach Europa. Vor allem aber in den nächsten Jahren ist der Anstieg immens: Bereits im Jahr 2015 dürfte China 110 Mrd. Kubikmeter einführen.
Der steigende Bedarf spielt die Verhandlungsmacht zurück in die Hände der Produzenten. In deren Interesse dürfte aber weiterhin die langfristige Ölpreisbindung sein. Denn diese sichert nicht zuletzt den Ausbau der kostenintensiven Infrastruktur der Transportwege. Ohnehin stellt sich angesichts des Nachfragezuwachses die Frage, ob die Spotpreise langfristig niedriger sein werden als die ölpreisindexierten.
Nach Fukushima: Japans LNG-Bedarf steigt kräftig
Die Atomkatastrophe in Japan dürfte nicht nur die langfristigen Perspektiven für die Nutzung der Kernenergie dämpfen. Sie hat auch kurzfristig Auswirkungen, denn derzeit fehlen in Japan 20 Gigawatt an Atomkraftkapazitäten. Schätzungen zufolge kommt vor allem die gasbasierte Stromerzeugung dafür auf. Den zusätzlichen Bedarf Japans beziffert die IEA auf 11 Mrd. Kubikmeter. Das wäre knapp 12% mehr als im Vorjahr bzw. entspräche 3,7% des LNG-Handels insgesamt. Katar, Malaysia, Indonesien und Russland sind für zusätzliche LNG-Lieferungen bereit. Die dadurch bedingte Anspannung am Markt zeigt sich im deutlichen Anspringen der Frachtraten: Diese lagen Analysten zufolge im Mai bei 94.000 USD je Tag verglichen mit 40.000 im Sommer zuvor.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: “Rohstoffe kompakt“, Commerzbank AG
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