Der Ausverkauf bei den Ölpreisen beschleunigte sich im neuen Jahr. Seit Jahresbeginn beläuft sich der Rückgang auf rund 20 Prozent. Erstmals seit 12 Jahren, rutschte US-Öl WTI kurzzeitig unter die Marke von 30 Dollar. Seit Juli 2014 ist Öl somit um rund zwei Drittel abgestürzt. Was wir in diesen Tagen erleben, ist ein regelrechte Lawine an Pessimismus. Den Anfang machte im letzten September Goldman Sachs mit einem Kursziel von 20 Dollar pro Barrel. Diese Woche sprang Morgan Stanley mit einem Kursziel von ebenfalls 20 Dollar pro Barrel auf den gleichen Zug auf. Die Investmentbanken überbieten sich regelrecht mit noch tieferen Kurszielen:
Gestern kam die die Royal Bank of Scotland mit einem Kursziel von 16,00 Dollar pro Barrel heraus. RBS Capital sieht nun einen Boden bei 26 Dollar pro Barrel und erwartet, dass der Ölpreis für die nächsten beiden Jahre auf niedrigem Niveau verharren wird.
Auch Barclays, Macquarie, Bank of America, Standard Chartered und die Societe Generale haben ihre Ölpreis-Ausblicke für 2016 diese Woche nach unten korrigiert. Die pessimistischste Einschätzung kommt von Standard Chartered - die Investmentbank prophezeite, dass die Ölpreise sogar bis auf 10 Dollar pro Barrel fallen könnten.
Der wahre Grund für den Ölpreisverfall
Als die Ölpreise in 2014 bei über 100 Dollar pro Barrel notierten, gab es keinen einzigen Analysten, der den Ölpreis-Niedergang voraussah. Ganz im Gegenteil - damals lautete die weitverbreitete Einschätzung, dass die Ölpreise langfristig bei 100 Dollar bleiben würden. Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet jetzt - nach mehr als 70 Prozent Verlust - von allen Seiten ins gleiche Horn geblasen wird nahezu sämtliche Analysten Ölpreise von 20 Dollar oder weniger erwarten.
Ich glaube nicht, dass die Motive der großen Player völlig uneigennützig sind. Wer zum Ziel hat, massive Short-Positionen einzudecken, braucht entsprechend Abnehmer im Markt. Ein derart einseitiges Momentum lässt leicht erahnen, wie diese Player derzeit positioniert sind. Es scheint, als ob diese großen Spieler im Ölmarkt über massive Short-Attacken und das Auslösen von Zwangsliquidationen anderer Adressen noch die letzten Dollars nach unten "herausquetschen" wollen.
Tatsächlich reflektiert die derzeitige Ölpreisentwicklung nicht im Geringsten die Angebots- und Nachfrage-Situation. Der Markt ist gekapert von Momentum-Playern wie Hedge-Fonds, die über automatische Handelsalgorithmen massive Short-Positionen ohne Rücksicht auf die fundamentalen Grundlagen aufbauen. Laut aktuellen Daten, haben die Short-Positionen auf WTI aktuell den höchsten Stand aller Zeiten erreicht. In der vergangenen Woche waren es 62 Hedgefonds, die große Short-Positionen auf Öl hielten.
Gefährliche Short-Positionen
Gleichzeitig reduzierten Spekulanten ihre Long-Positionen auf WTI um 23.863 auf 76.934 Futures und Optionen - das entspricht der niedrigsten Long-Position seit Juli 2010.
Doch die Short-Spekulation auf Öl, in der sich inzwischen Hedgefonds und andere Spekulanten tummeln, ist extrem gefährlich. Es braucht nur einen geringen Auslöser - etwa ein geopolitisches Ereignis - für einen Short-Squeeze, der die Ölpreise binnen kurzer Zeit um 10 Dollar pro Barrel explodieren lassen kann. Die Headline-News zur vermeintlichen Abkühlung der chinesischen Wirtschaft und der Wiederaufnahme der Ölexporte des Iran, sind zwar Wasser auf die Mühlen der Leerverkäufer, scheinen in den Ölpreisen aber bereits mehr als eingepreist.
China stockt strategische Reserven auf
Einer der Hauptfaktoren, der auf den Ölpreis lastete, war der Absturz der chinesischen Aktienmärkte. Doch es ist ein Fehler, von der Panik der chinesischen Börsenspekulanten auf die künftige Ölnachfrage zu schließen. Fakt ist, dass China auf die niedrigen Ölpreise mit einem sprunghaften Nachfrageschub reagierte. Barclays schätzt, dass sich die chinesische Nachfrage in 2015 um 510.000 Barrel pro Tag erhöhte und sieht in 2016 einen weiteren Anstieg um 300.000 Barrel pro Tag.
China hatte zuletzt die Gesetze gelockert, um privaten Raffinerien Ölimporte zu erlauben. Zusätzlich wird China die niedrigen Ölpreise nutzen, um seine strategischen Reserven massiv aufzustocken. Allein dieses Jahr werden vier weitere gigantische Öllager den Betrieb aufnehmen. Laut aktuellen Schätzungen, werden der chinesischen Lagerhaltung in 2016 rund 200.000 Barrel Öl pro Tag hinzugefügt.
Das wird dazu beitragen, den globalen Angebotsüberschuss in der ersten Jahreshälfte zu reduzieren. Die Befürchtung, dass die chinesische Wirtschaft vor dem Zusammenbruch steht und die Ölnachfrage deutlicher zurückgeht als erwartet, muss zum jetzigen Zeitpunkt als reine Spekulation betrachtet werden, die bislang durch keine neuen Erkenntnisse belegt werden kann.
Iran und der große Öl-Bluff
Der iranische Ölminister behauptete nach der Einigung der G5-Nationen über das Atomprogramm, dass der Iran seine Produktion mit sofortiger Wirkung um eine halbe Million Barrel pro Tag steigern könnte und nach vier bis fünf Monaten um eine weitere halbe Million Barrel. Somit ist im Öl weitgehend eingepreist, dass der Iran einen ohnehin überversorgten Markt zusätzlich mit 1 Million Barrel pro Tag fluten wird.
Doch die Wahrheit ist, dass der Iran derzeit nicht die physische Kapazität hat, um tatsächlich so zusätzliches Öl zu exportieren. Internationale Sanktionen führten dazu, dass sich die iranische Ölexport-Infrastruktur in einem sehr schlechten Zustand befindet. Der Großteil der produzierenden Öl-Wells benötigt umfassende Wartungsarbeiten. Viele Ölpipelines sind in einem so schlechten Zustand, dass es nicht möglich sein wird, größere Volumen zu handhaben.
Das iranische Ölministerium kalkuliert die erforderlichen Investments auf 100 bis 500 Milliarden Dollar über die nächsten fünf Jahre. Goldman Sachs veranschlagt jährlich 30 Milliarden Dollar über fünf Jahre und erwartet einen vorläufigen Ausstoß von 350.000 Barrel pro Tag. Ein Insider, die internationale Unternehmen berät und regelmäßig in den Iran reist, sieht nicht, wo diese Milliardeninvestitionen ausländischer Investoren herkommen sollen.
Erstens, ist der Iran aufgrund des hohen Staatsanteils für Öl-Investitionen zu derzeitigen Preisen relativ uninteressant. Zweitens, haben es die potenziellen Investoren mit einem Regime zu tun, wo bei neuerlichen Spannungen mit dem Westen jederzeit Gefahr besteht, enteignet zu werden. Deshalb ist bei realistischer Betrachtungsweise davon auszugehen, dass der Iran höchstens in der Lage ist, zusätzlich 200.000 bis 350.000 Barrel pro Tag zu produzieren.