Aluminium: Marktausblick 2012
27.02.2012 | Sven Streitmayer (LBBW)
Aluminium trotz Korrektur stabilstes NE-Metall 2011
Mit einem Preisrückgang von knapp 19% in USD-Rechnung und rund 16% auf Eurobasis erwies sich LME-Aluminium im vergangenen Jahr, wie häufig in allgemein schwachen Marktphasen, noch als das “stabilste“ Industriemetall. Dem Abwärtssog des zweiten Halbjahrs konnte sich der Aluminiummarkt aber dennoch kaum entziehen. Ausgeprägte Rezessionsängste dies- und jenseits des Atlantiks im Verbund mit den Turbulenzen rund um die Schuldenkrise in Europa sorgten für einen nahezu synchronen Einbruch der Metallbörsen, in dessen Verlauf sich die Notierung des Leichtmetalls vom Hoch im Mai (2.786 USD/t) bis zum Tief Mitte Dezember um über 800 USD bzw. 30% ermäßigte. Aufgrund der robusten ersten Hälfte lag der Aluminiumpreis im Jahresmittel mit rund 2.400 USD/t gleichwohl gut 10% über dem entsprechenden Niveau aus 2010.
Fundamentale Ausgangslage 2012 fast unverändert
Spätestens seit Herbst 2011 wird das Geschehen an LME und Co. fast ausschließlich durch die makroökonomische Nachrichtenlage bestimmt, so dass die Preisbildung momentan nur noch unzureichend die individuelle Marktverfassung der Metalle reflektiert. Im Fall von Aluminium ist Letztere bereits seit einiger Zeit geprägt durch die hohe Nachfragedynamik und steigende Produktionskosten einerseits sowie den strukturellen Angebotsüberschuss und rekordhohe Lagerbestände andererseits. Dies ist das Spannungsfeld, in dem sich der Aluminiummarkt auch 2012 weiter bewegen wird.
Aus der Bewertungsperspektive ist mit der Korrektur im vergangenen Jahr und dem temporären Unterschreiten der 2.000 USD-Marke per Ende 2011 ein Preisniveau erreicht worden, welches u.E. auf Dauer nicht nachhaltig sein kann. So hat sich LME-Aluminium zwischenzeitlich nicht nur völlig von den traditionell hoch korrelierten Energiepreisen abgekoppelt. Darüber hinaus notierte das Leichtmetall phasenweise unterhalb der Grenzkosten der Produktion, welche aktuell bei etwa 2.100 USD/t liegen dürften. Die seit dem Jahreswechsel zu beobachtende Preiserholung war daher überfällig. 
Aluminiumverbrauch mit hoher Wachstumsdynamik
Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Aluminium im Allgemeinen und die Verwendung in Zukunftstechnologien im Speziellen, wie z.B. als Leichtbauwerkstoff im Fahrzeug- und Flugzeugbau, der Solarthermie oder für RFID-Funktechnik haben dafür gesorgt, dass der Aluminiummarkt seit Jahren ein dynamisches Nachfragewachstum zu verzeichnen hat.
Aufgrund des vergleichsweise niedrigen Preises erobert Aluminium zudem vermehrt andere etablierte Anwendungsgebiete, indem es bislang verwendete Materialien verdrängt, etwa Kupfer in der Elektrotechnik oder dem Bauwesen. So ist der weltweite Bedarf an Aluminium seit 2001 um durchschnittlich mehr als 5% pro Jahr gestiegen. Dies ist das höchste Nachfragewachstum aller großen NE-Metalle. Im vergangenen Jahr legte der globale Aluminiumverbrauch auf Basis vorläufiger Zahlen um knapp 6% bzw. 2,4 Mio. t zu und erreichte damit einen neuen Rekordwert von über 42 Mio. t. Zu den wichtigsten Treibern auf der Verwendungsseite zählten erwartungsgemäß die Sektoren Luftfahrt und Automotive. 
Industrialisierung der Schwellenländer gibt Takt vor
Mit Blick auf die regionale Nachfrageverteilung stammt ein Großteil der Dynamik aus den wachstumsstarken Regionen Asiens und Lateinamerikas. So verzeichnete der Platzhirsch China nach den jüngsten Zahlen des World Bureau of Metal Statistics (WBMS) 2011 einen Zuwachs des Aluminiumverbrauchs von rund 11% auf fast 18 Mio. t, womit das Reich der Mitte alleine gut 43% des Weltbedarfs ausmacht.
Ähnlich hohe Steigerungsraten, jedoch von einem weit niedrigeren Niveau ausgehend, registrierten Indien (ca. 1,7 Mio. t) und Brasilien (1,1 Mio. t). In den traditionellen Industrienationen war die Entwicklung indes gemischt. Während Europa aufgrund eines starken ersten Halbjahrs noch auf ein Nachfrageplus von etwa 4% (8,6 Mio. t) kam, ging der Bedarf in den USA (4,1 Mio. t) und Japan (1,9 Mio. t) um jeweils etwa 4% zurück.
Weltnachfrage wächst 2012 mit geringerem Tempo
Vor dem Hintergrund der weltweit reduzierten Konjunkturdynamik dürfte auch der Verbrauchszuwachs im laufenden Jahr nicht mehr ganz so stark ausfallen wie 2011 und 2010. Dennoch ist das Nachfrageumfeld sowohl in zyklischer wie auch in struktureller Hinsicht noch als robust einzuschätzen. Auf globaler Ebene rechnen wir für 2012 mit einem Aluminiumbedarf von knapp 44 Mio. t, was eine relativ konservative Schätzung darstellt. Dies entspräche gleichwohl noch immer einem Zuwachs von gut 2 Mio. t bzw. 4%.
Die stärksten Nachfrageimpulse sind u.E. abermals aus den Emerging Markets, allen voran China und Indien zu erwarten. Aber auch die USA könnten durchaus positiv überraschen, sofern sich die Belebung im Automobilsektor fortsetzt und die Baubranche nach Jahre langer Talfahrt erste Erholungsanzeichen zeigt. 
Angebot: Struktureller Überschussmarkt
Auf der Produktionsseite gibt der Aluminiummarkt weiterhin das inzwischen schon gewohnte Bild ab, welches von den drei Üs: Überproduktion, Überkapazität und Überschuss geprägt ist. Nichtdestotrotz setzte sich die Angebotsexpansion im letzten Jahr nahezu unvermindert fort. Nach einem Anstieg von rund 3 Mio. t bzw. 7% auf mehr als 43 Mio. t markierte die weltweite Hüttenproduktion von Aluminium gemäß der Statistik des International Aluminium Institute (IAI) zum zweiten Mal in Folge einen neuen historischen Höchststand.
Maßgeblichen Anteil hieran hatten die anhaltenden Kapazitätserweiterungen in China und der Golf-Region. Während die chinesischen Leichtmetallhersteller die Primärproduktion 2011 um satte 1,7 Mio. t (+10%) auf nunmehr fast 18 Mio. t erhöht und damit die Vorherrschaft der Volksrepublik (41%) am globalen Aluminiummarkt eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, vermeldeten die aufstrebenden Anbieter der Vereinigten Arabischen Emirate ein Produktionswachstum von fast 30% auf 3,5 Mio. t. In den übrigen Regionen Asien ex China (+1%), Nord- und Südamerika (+2%) sowie Europa (+4%), die zusammen dasselbe Gewicht wie China erreichen, hielt sich der Expansionsdrang in engen Grenzen.
Schwache Kapazitätsauslastung & Margensituation
Als Folge des rasanten Aufbaus neuer Produktionsanlagen in Fernost und am persischen Golf sind in den vergangenen fünf Jahren enorme Überkapazitäten in der Aluminiumindustrie entstanden. Weltweit stand per Jahresende 2011 eine Verhüttungskapazität von etwa 53 Mio. t zur Verfügung, welche nur zu etwas mehr als 80% ausgelastet wurde. Gepaart mit dem vor allem im zweiten Halbjahr niedrigen Preisniveau und steigenden Produktionskosten hat dies zu einem drastischen Margenverfall geführt und die Ertragssituation der Branche zuletzt entsprechend verschlechtert.
Auf einer reinen Cash-Kostenbasis, d.h. ohne Abschreibung oder indirekte Kosten zu berücksichtigen, lag die Break-Even-Schwelle 2011 für rund ein Viertel der Hüttenwerke bei 2.000 USD/t oder höher. Mit die höchsten Produktionskosten im internationalen Vergleich weist ausgerechnet Wachstumstreiber China auf, wo Ende letzten Jahres je nach Schätzung zwischen einem Drittel (Alcoa) und der Hälfte (China Non-Ferrous Metals Industry Association) aller Aluminiumhütten unprofitabel waren.
Produktionsausweitung setzt sich 2012 fort
Ungeachtet der schlechten Ertragslage wird die globale Aluminiumproduktion u.E. auch im laufenden Jahr wieder ein deutliches Wachstum erfahren, das wir auf etwa 2,2 Mio. t bzw. 5% taxieren. Zwar haben inzwischen alle großen Hersteller außerhalb Chinas, wie Alcoa, Norsk Hydro, Rio Tinto und Rusal signifikante Angebotskürzungen von zusammen 1,5-3,0 Mio. t angekündigt.
Diese dürften jedoch von den Produktionssteigerungen in China, Indien und am Golf überkompensiert werden. Entgegen der Meinung anderer Marktbeobachter halten wir breit angelegte Angebotsreduktionen im Reich der Mitte demzufolge für unwahrscheinlich. Denn die Barrieren sind dort besonders hoch, wie die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt hat. Neben den oft langfristig angelegten Liefer- bzw.
Bezugsverträgen mit den Strom-versorgern sind temporäre wie permanente Werksschließungen teuer, zeitintensiv und sowohl beschäftigungspolitisch als auch strategisch (Stichwort Selbstversorger) häufig nicht opportun. Eine angebotsseitige “Mäßigung“ Chinas wäre indes zwingend erforderlich, um den Aluminiummarkt auf globaler Ebene in ein Gleichgewicht zu bringen und die Margen der Produzenten wieder auf ein einträgliches Niveau zu hieven. 
Globale Lagerbestände reflektieren Marktüberschuss
Ein Spiegel der enormen Angebotsüberschüsse der vergangenen Jahre ist die außerordentlich üppige Lagersituation. In der Summe belaufen sich alleine schon die registrierten Aluminiumbestände bei Metallbörsen (LME, SHFE), Produzenten und an japanischen Häfen aktuell auf mehr als 7 Mio. t bzw. knapp 17% des weltweiten Jahresbedarfs.
Dies stellt nicht nur in Relation zur eigenen Historie einen neuen Rekordwert dar, sondern ist auch im Vergleich zu den übrigen NE-Metallen einsame Spitze. Dessen ungeachtet täuscht das hohe Lagerniveau aber noch immer über die tatsächliche physische Verfügbarkeit des Leichtmetalls hinweg. Denn aufgrund der vorherrschenden Marktbedingungen (Überschüsse, dauerhaftes Contango, Niedrigzins) ist der Löwenanteil der LME-Lager durch Finanzierungsgeschäfte, so genannte Cash and Carry Deals gebunden und damit kurzfristig nicht bzw. nur unter Verzögerungen abrufbar.
Für logistische Schwierigkeiten sorgt zudem die starke regionale Konzentration der LME-Bestände. So verfügen die drei Standorte Detroit, Vlissingen und Singapur momentan über knapp 3 Mio. t und damit allein über fast 60% aller LME-Bestände. Unter dem Strich schlägt sich die trotz rekordhoher Lagerbestände eingeschränkte Verfügbarkeit von Aluminium, bei einer zugleich dynamischen Nachfrage in einem signifikanten Anstieg der Prämien an den physischen Märkten nieder.
Fazit
An der fundamentalen Marktlage gemessen, bietet der globale Aluminiummarkt ein nahezu unverändertes Bild zu den Vorjahren. Getrieben durch eine kräftige Pro-duktionsausweitung in Asien wird sich trotz robuster Nachfrageentwicklung u.E. auch 2012 erneut ein Angebotsüberschuss einstellen, welchen wir bei knapp unter 2 Mio. t sehen. Dementsprechend werden auch die Lager auf absehbare Zeit gut gefüllt bleiben, was gleichwohl nicht zwangsläufig mit einer guten physischen Verfügbarkeit gleichzusetzen ist. Denn die Aluminiumverbraucher stehen inzwischen direkt mit den Lagerhausbetreibern im Wettbewerb um Material, was die traditionellen Marktmechanismen aus unserer Sicht stark verzerrt.
Die mittelfristige Preisdynamik von Aluminium dürfte indessen weitgehend von den Produktionskosten vorgegeben werden, weshalb wir den preislichen Spielraum nach unten für begrenzt erachten. Stärkere Preiszuwächse (>2.500 USD) sind angesichts der anhaltenden Kapazitätserweiterung aber ebenfalls unwahrscheinlich. Im Jahresmittel erwarten wir LME-Aluminium Cash bei rund 2.300 USD/t und damit leicht unter dem entsprechenden Vorjahresniveau.
© Sven Streitmayer
Commodity Analyst
Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
Diese Publikation beruht auf von uns nicht überprüfbaren, allgemein zugänglichen Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit wir jedoch keine Gewähr übernehmen können. Sie gibt unsere unverbindliche Auffassung über den Markt und die Produkte zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses wieder, ungeachtet etwaiger Eigenbestände in diesen Produkten. Diese Publikation ersetzt nicht die persönliche Beratung. Sie dient nur zu Informationszwecken und gilt nicht als Angebot oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf. Für weitere zeitnähere Informationen über konkrete Anlagemöglichkeiten und zum Zwecke einer individuellen Anlageberatung wenden Sie sich bitte an Ihren Anlageberater.