Industriemetalle: Preiskorrektur kommt später als erwartet
28.04.2010 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Die Rohstoffpreise zeigen sich in diesem Jahr bislang für uns unerwartet stark und können teilweise deutlich zulegen. Gestützt werden die Preise neben positiven Konjunkturdaten und dem unvermindert hohen Optimismus der spekulativen Finanzanleger vor allem durch die weiterhin hohe Importdynamik Chinas. Wir gehen nach wie vor von einer Korrektur der Preise in diesem Jahr aus, erwarten diese aber jetzt später und passen entsprechend unsere Prognosen an.
Entgegen unseren Erwartungen zeigen sich die Rohstoffpreise in diesem Jahr bislang äußerst robust und können teilweise deutlich zulegen. Die beste Preisentwicklung unter den Industriemetallen weist dabei Nickel auf, das sich seit Jahresbeginn um fast 45% verteuert hat. Bis auf Zink und Blei weisen auch die anderen Metalle eine positive Preisentwicklung auf (Grafik 1).
Unserer Meinung nach haben im Wesentlichen drei Faktoren zu den aktuell sehr hohen Preisen beigetragen: 1) positive Konjunkturdaten, 2) Importdynamik Chinas sowie 3) anhaltend hoher Optimismus und hohe Aktivität der spekulativen Finanzanleger. Wir bleiben jedoch skeptisch bezüglich der Nachhaltigkeit dieser Faktoren.
Rund um den Globus wurden zuletzt positive und zum Teil besser als erwartete Konjunkturdaten veröffentlicht, die auf eine Erholung der globalen Wirtschaft hindeuten. Dies wird zugleich als Indikator für eine steigende Rohstoffnachfrage gesehen. Die Erholung der Wirtschaft scheint mittlerweile auch in Europa angekommen zu sein. In den USA setzt sie sich derweil fort. Während dort die aktuelle Niedrigzinspolitik aber noch beibehalten wird, schließt man andernorts, wie z.B. in Kanada, Zinserhöhungen nicht mehr kategorisch aus, was als positives Signal der Wirtschaft gedeutet werden kann.
Für Kanadas Wirtschaft spielt die Rohstoffproduktion eine vergleichsweise große Rolle. Auch Australien, ein weiteres rohstoffreiches Land, hat jüngst zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit die Zinsen angehoben. Der stärkste Treiber der weltweiten Konjunkturerholung bleibt bislang allerdings China. Im Reich der Mitte ist das BIP im ersten Vierteljahr 2010 um 11,9% gegenüber Vorjahr und damit so stark wie zuletzt im zweiten Quartal 2007 gewachsen. Dies birgt jedoch auch die Gefahr einer Überhitzung.
Die chinesische Regierung hat bereits erste monetäre Maßnahmen ergriffen, um das starke Wachstum unter Kontrolle zu bringen. Erste Erfolge wurden mit einer Abschwächung der Kreditvergabe im März sichtbar. China muss weitere Maßnahmen implementieren, wenn das bislang noch gültige Ziel eines BIP-Wachstums von 8% für das Gesamtjahr 2010 nicht wesentlich überschritten werden soll. Dies sollte sich negativ auf die Rohstoffnachfrage und damit -preise auswirken.
Für uns unerwartet stark fällt bislang in diesem Jahr die Importdynamik Chinas aus (Grafik 2). Vor allem bei Kupfer sind die Einfuhren nach den rekordhohen Importen im vergangenen Jahr – zum einen wurden sie durch das chinesische Konjunkturprogramm angefacht, zum anderen wurden die damals relativ niedrigen Preise opportunistisch zum Aufbau von Lagerbeständen genutzt – in den letzten beiden Monaten erneut gestiegen. Mit 337 Tsd. Tonnen haben sie im März das höchste Niveau seit Mitte letzten Jahres erreicht. Auch die Importe von Aluminium, Zink und Blei haben sich im März im Vergleich zum Vormonat erhöht. Damit üben die Importdaten weiterhin einen hohen Einfluss auf die Preise aus. Bereits im vergangenen Jahr haben sie die Metallpreise massiv unterstützt und maßgeblich zu deren Anstieg beigetragen. Die Einfuhren dürften kurzfristig weiter hoch bleiben und sich somit positiv auf die Preise auswirken.
Mittelfristig gehen wir jedoch nach wie vor von einem deutlichen Nachlassen der chinesischen Importdynamik aus. Auslöser eines Rückgangs könnten die monetären Maßnahmen der chinesischen Regierung sein, die überhitzte lokale Wirtschaft abzukühlen. Neben dem negativen psychologischen Effekt dürfte sich dies auch direkt auf die Märkte auswirken. Darüber hinaus laufen in China demnächst die Konjunkturprogramme aus, was den Importen ebenfalls einen Dämpfer versetzen sollte. Im Gegensatz dazu nehmen die Exporte Chinas deutlich zu. Im März haben sich die Ausfuhren aller Metalle bis auf Zinn im Vergleich zum Vorjahr vervielfacht. Bei Blei war China im letzten Monat zum ersten Mal seit Mitte 2008 wieder Netto-Exporteur. Damit trägt das Land verstärkt zur Ausweitung des globalen Angebots bei, wodurch die Angebotsüberschüsse an den Metallmärkten mit Ausnahme von Nickel beibehalten werden dürften.
Nach wie vor scheinen die spekulativen Finanzanleger das Heft in der Hand zu halten. Nach einem kurzfristigen Rückgang der Netto-Long-Positionen an der COMEX Ende Januar / Anfang Februar wurden diese in den letzten Wochen schnell wieder aufgebaut. Mit knapp 30 Tsd. Kontrakten liegen sie mittlerweile nur noch marginal unter dem im Januar markierten Allzeithoch. Dass das Interesse der Finanzinvestoren nicht nur an der COMEX hoch ist, spiegelt sich auch in der Anzahl der ausstehenden Futures-Kontrakte (s.g. open interest) an der Londoner Metallbörse LME wider. Mit knapp 290 Tsd. ausstehenden Kontrakten bei Kupfer sind diese kürzlich auf ein Rekordniveau gestiegen (Grafik 3).
Auch bei Nickel, Zink und Blei haben sich die ausstehenden Futures-Kontrakte zuletzt deutlich erhöht. Das hohe Investoreninteresse dürfte die Metallpreise zunächst weiter unterstützen. Je länger die Investoren allerdings das Heft bei den Industriemetallen in der Hand halten, desto größer wird das Korrekturpotenzial. Einen Vorgeschmack, was passieren kann, wenn sich die spekulativen Finanzanleger vom Markt zurückziehen, gab es bereits Ende Januar: Die Metallpreise sind innerhalb von nur vier Wochen um bis zu 30% eingebrochen.
Wir gehen nach wie vor von einer deutlichen Korrektur der Metallpreise aus, erwarten diese nun allerdings erst in den Sommermonaten. Die Preise haben unseres Erachtens nach oben überschossen und die noch schwachen fundamentalen Rahmendaten sind nicht ausreichend in den Preisen reflektiert. Nach der antizipierten Korrektur, die sich in unseren Prognosen für das dritte Quartal widerspiegelt, dürften sich die Preise anschließend erholen und bis Ende 2011 wieder steigen (siehe Prognosen auf Seite 5).
Ausgewählte Industriemetalle im Einzelnen
Nickel:
Mit einer Preisentwicklung von +45% weist Nickel unter den Industriemetallen in diesem Jahr bislang mit Abstand die beste Performance auf. Bei über 27.500 USD je Tonne wurde vor kurzem ein Zweijahreshoch markiert. In den letzten zwölf Monaten hat sich der Preis damit mehr als verdoppelt. Was hat zu diesem rasanten Anstieg geführt und wie geht es weiter?
Der Nickelpreis ist von seinem zwischenzeitlichen Hoch von über 33.000 USD je Tonne im Frühjahr 2008 im Vergleich zu den anderen Metallen überproportional eingebrochen, so dass das Aufholpotenzial bei Nickel größer war. Zudem haben, wie bei den meisten anderen Metallen auch, die Finanzanleger das Heft in die Hand genommen. Die Anzahl der ausstehenden Futures-Kontrakte an der LME liegt mittlerweile bei knapp 99 Tsd. Kontrakten und nur geringfügig unter dem Allzeithoch.
Fundamental betrachtet könnte der Nickelmarkt in diesem Jahr zum ersten Mal seit vier Jahren wieder ein Angebotsdefizit aufweisen. Dies ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen erholt sich derzeit die Edelstahlbranche deutlich, die mit ca. 70% der größte Abnehmer von Nickel ist und hart von der Wirtschaftskrise getroffen wurde. Nach einer vorübergehenden Reduzierung der Produktion wurde die Auslastung der Kapazitäten schnell wieder erhöht (Grafik 4). Vor allem in China operieren die Fabriken mittlerweile nahezu bei Vollauslastung. Gemäß Einschätzung des Research-Unternehmens CRU könnte sich die globale Edelstahlproduktion in diesem Jahr um 15% auf 29 Mio. Tonnen erhöhen, was zu einer steigenden Nickelnachfrage führt.
Die Edelstahlhersteller füllen derzeit ihre Lagerbestände wieder auf, nachdem diese während der Wirtschaftskrise stark reduziert wurden, um Betriebskapital freizusetzen. Zudem können die hohen Rohmaterialkosten offensichtlich noch relativ problemlos an die Endabnehmer weitergegeben werden.
Zum anderen halten auf der Angebotsseite die Produktionsprobleme an. Der Streik in den Nickelminen von Vale Inco im kanadischen Sudbury hat mittlerweile einen unrühmlichen Höhepunkt erreicht: Mit mehr als 8 Monaten ist er der längste Streik in der über 60-jährigen Unternehmensgeschichte. Die kanadischen Nickelminen von Vale Inco haben eine Produktionskapazität von 160 Tsd. Tonnen p.a. und stehen damit für 10% der globalen Nickelproduktion.
Die Nickel-Vorräte in den Lagerhäusern der LME sind zwar von ihrem Allzeithoch Anfang Februar mittlerweile um über 10% zurückgegangen, die Reichweite der Lagerbestände liegt aber immer noch bei rund 1,5 Monaten und damit so hoch wie seit 1995 (Grafik 5). Laut Angaben des chinesischen Research-Unternehmens Antaike liegen in China außerhalb der börsenerfassten Lagerhäuser zusätzlich rund 140 Tsd. Tonnen Nickel. Dies entspricht mehr als 10% der gesamten weltweiten Jahresproduktion. Im Zuge der aktuell sehr hohen Preise dürfte die Produktion weiter ausgeweitet werden. In den letzten Monaten wurden bereits stillgelegte Anlagen wieder in Betrieb genommen und verschobene Projekte reaktiviert.
Unserer Meinung nach hat der Nickelpreis nach oben überschossen. Wir gehen daher in den Sommermonaten von einer deutlichen Korrektur aus. Nach einem Rückgang auf durchschnittlich 21.700 USD je Tonne im dritten Quartal sollte sich der Preis wieder erholen. Ende 2011 sehen wir Nickel dann wieder in etwa auf dem heutigen Niveau.
Aluminium:
Zwar wird die globale Nachfrage in diesem Jahr noch maßgeblich durch China unterstützt, allerdings erwarten wir zum einen einen baldigen Rückgang der Importe, zum anderen wird auch die Produktion deutlich ausgeweitet. Außerhalb Chinas erholt sich die Nachfrage nur langsam, in Teilen wie z.B. der Automobilindustrie wurde sie zudem künstlich durch staatliche Förderprogramme herbeigeführt, so dass die Nachhaltigkeit in Frage gestellt werden muss. In China selbst könnte die Nachfrage laut Einschätzung des größten chinesischen Aluminiumproduzenten, Chinalco, in diesem Jahr um 20% auf rund 17 Mio. Tonnen steigen. Weniger optimistisch schätzt das chinesische Research-Unternehmen Antaike die Lage ein: Es sieht die Nachfrage in China in diesem Jahr bei "nur" 15,9 Mio. Tonnen. In jedem Fall hätte sich die weltweite Nachfrage ohne China nur moderat erholt (Grafik 6).
Noch schneller als die Nachfrage erhöht sich derzeit im Zuge der hohen Preise das Angebot. Gemäß Schätzungen von Antaike wird China in diesem Jahr 17 Mio. Tonnen Aluminium herstellen und somit für einen lokalen Überschuss von mehr als 1 Mio. Tonnen sorgen. Im März wurde die Produktion auf ein neues Rekordhoch von 1,36 Mio. Tonnen gesteigert. Im Zuge dessen dürfte China 2010 wieder zum Netto-Exporteur werden und 300 Tsd. Tonnen Aluminium netto ausführen. Der US-amerikanische Aluminiumproduzent Alcoa erwartet einen globalen Angebotsüberschuss von 1,2 Mio. Tonnen. Im letzten Jahr betrug dieser laut Daten von WBMS gut 940 Tsd. Tonnen.
Zur Ausweitung des globalen Angebots tragen ebenso neue Raffinerien bei, die kürzlich in Betrieb genommen wurden bzw. deren Inbetriebnahme noch bevorsteht. Vor allem im Mittleren Osten wird die Produktion aufgrund niedrigerer Stromkosten und der Nähe zum Hauptabnehmer China derzeit kräftig ausgebaut. In den VAE wurde der Betrieb in der weltweit größten Aluminiumraffinerie mit einer Kapazität von 1,4 Mio. Tonnen p.a. aufgenommen. Im Nachbarland Katar entsteht derzeit ebenfalls eine Raffinerie mit einer Startkapazität von knapp 600 Tsd. Tonnen. Der Mittlere Osten dürfte in drei Jahren rund 10% der weltweiten Aluminiumproduktion ausmachen.
Dem gegenüber stehen mögliche Schließungen von Raffinerien in Europa, vor allem aufgrund steigender Stromkosten. Gemäß Angaben des europäischen Aluminiumverbandes könnten bis 2013 zwei Drittel der Kapazitäten stillgelegt werden. In Europa wurden im letzten Jahr ungefähr 4 Mio. Tonnen Aluminium produziert.
Kurzfristig dürfte dies jedoch kaum Auswirkungen auf das Angebot haben, so dass die Lagerbestände weiter steigen sollten. In den Lagerhäusern der LME stagnieren sie mit aktuell 4,55 Mio. Tonnen seit Monaten nahe des Rekordhochs, in denen der Börse Shanghai haben sie zuletzt Woche für Woche neue Höchststände markiert (Grafik 7). Außerhalb der börsenregistrierten Lagersysteme in China liegen Angaben von CBI China zufolge weitere rund 600 Tsd. Tonnen Aluminium. Da einige lokale Lagerhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, muss auf andere Regionen ausgewichen werden. Nach wie vor sind laut Schätzungen von CRU 60-70% der Börsenlagerbestände durch langfristige Finanztransaktionen gebunden und stehen dem Markt daher nicht zur Verfügung. Allerdings könnten diese im Laufe des Jahres auf den Markt kommen und so das Angebot zusätzlich ausweiten.
Der Aluminiummarkt bleibt somit gut versorgt, der hohe Preis kann fundamental nicht gerechtfertigt werden. Wir gehen daher von einer Korrektur auf durchschnittlich 2.050 USD je Tonne im dritten Quartal aus. Anschließend dürfte sich der Preis wieder erholen.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: "Rohstoffe kompakt", Commerzbank AG
Diese Ausarbeitung dient ausschließlich Informationszwecken und stellt weder eine individuelle Anlageempfehlung noch ein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder sonstigen Finanzinstrumenten dar. Sie soll lediglich eine selbständige Anlageentscheidung des Kunden erleichtern und ersetzt nicht eine anleger- und anlagegerechte Beratung. Die in der Ausarbeitung enthaltenen Informationen wurden sorgfältig zusammengestellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Einschätzungen und Bewertungen reflektieren die Meinung des Verfassers im Zeitpunkt der Erstellung der Ausarbeitung und können sich ohne vorherige Ankündigung ändern.