Enttäuschungspotenzial am Ölmarkt
09.10.2017 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Die Ölpreise stiegen in den Sommermonaten deutlich. Brent erreichte Ende September ein 2-Jahreshoch von knapp 60 USD je Barrel. Preistreibend waren eine kräftige Nachfrage und geringere Öllieferungen Saudi-Arabiens. In der Folge war der Ölmarkt stark unterversorgt und die Lagerbestände sanken deutlich.
Der Lagerabbau sollte in den kommenden Monaten deutlich langsamer vonstattengehen, was für Enttäuschung unter den Marktteilnehmern sorgen könnte. Die US-Ölproduktion dürfte dank der höheren Preise weiter steigen. Aufgrund der hohen Preisdifferenz zwischen Brent und WTI gelangt mehr Rohöl aus den USA an den Weltmarkt. Wir rechnen mit einer Preiskorrektur auf weniger als 50 USD je Barrel bis zum Jahresende.
Die Ölpreise legten über die Sommermonate eine fulminante Rally hin. Innerhalb von drei Monaten verteuerte sich Brent-Öl ausgehend vom Tief bei 44 USD bis Ende September auf ein Zwei-Jahreshoch von fast 60 USD je Barrel (Grafik 1). Den letzten Schub gab die Drohung der Türkei, nach dem Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Irak eine wichtige Pipeline für Öl aus der abtrünnigen Provinz zu schließen.
In diesem Falle würden dem Ölmarkt gut 500 Tsd. Barrel Rohöl pro Tag weniger zur Verfügung stehen, was zu einer spürbaren Markteinengung führen würde. Zudem fielen die Lagerbestände von Ölprodukten in den USA aufgrund von Hurrikan Harvey kräftig.
Die Ölpreise befanden sich zu diesem Zeitpunkt aber schon in einem Höhenflug, der Ende Juni begann und nach einer 4-wöchigen Seitwärtsbewegung Anfang September erneut Fahrt aufnahm. Maßgeblich getrieben war der Preisanstieg durch eine überraschend starke Nachfrage.
Die Internationale Energieagentur revidierte ihre Schätzung für den Anstieg der globalen Ölnachfrage in diesem Jahr zuletzt drei Monate in Folge um jeweils 100 Tsd. auf inzwischen 1,6 Mio. Barrel pro Tag nach oben. Insbesondere im zweiten Quartal fiel die weltweite Ölnachfrage deutlich stärker aus als erwartet. Das globale Angebot blieb aus diesem Grund im zweiten Quartal täglich knapp 1 Mio. Barrel hinter der globalen Nachfrage zurück. Das war doppelt so viel wie noch drei Monate zuvor geschätzt. Der Überhang der kommerziellen Rohölvorräte in den Industrieländern wurde daraufhin kräftig abgebaut.
Die Abweichung vom 5-Jahresdurchschnitt betrug im Juli laut Internationaler Energieagentur IEA noch 190 Mio. Barrel, verglichen mit 320 Mio. Barrel zu Jahresbeginn (Grafik 2). Für anhaltende Knappheit im Sommer dürfte Saudi-Arabien gesorgt haben. Im Juli waren die Ölausfahren aus Saudi-Arabien auf ein 3-Jahrestief gerutscht und knapp 1 Mio. Barrel pro Tag niedriger als ein Jahr zuvor. Denn anders als üblich wurde die Ölproduktion trotz erhöhten Eigenbedarfs in den Sommermonaten wegen des Kürzungsabkommens nicht hochgefahren.
Für August/September kündigte das Königreich noch niedrigere Exporte an. Dies weckte unter den Marktteilnehmern die Erwartung eines fortgesetzt kräftigen Lagerabbaus.
Wegen des starken Preisanstiegs in den kurzfristig fälligen Terminkontrakten befindet sich die Brent-Terminkurve mittlerweile in Backwardation. Das heißt, Brentöl mit späterer Fälligkeit ist billiger als Brentöl mit früherer Fälligkeit. Die Preisdifferenz zwischen dem nächstfälligen Terminkontrakt und dem in 12 Monaten fälligen Terminkontrakt belief sich zwischenzeitlich auf mehr als zwei US-Dollar. Bis Ende 2019 ist die Terminkurve durchgehend fallend (Grafik 3).
Dies deutet normalerweise auf kurzfristige Knappheit hin, was mit den gekürzten Öllieferungen Saudi-Arabiens und einiger anderer OPEC-Produzenten während des Sommers sowie der angedrohten Pipelineschließung durch die Türkei zusammenhängen dürfte.
Da Rohöl mit kurzfristiger Fälligkeit mehr kostet als Rohöl in der Zukunft, besteht momentan kein Anreiz zur Lagerhaltung mehr, sondern zum Lagerabbau. Die Lagerung von Rohöl aus spekulativen Zwecken dürfte daher rückabgewickelt werden. Zu erkennen ist dies bei der Lagerhaltung von Rohöl in dafür gemieteten Öltankern (floating storage).
Diese ist nach Angaben des Datenanbieters EA Gibson im August auf 47,4 Mio. Barrel zurückgegangen, das niedrigste Niveau seit Dezember 2014 und etwas weniger als der 5-Jahresdurchschnitt.
Auch in anderen Lagerorten wie Saldana Bay in Südafrika kam es dem Datenanbieter Alphatanker zufolge zu einem kräftigen Lagerabbau. Dort sind die Lagerbestände nur noch halb so hoch wie zu Jahresbeginn. Alphatanker weist zudem darauf hin, dass die Lagerbestände in Saldana Bay in der Vergangenheit den globalen Entwicklungen vorausliefen.
Diese Trends lassen sich aber nicht einfach fortschreiben. Wie bereits beschrieben, ist die Knappheit vor allem auf das Angebotsdefizit im zweiten Quartal und niedrigere Öllieferungen Saudi-Arabiens in den Sommermonaten zurückzuführen. Berechnungen von Reuters zufolge sind die OPEC-Ölexporte bereits im September trotz weiterhin gedämpfter Ausfuhren Saudi-Arabiens wieder deutlich gestiegen.
Wenn in Saudi-Arabien der Eigenbedarf nach dem Sommer wieder sinkt, dürften auch die Ölexporte des größten OPEC-Produzentenlandes wieder steigen. Auch die Erwartung weiter fallender OECD-Ölvorräte droht enttäuscht zu werden. Denn gemäß aktueller Prognosen der IEA weist der globale Ölmarkt im zweiten Halbjahr kein nennenswertes Angebotsdefizit mehr auf. Der Bedarf an OPEC-Öl liegt demnach im dritten Quartal leicht unter und im vierten Quartal leicht über der aktuellen OPEC-Produktion. Dies spricht gegen einen anhaltend kräftigen Lagerabbau.
Hinzu kommt, dass sich auch die Perspektiven für die US-Ölproduktion dank der höheren Preise verbessert haben. Denn auch der für die US-(Schiefer-)Ölproduzenten maßgebliche WTI-Ölpreis notiert inzwischen entlang der gesamten Terminkurve deutlich oberhalb von 50 USD je Barrel. Mit der üblichen Verzögerung von drei Monaten dürften die Bohraktivitäten, die in den Sommermonaten stagniert hatten und zuletzt sogar rückläufig waren, wieder zunehmen.
Auch die US-Energiebehörde EIA hatte in einer Analyse von 50 börsengehandelten Ölunternehmen weiterhin stark steigende Investitionsausgaben der Unternehmen festgestellt. Die US-Rohölproduktion ist im Sommer zwar weniger stark gestiegen als von der EIA zunächst erwartet. Dennoch geht die EIA weiterhin von einer steigenden Produktion aus. Ende September erreichte das Produktionsniveau fast wieder das 44-Jahreshoch vom Frühjahr 2015 (Grafik 12). Begünstigt durch die hohe Preisdifferenz zwischen Brent und WTI gelangt gleichzeitig erheblich mehr Rohöl aus den USA an den Weltmarkt (Grafik 4).
Die OPEC setzte die vereinbarten Produktionskürzungen auch im dritten Quartal größtenteils um, wobei die Disziplin stark von Land zu Land variierte (Tabelle 1). Russland hat die Produktion im August und September sogar stärker gekürzt als notwendig. Die OPEC dürfte allerdings ihr Ziel, die kommerziellen Ölvorräte in den OECD-Ländern wieder auf den Durchschnitt der letzten fünf Jahre zu drücken, bis Jahresende nicht erreichen. Daher ist eine erneute Verlängerung oder sogar Ausweitung der Produktionskürzungen im Gespräch. Darüber wollen die beteiligten Produzentenländer frühestens auf der OPEC-Sitzung Ende November oder erst im Januar entscheiden. 
Ohne eine Verlängerung über das erste Quartal 2018 hinaus droht dem Ölmarkt im nächsten Jahr ein erneutes Überangebot. Denn Spielraum für eine Ausweitung der OPEC-Produktion vom gegenwärtigen Niveau besteht im nächsten Jahr nicht. Die IEA unterstellt nämlich einen Anstieg der globalen Ölnachfrage im nächsten Jahr von 1,4 Mio. Barrel pro Tag und ein Wachstum des Nicht-OPEC-Angebots von 1,5 Mio. Barrel pro Tag. Die Enttäuschung über den von nun an nur schleppenden Abbau des Überangebotes dürfte viele Finanzanleger zum Ausstieg aus ihren in den letzten Wochen aufgebauten Netto-Long-Positionen veranlassen.
Das Korrekturpotenzial ist dabei beträchtlich, da die spekulativen Netto-Long-Positionen bei Brent Ende September ein Rekordniveau von mehr als 520 Tsd. Kontrakten erreichten (Grafik 5). Wir denken, dass Brentöl zum Jahresende weniger als 50 USD je Barrel kosten wird. Der von uns erwartete graduelle Preisanstieg auf 55 USD je Barrel im nächsten Jahr unterstellt, dass es nicht zu einem erneuten Überangebot kommen wird.
Auf einen Blick















© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG
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