Biokraftstoffe: Zielkonflikte immer offensichtlicher
16.07.2010 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Eine ganze Reihe an Gründen hat in den letzten Jahren zu einem erhöhten Interesse an Biokraftstoffen geführt: Die Schwankungen des Ölpreises, der steigende Energiebedarf vor allem in Entwicklungsländern sowie die politisch gewollte Unterstützung für den heimischen Agrarsektor spielen dabei ebenso eine Rolle wie eine Reduktion der Abhängigkeit von importierten klassischen Energiequellen und eine Verringerung des Treibhausgasausstoßes. Unterstützt wird dies durch aktuelle Geschehnisse wie die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon im April 2010. Dennoch bleibt umstritten, inwieweit Biokraftstoffe geeignet sind, die drängenden Probleme der weltweiten Energieversorgung zu lindern und gleichzeitig eine nachhaltige Landwirtschaft und die Ernährungssicherung voranzubringen.
Die Biokraftstoffe sind Teil der sogenannten Erneuerbaren Energien und bestehen aus primärer fester Biomasse, Biogas und flüssigen Biokraftstoffen. Zur festen Biomasse zählen insbesondere Holz und Holzkohle, Pflanzenabfälle und Dung. Die im Folgenden im Schwerpunkt betrachteten flüssigen Biokraftstoffe, die z.Zt. weltweit nur einen Anteil von 1% am gesamten Verbrauch an Transporttreibstoff haben - sind zum einen die der sogenannten ersten Generation - Ethanol aus Zucker und Stärke sowie Biodiesel aus Pflanzenöl - zum anderen die der zweiten und dritten Generationen etwa aus Zellulose oder Algen.
Zum gesamten Weltenergieverbrauch tragen noch immer die fossilen Energiequellen den Löwenanteil von etwa 80% bei. Energie aus Biomasse - synonym wird der Ausdruck Bioenergie benutzt - macht etwa 10% aus, darunter im Jahr 2005 95% feste Biomasse wie Holz, während Biogas und Bioethanol jeweils 2% und Biodiesel 1% zu dieser Kategorie beitrugen (Weltbank, 2010). Biomasse kann verschiedene Energiearten hervorbringen: Wärme, Elektrizität und Biokraftstoff. Biomasse enthält aber nicht nur Stärke, Zucker oder Öl, die zu Biokraftstoffen verarbeitet werden, sondern auch Zellulose, die bisher nur durch Verbrennen Wärme und Elektrizität erzeugen konnte.
Inzwischen wurden Versuche gestartet, Zellulose durch bestimmte Verfahren zur Herstellung von flüssigen Biokraftstoffen zu nutzen. Da man hierbei die ganze Pflanze nutzen könnte, würde die Menge an Kraftstoff aus einer Einheit Pflanze erheblich erhöht. Für die Zeit bis 2030 erwartet die Weltbank einen Anstieg der Bioenergieproduktion von 1.171 Mio. Tonnen Öläquivalent (MTOE) auf 1.633 Mio. Tonnen. Zwar geht die traditionelle Nutzung von fester Biomasse zurück, dafür werden Nutzungen wie die zur Strom- und Wärmegewinnung oder auch in Form von Holzpellets stark steigen.
Der Beitrag der flüssigen Biokraftstoffe zum Gesamtausbau der Bioenergie wird besonders hoch sein in Nordamerika (90% Ethanol). Es folgen die EU (3/4 Biodiesel), Ostasien (über die Hälfte Biodiesel) und Lateinamerika (90% Ethanol). Inwieweit sich die Nutzung von Biokraftstoffen als sinnvoll erweist, hängt auch davon ab, welche Bioenergien effizient zur Verringerung des Klimawandels beitragen können und welche Auswirklungen auf Land- und Forstwirtschaft sowie die Nahrungsmittelversorgung zu erwarten sind. Hier besteht große Uneinigkeit. Nach einer Studie von Ravindranath et al (2008) würde bis 2030 je nach Annahme über Ausgangsprodukt, Produktionsort und -intensität eine Fläche von 118 bis 508 Mio. Hektar benötigt, um 10% der Transportkraftstoffe aus Biokraftstoffen der ersten Generation zu gewinnen (Grafik 2).
Die gesamte Ackerfläche beträgt etwa 1,5 Mrd. Hektar und ist nur sehr begrenzt vermehrbar. Gegen die Vorteile aus Treibhausgasvermeidung beim Biokraftstoffverbrauch muss dann ein möglicher Verlust an Wald und eine höhere Intensität der Produktion inklusive des damit verbundenen Mehrausstoßes von Treibhausgasen durch erhöhten Düngerverbrauch aufgerechnet werden. Es bestehen zudem große regionale Unterschiede: Um 10% der Transportkraftstoffe aus Biokraftstoffen herzustellen, müsste Brasilien nur 3% seiner Agrarfläche nutzen, die EU dagegen 70% (Connor u.a., 2008). Auch der Wasserbedarf bei der Herstellung ist sehr unterschiedlich. Eine Studie von Gerbens-Leenes et al (2009) zeigt, dass der Wasserbedarf zur Herstellung eines Liters Biodiesel deutlich höher ist als der zur Ethanolproduktion (Grafik 3).
In den USA basiert die Ethanolproduktion weitgehend auf Mais (Grafik 4), in der EU dagegen auf einer Mischung von Getreiden und zu einem kleinen Teil auf Zuckerrüben. Als größter Verbraucher mit einem aktuellen Anteil von 8% Ethanol an den gesamten Transporttreibstoffen sind die USA trotz der weltweit höchsten Produktion auf Ethanolimporte angewiesen (Grafik 5). Dagegen ist Brasilien der weltweit mit Abstand größte Exporteur an Ethanol, hergestellt aus Zuckerrohr. Aber auch Länder wie Argentinien, Südafrika, Indonesien und Pakistan exportieren Ethanol.
Auch mittelfristig wird es die Region Lateinamerika und Karibik – vor allem Brasilien – sein, die ihre Position am Markt für Ethanol aufgrund ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Gebiet ausbauen wird. Denn bei einem standardisierten Produkt wie Ethanol sind die niedrigen Produktionskosten und die Möglichkeit, große Flächen in die Produktion zu nehmen, ein klarer Wettbewerbsvorteil (FAO-OECD Outlook, S. 36). Auch intern ist die Nachfrage nach Ethanol stark gestiegen, nicht zuletzt aufgrund eines für Ethanol günstigen Preisverhältnisses zu Benzin: In den letzten drei Jahren stieg der Verbrauch an Ethanol in Brasilien nach Angaben der Zuckerindustrievereinigung UNICA um 78%, der Benzinverbrauch dagegen nur um 3%, nachdem 90% der Neuwagenverkäufe auf sogenannte Flex-Fuel-Fahrzeuge entfallen.
Nach Schätzungen der Weltbank ist damit zu rechnen, dass der Bedarf an Zuckerrohr zur Ethanolherstellung in der Region von 205 Mio. Tonnen in 2005 bis 2030 auf 510 Mio. Tonnen steigen wird. In 2009/10 wurden nach UNICA-Angaben 57% des Zuckerrohrs zu Ethanol verarbeitet mit ähnlicher Perspektive für 2010/11. Auch die Produktion von Biodiesel, weitgehend aus Sojabohnen und Ölpalmen wird steigen, wobei hier auch Argentinien neben dem Hauptakteur EU eine größere Rolle spielt. Die Weltbank weist allerdings auf die damit verbundenen Gefahren hin: Insbesondere der zusätzliche Flächenbedarf lässt einen rückläufigen Anbau von Nahrungsmitteln und/oder eine Ausdehnung der Felder zulasten von Waldfläche befürchten. Immerhin sieht die Weltbank einen zusätzlichen Flächenbedarf zur Bioenergiegewinnung von 12,3 Mio. Hektar in der Region, davon 8 Mio. Hektar für Biodieselgrundstoffe.
Nur wenn eine Waldvernichtung in engen Grenzen gehalten werden kann, besteht aber ein nennenswertes Potenzial zur Verminderung von Treibhausgasemissionen, da der größte Teil der Bioenergie aus Ethanol aus Zuckerrohr kommen wird, das in dieser Hinsicht die beste Bilanz aufweist (Grafik 6). Auch dieser Aspekt - der etwa die US-Umweltbehörde EPA im Februar veranlasste, Ethanol aus Zuckerrohr als fortgeschrittenen Biokraftstoff einzustufen, der über 50% an Treibhausgasen einspart - ist ein großer Wettbewerbsvorteil für Brasilien, der erhöhte Exporte in Aussicht stellt. Er bietet Brasilien auch ein gutes Argument in seinem Protest gegen den noch immer bestehenden Einfuhrzoll der USA.
Auch in den USA ist mit einer Ausdehnung der Fläche zur Bioenergiegewinnung zu rechnen, wenn die Vorgaben des Renewable Fuel Standard RFS erfüllt werden sollen. Grundlage der US-Politik ist der Energy Independence and Security Act von 2007 (EISA), in dem eine Untergrenze für die US-Biokraftstoffproduktion bis 2020 formuliert und Zielvorgaben für die Herstellung aus bestimmten Basisstoffen gemacht werden. Konkret wird unter der Erwartung, dass der US-Energieverbrauch bis 2030 um 50% steigt, die Vorgabe gemacht, dass die Produktion an Biokraftstoffen bis 2022 auf 36 Mrd. Gallonen steigen muss. Allerdings sollen 21 Mrd. durch Biokraftstoffe neuerer Generation erfüllt werden, nur bei 15 Mrd. kommt eine Erfüllung durch traditionelle Biokraftstoffe wie Ethanol aus Mais in Frage.
In 2007 verbrauchten die USA 6,8 Mrd. Gallonen Ethanol und 0,5 Mrd. Gallonen Biodiesel. In 2010 und für 2010 wurden allerdings die Anforderungen an die Herstellung von Biokraftstoffen aus Zellulose auf 6,5 Mio. Gallonen reduziert, statt der in EISA zu diesem Zeitpunkt bereits vorgesehenen 100 Mio., nachdem die Produktionskapazitäten bisher längst nicht in dem erwarteten Maße aufgebaut wurden. Derzeit gibt es ein 10%-Maximum für die Beimischung von Ethanol zu Benzin in den USA. Da maisbasiertes Ethanol auch bis auf weiteres fast die gesamten Biokraftstoffe der USA stellen wird und ein Drittel der US-Maisproduktion beansprucht, erwartet das USDA bis 2015 eine Ausdehnung der Maisfläche um 3,5% mit Schwerpunkt auf den bereits jetzt starken Anbaugebieten in den Nördlichen Plains.
Da Mais als stickstoffdüngerintensiv gilt, sind die damit verbundenen Gefahren für die Wasserqualität eine Sorge des USDA. Mit zunehmender Verwendung für Biokraftstoffe könnten Soja und Mais als Futtermittel knapper werden und die Fleischproduktion beeinträchtigen. Allerdings erwartet das USDA nur einen Rückgang der Tierproduktion um einen halben Prozentpunkt gegenüber der Referenzsituation ohne EISA.
In 2008 machten Biokraftstoffe 3,4% des Gesamtverbrauchs an Transportkraftstoffen in der EU aus. Dabei musste 26% des Biodiesels und 31% des Ethanols importiert werden, weitgehend aus den USA und aus Brasilien. Selbst produziert hat die EU in 2008 7,78 Mio. Tonnen Biodiesel - in hohem Maße aus Rapsöl - und 2,855 Mio. Tonnen Ethanol. Die Union hat sich in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie von 2009 das Ziel gesetzt, bis 2020 20% des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien (Solar-, Wind-, Wasserenergie, feste Biomasse, Biokraftstoffe) zu decken. 10% der verbrauchten Energie im Verkehrssektor soll aus erneuerbaren Quellen stammen - 70% davon aus Biokraftstoffen.
Für 2010 gilt eine Vorgabe von 5,75%. Umweltbedenken möchte die EU-Kommission mit Richtlinien begegenen, wonach Biokraftstoffe nicht aus Material aus Tropenwäldern oder jüngst entwaldeten Gebieten oder solchen mit hoher Biodiversität hergestellt werden sollen. Allerdings schrecken gerade Untersuchungen im Auftrag der EU- Kommission auf, die mit verschiedenen Modellen und Annahmen durchschnittlich einen zusätzlichen Flächenbedarf von 4,5 Mio. Hektar Land, etwa die Größe Dänemarks, ermitteln, wenn bis 2020 7% der Transportkraftstoffe aus Biokraftstoffen bestehen sollen. Energiekommissar Öttinger hat die Möglichkeit von Gesetzesänderungen eingeräumt, sollten sich die Bedenken einer hohen indirekten Landnutzungsänderung bestätigen.
Die Weltbank schätzt, dass der jährliche Bioethanolverbrauch der Welt, der 2005 erst 25 Mio. Tonnen betragen hatte, zwischen 2010 und 2030 von etwa 60 Mio. Tonnen auf 170 Mio. Tonnen steigen wird. Den Hauptteil der Ausweitung wird Nordamerika stellen, das alleine seinen Verbrauch von etwa 36 Mio. Tonnen in 2010 auf etwa 105 Mio. Tonnen ausdehnen soll. In Lateinamerika soll der Verbrauch um über die Hälfte steigen, in der EU soll er sich auf etwa 12 Mio. Tonnen verdoppeln. Eine Vervielfachung auf etwa 20 Mio. Tonnen wird für Ostasien, weitgehend China, erwartet. Der weltweite Verbrauch von Biodiesel wird nach den Schätzungen der Weltbank von 5 Mio. Tonnen in 2005 auf 65 Mio. Tonnen in 2030 steigen.
In ähnlichen Größenordnungen bewegt sich auch die Schätzung von OECD und FAO (Grafiken 7 und 8), die allerdings den Blick nur bis 2019 in die Zukunkft richten. Während in 2008 noch 10 Mrd. Liter Biodiesel und 52 Mrd. Liter Ethanol produziert wurden, sollen es nach OECD-FAO-Prognose in 2019 41 Mrd. Liter Biodiesel und 159 Mrd. Liter Ethanol sein. Während bei Ethanol unbestritten Brasilien der Hauptlieferant auf dem Weltmarkt sein wird, hat diese Rolle bei Biodiesel Argentinien inne. Allerdings wird das Handelsvolumen an Biodiesel insgesamt recht gering bleiben.
Die OECD schätzt, dass bei Umsetzung der US EISA und der EU Erneuerbare-Energien-Richtlinie etwa 20% der weltweiten Pflanzenölproduktion und 13% der Grobgetreideproduktion – meist Mais – in die Biokraftstoffproduktion fließen könnten. Bereits ohne diese neuen Politiken schätzte die OECD den mittelfristigen durch Biokraftstoffe bedingten Preisanstieg auf 5%, 7% und 19% bei Weizen, Mais bzw. Pflanzenöl. Mit den neuen Politiken könnten ihrer Ansicht nach die Preise doppelt so stark steigen. Nicht zuletzt deswegen rechnen OECD und FAO in ihrem Ausblick 2010-2019 mit einer Ausweitung der weltweiten Produktion an Öl aus Ölsaaten um 30% gegenüber 2007/09, der gesamten Pflanzenölproduktion, d.h. inklusive Palmöl, sogar um 40%.
Der Anteil der Biodieselproduktion am gesamten Pflanzenölverbrauch soll laut dieser Prognose von 9% aufgrund der Mandate auf 15% steigen. Auch die Preise für Biodiesel und Ethanol sollten mittelfristig nach oben gerichtet sein. Gegenüber dem Niveau von 2009 schätzen OECD und FAO einen Anstieg des Ethanolpreises um 24% bis 2019, bei Biodiesel soll der Preisanstieg mit 35% sogar noch stärker ausfallen.
Alles in allem bleibt festzuhalten, dass der Markt für Biokraftstoffe weiter wachsen wird, der Einsatz dieser Kraftstoffe aber kein Allheilmittel ist. Vielmehr bestehen hohe Unsicherheiten bei der Bewertung möglicher Auswirkungen. Auch die Aussichten für Biokraftstoffe der nächsten Generation sind noch unklar. Potenziell könnte der Agrarsektor davon stark beeinflusst werden, denn gerade bei der Herstellung der zweiten Generation an Biotreibstoffen wird ein Großteil der Grundprodukte, wie Pflanzenabfälle und Tier- und Pflanzenfette aus der Landwirtschaft stammen. Noch allerdings ist die Produktion von Treibstoff etwa aus Zellulose deutlich teurer als die aus Mais. Aufgrund der noch extrem hohen Kosten wird die Produktion von Biokraftstoffen aus Algen laut USDA vorläufig sogar nur zur militärischen Nutzung vorangetrieben.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: “Rohstoffe kompakt“, Commerzbank AG
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