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Benzin zunächst noch stark gefragt, aber dann …

31.05.2017 | 7:00 Uhr | Eugen Weinberg, Commerzbank AG

Unbestritten: Derzeit ist für die Preise am Ölmarkt vor allem das Angebot entscheidend, das zur Zeit maßgeblich durch gut zwei Dutzend Produzentenländer gesteuert wird. Am Markt dreht sich folglich fast alles um Anreize und Disziplin. Die Nachfrageperspektiven werden dagegen kaum diskutiert. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Nachfrage so "glatt läuft": Im laufenden Jahr dürfte die Weltölnachfrage zwar nicht mehr ganz so stark steigen wie in den zwei Jahren zuvor, aber noch immer sehr robust das siebte Jahr in Folge zulegen.

Wir schauen in diesem Rohstoffe kompakt dennoch genauer hin, was die Nachfrage treibt, wo stärkeres Wachstumspotenzial ist und wo eine Verlangsamung droht. Dass auf der Nachfrageseite alles so rund läuft, ist vor allem dem Transportsektor zu verdanken. Grundsätzlich macht der Bedarf zu Transportzwecken nur rund ein Viertel des weltweiten Energiebedarfs aus. Jedoch rund 95% dieses Energiebedarfs werden durch Öl oder andere flüssige Treibstoffe abgedeckt.

Entsprechend hoch ist die Bedeutung des Transportsektors für den weltweiten Ölverbrauch: Heute werden laut Internationaler Energieagentur IEA knapp zwei von drei Barrel Öl für den Transport verbraucht; zum Vergleich: Mitte der 70er Jahre war es nicht einmal jedes zweite Barrel). Benzin wiederum ist derzeit der wichtigste Kraftstoff zu Transportzwecken. Schließlich entfallen rund 90% des Treibstoffbedarfs auf den Straßenverkehr. Dabei spielt der Pkw-Verkehr die deutlich größere Rolle, und das wiederum ist vor allem auf die Industrieländer zurückzuführen.

In den Schwellenländern dagegen entfällt der größere Teil des Treibstoffbedarfs auf die Beförderung von Gütern, also den Lkw-Verkehr. Es verwundert daher kaum, dass der Bedarf der Schwellenländer zu Transportzwecken noch hinter dem der OECD-Länder hinterherhinkt, während bezogen auf die Ölnachfrage insgesamt die Schwellenländer im Jahr 2014 die Industrieländer überholt haben. Das dürfte sich aber mit der zunehmenden Fahrzeugdichte in den Schwellenländern ändern (Grafik 1).



Auf Sicht der nächsten fünf Jahre wird die Bedeutung des Transportsektors für den Ölmarkt sogar noch zunehmen. Schließlich soll der steigende Bedarf fast die Hälfte des Wachstums der globalen Ölnachfrage ausmachen, was absolut knapp 4 Mio. Barrel pro Tag zusätzlich wären.

Der zunehmende Benzinbedarf gründet sich vor allem auf die steigende Fahrzeugdichte in den Schwellenländern. In China beispielsweise hat derzeit nicht einmal jeder Zehnte einen Pkw, während es in den OECD-Ländern mehr als jeder Zweite ist. Doch die Verkäufe wuchsen dank der steigenden Einkommen und zusätzlicher Steueranreize rasant: Mit knapp 28 Mio. verkauften Fahrzeugen war der Absatz in China 2016 knapp 14% höher als im Vorjahr, es war ein neuer Rekord in China und weltweit.

Noch niedriger ist die Fahrzeugdichte in Indien oder Afrika, aber auch dort sollen die Zahlen steigen (Grafik 2). Und selbst in den OECD-Ländern wird mit einer noch immer leicht steigenden Fahrzeugdichte gerechnet. Konkret in Zahlen bedeutet das laut Zahlen des World Oil Outlook der OPEC: In der OECD wird die Pkw-Zahl bis zum Jahr 2020 von knapp 620 Mio. auf 645 Mio. steigen. Die übrige Welt holt auf: Hier steigt die Zahl der Pkw deutlich stärker, nämlich um 130 Mio. auf gut 550 Mio. Damit bleibt sie aber noch immer hinter dem Fahrzeugbestand in den Industrieländern zurück.

Neben der Anzahl der Fahrzeuge ist die Anzahl der gefahrenen Kilometer und der Verbrauch bzw. der Antrieb relevant für den Kraftstoffbedarf. Während die Fahrleistung bzw. die Nutzung eines Autos primär vom Einkommen und Benzinpreis abhängig ist, hängt der Fahrzeugverbrauch vom technischen Fortschritt ab. Dieser wiederum ist teils politisch forciert, teils von dem Kaufverhalten der Kunden abhängig. Letzteres dürfte ebenso wie die Fahrtätigkeit vom Einkommen und Benzinpreis abhängen: Denn je höher der Preis, desto mehr rückt der Kraftstoffverbrauch je Kilometer in den Fokus.

Fakt ist, dass mittlerweile für drei Viertel aller Pkw verpflichtende Effizienzvorgaben existieren, und die Folgen sind gut spürbar: Laut IEA wäre der globale Ölverbrauch ohne solche Vorgaben im Jahr 2014 täglich rund 2,3 Mio. Barrel höher gewesen. Die Wirkung der verbindlichen Vorgaben zeigt sich auch am US-Benzinmarkt: Denn die Einführung der CAFE (Corporate average fuel economy) Standard, welche die Kraftstoffeffizienz einer neu zuzulassenden Fahrzeugflotte eines Herstellers vorgeben, ließ zwischen 1975 und 1985 die Kraftstoffeffizienz deutlich steigen (Grafik 3).

Der dann bis zum Jahr 2005 folgende politische Stillstand führte sogar zu einer Verschlechterung der Kraftstoffeffizienz. Die anschließende Verschärfung der Standards, auch für leichte Lkws, zu denen SUVs zählen, ließ den durchschnittlichen Verbrauch in den USA wiederum stärker fallen. Das zeigen auch die bereinigten Verbrauchskennzahlen der Umweltbehörde EPA, die unter realen Bedingungen ermittelt werden.

Auch in anderen Ländern sind zweifellos deutliche Fortschritte beim Kraftstoffverbrauch zu verbuchen, und es wird davon ausgegangen, dass sich diese in den kommenden Jahren fortsetzen werden. Doch trotz ehrgeiziger politischer Vorgaben bleibt zweifellos der Kraftstoffpreis von Bedeutung: So ist laut Umweltbehörde EPA nach dem Preisverfall im Jahr 2015 der Anteil der SUVs an der Autoproduktion auf 38% nach oben gesprungen.

[pagebreak]In den USA ist der Preisrückgang wegen der geringen Besteuerung stärker zu spüren als beispielsweise in Europa, wo die Steuer einen erheblich größeren Anteil am Benzinpreis ausmacht und damit die Preisveränderung dämpft.

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Neben der Verbesserung der Kraftstoffeffizienz können die alternativen Antriebsarten die Benzinnachfrage dämpfen. Auf dem Vormarsch sind hier vor allem die Elektroautos. Laut IEA lag die Zahl der Elektroautos im Jahr 2015 bereits bei knapp 1,3 Mio. Fahrzeugen. In den acht größten Märkten hat sich die Anzahl in einem Jahr fast verdoppelt (Grafik 4).

Das rasante Wachstum dürfte sich im letzten Jahr fortgesetzt haben: Vor allem in China bestehen hohe Kaufanreize; so müssen beispielsweise Kfz-Kennzeichen für E-Autos nicht wie für herkömmlich betriebene Autos in einer Lotterie gewonnen werden. Viele andere Länder setzen hohe Steueranreize.

Laut der internationalen Electric Vehicle Initiative der Regierungen (EVI) sollen bereits im Jahr 2020 rund 20 Mio. Elektrofahrzeuge weltweit auf den Straßen unterwegs sein. Vor dem Hintergrund der letzten Wachstumszahlen scheint das nicht ausgeschlossen. Die IEA ist in ihren Schätzungen allerdings etwas vorsichtiger und rechnet nur mit 15 Mio. E-Autos im Jahr 2022.

Aber was bedeutet das immense Wachstum für die Benzinnachfrage? Auf Sicht der nächsten fünf Jahre zunächst nicht viel: Derzeit liegt der Marktanteil der E-Autos unter 1%. Laut den - wie gesagt - bislang eher vorsichtigen Schätzugen der IEA dürfte der Marktanteil bei weiter steigender Fahrzeugflotte auch im Jahr 2022 gerade mal auf 1,1% steigen. Da zudem die Hälfte der E-Autos sogenannte Hybrids sind, also auch mit Benzin betrieben werden können, schätzt die IEA, dass auch in fünf Jahren nur ein Ölbedarf von 200 Tsd. Barrel pro Tag ersetzt wird.

Aufgrund des noch sehr geringen Ausgangsniveaus und eines weltweiten Fahrzeugbestands, der wohl älter ist als das Durchschnittsalter des europäischen Bestands von rund 10 Jahren und sich entsprechend auch nur allmählich verändert, wird sich an der massiven Dominanz von Benzin auf diese mittelfristige Sicht wenig ändern. Aber Trends können sich zweifellos beschleunigen.

Das gilt umso mehr, wenn die politischen Weichen entsprechend gestellt sind. So hat sich beispielsweise der Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung in den letzten zehn Jahren auf 30% verdreifacht. Sollte es der chinesischen (oder der indischen) Regierung tatsächlich gelingen, die E-Mobilität in ihren Ländern durch Anreize massiv voranzutreiben, könnte dies tatsächlich die Benzinnachfrage spürbar bremsen. Schließlich prognostiziert die auf den Automobilsektor konzentrierte Expertengruppe LMC, dass fast jedes zweite Auto, das in den nächsten zehn Jahren zusätzlich auf den Straßen unterwegs ist, in China zugelassen wird (Grafik 5).

Und immerhin soll der weltweite Fahrzeugbestand bis 2027 um 35% wachsen. Indiens Pkw-Bestand ist zwar gerade mal ein Fünftel des chinesischen, aber der zweitwichtigste Wachstumsmarkt in den nächsten zehn Jahren. Angesichts dieser hohen Bedeutung der Märkte könnte ein schneller Trend zur E-Mobilität die Benzinnachfrage schneller dämpfen. Das hat die IEA veranlasst, eine Überprüfung ihrer langfristigen Aussagen zum Ölmarkt in Aussicht zu stellen: Bislang ging sie davon aus, dass die globale Ölnachfrage ihren Höhepunkt nicht vor 2040 erreichen würde, weil andere Faktoren den leichten Rückgang der Benzinnachfrage kompensieren würden.

Und wie sieht es kurzfristig aus? Nach zwei sehr starken Jahren 2015/16 ist der Start ins laufende Jahr wohl eher mäßig gewesen. Vor allem im mit Abstand wichtigsten Benzinmarkt der Welt, den USA, ist die Nachfrage zuletzt schwach gewesen: seit Jahresbeginn hinkt die Nachfrage im laufenden Jahr 300 Tsd. Barrel pro Tag hinter der des Vorjahres zurück. Laut den Zahlen des Transportministerium ist die Zahl der gefahrenen Kilometer zwar noch bis einschließlich Februar gegenüber Vorjahr gestiegen, aber das Wachstum hat sich wohl so stark verlangsamt, dass es die steigende Kraftstoffeffizienz nicht mehr abfedert.

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[pagebreak]Nachfragedämpfend dürften die im Vorjahresvergleich merklich höheren Preise gewesen sein. Sie dürften auch den Autoboom mitabgebremst haben. In ihren Projektionen für die soeben begonnene Sommerfahrsaison geht die EIA noch von einem kleinen Plus in der Benzinnachfrage aus: Denn der Zunahme des Verkehrs auf den Highways um 1,4% stünde eine Verbesserung der Kraftstoffeffizienz der Fahrzeugflotte von 1,2% gegenüber. Per saldo dürfte also die US-Benzinnachfrage 2017 auf dem Niveau des Vorjahres verharren.

In den übrigen OECD-Ländern sind die Perspektiven derzeit zwar etwas besser, aber die USA, auf die drei von vier Barrel des in der OECD verbrauchten Benzin entfallen, bremst die Erholung ab. Auch in den Schwellenländern düfte das Wachstum der Benzinnachfrage an Dynamik verlieren, bleibt aber noch immer kräftig. Allein in China soll die Benzinnachfrage um 175 Tsd. Barrel pro Tag steigen, nach gut 200 Tsd. Barrel pro Tag im letzten Jahr.

Alles in allem ist das Wachstum der globalen Benzinnachfrage zwar nicht mehr so stark wie in den zwei Jahren zuvor, aber es bleibt robust. Der Pessimismus der spekulativen Finanzanleger, der Mitte Mai rekordhoch war, ist daher überzogen (Grafik 16).

Die Skepsis ist wohl der überraschenden Entwicklung der US-Benzinvorräte geschuldet: Diese sind nämlich zwischenzeitlich gestiegen statt wie üblich zu fallen und liegen nun 10% über dem 5-Jahresdurchschnitt, weil eine schwache US-Benzinnachfrage auf eine außergewöhnlich hohe Raffinerieverarbeitung traf. Sobald die eben wohl gut gestartete Sommerfahrsaison an Dynamik gewinnt und die US-Benzinvorräte schrumpfen, dürften sich die spekulativen Finanzanleger wohl wie üblich auf der Netto-Long Seite positionieren.

Wir sind deshalb der Meinung, dass der Benzinpreis den von uns erwarteten Preisrückgang von Rohöl (siehe Rohstoffe kompakt Energie: OPEC vor Verlängerung der Produktionskürzung) nur unterproportional nachvollzieht und sich der Crack-Spread im Sommer noch etwas ausweitet (Grafik 7). Auch mittelfristig bleibt er dank robuster Nachfrageperspektiven gut unterstützt, zumal die sinkende Attraktivität von Dieselfahrzeugen der Benzinnachfrage eher Rückenwind gibt (siehe Kasten) als die steigende E-Mobilität Gegenwind.

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© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG



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