Öl und Benzin gehen getrennte Wege
09.06.2007 | Egon Tschol
Crack-Spread ist nicht nur für Cracks interessant - Unabhängig von den Rohstofftendenzen eine Rendite erzielen
Ausgerechnet zu Beginn der sogenannten Driving Season - so bezeichnen die Amerikaner die Periode der Sommermonate, in der sie besonders gerne und oft mit dem Auto unterwegs sind - stehen die Benzinpreise auf einem nominalen Allzeithoch. Benzin oder englisch Gasoline ist ein Derivat von Rohöl (Crude Oil). Aus diesem Grund bewegen sich die beiden Preise im Gleichschritt; Benzin und Rohöl weisen somit eine hohe Korrelation auf, wie es im Finanzjargon heisst. Doch seit Jahresbeginn lässt sich beobachten, dass der Benzinpreis dem Rohöl der amerikanischen SorteWest Texas Intermediate (WTI) davoneilt. Die derzeitigen Notierungen von Rohöl liegen gut 20% unter dem Höchst vom Sommer 2006, während sich die Benzinpreise auf einem bisher nie erreichten Niveau bewegen.
Was ist derHintergrund dieser Entwicklung? Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens notiert WTI-Rohöl, das an der Terminbörse New York Mercantile Exchange (Nymex) gehandelt wird, tiefer als sein "Verwandter", das in London an der Intercontinental Exchange gehandelte Nordseeöl der Sorte Brent (vgl. Grafik). Das ist selten und das Ausmass der Kursdifferenz einmalig in der Geschichte. WTI-Öl weist eine leicht bessereQualität auf als Brent, was in der Vergangenheit einen Aufpreis von 2 bis 4 $ pro Fass (entspricht 159 Litern) rechtfertigte. Die unübliche Abweichung der beiden Preise ist auf den höheren Lagerbestand an amerikanischem Öl und auf ein Umdenken der Verbraucher zurückzuführen, die nicht mehr auf das qualitativ bessereWTI angewiesen sind. Zweitens lassen Engpässe in den Raffinerien Benzin teurer werden als sein Rohstoff.
Gewinnmargen absichern
Der Preisunterschied oder Spread zwischen Benzin und Rohöl stellt die theoretische Gewinnmarge von Raffinerien dar. Diese kaufen Rohöl zum Marktpreis ein und erhalten für den Verkauf ihrer Produkte wie Heizöl, Diesel und Benzin wiederum einenMarktpreis. Die Industrie hat dem Spread aufgrund seiner grossen Bedeutung einen eigenen Namen verliehen: Crack-Spread. Die Bezeichnung Crack-Spread ist auf die Bedeutung des englischen Verbs to crack, zerlegen, zurückzuführen. Zerlegt man Rohöl chemisch, entstehen seine Derivate wie Benzin. Seit 1994 werden an der Nymex Terminkontrakte auf Crack-Spreads gehandelt. Sie erlauben es den Raffinerien, sich vor Preisrisiken abzusichern.
Steigen die Notierungen von Rohöl, während die Heizöl- und die Benzinpreise stagnieren, schrumpft die Gewinnmarge. Mit einem Crack-Spread-Futures kann dieses Risiko vermindert oder ausgeschaltet werden. Der Crack-Spread umfasst eine Position in Rohöl gegen eine oder mehrere Positionen mit umgekehrtem Vorzeichen in Benzin oder Heizöl. Zu beachten gilt, dass Heizöl und Benzin in Cent pro Gallone und Rohöl in Fass pro Dollar gehandelt werden. Um den Crack-Spread zu errechnen, multipliziert man den Preis von Heizöl oder Benzin mit 42 (ein Fass entspricht 42 Gallonen) und dividiert danach das Resultat durch 100. Daraus erhält man den Dollarpreis pro Fass.
Verschiedene Verhältnisse
Dieser Wert wird vom Rohölpreis subtrahiert. Damit erhält man das Niveau des Crack-Spreads mit dem Verhältnis 1:1. Für Raffinerien, die doppelt so viel Benzin wie Heizöl aus Rohöl produzieren, wäre der Crack-Spread von 3:2:1 interessant. Drei Terminkontrakte Rohöl werden zwei Futures Benzin und einem Kontrakt Heizöl gegenübergestellt. Hier soll aber von der Preisdifferenz zwischen Rohöl und Benzin profitiert werden, dafür ist der Crack-Spread von 1:1 relevant. Wer einen solchen Crack-Spread kauft, erwirbt einen Futures-Kontrakt Rohöl und verkauft einen Futures-Kontrakt Benzin leer. Der Käufer geht in seinem Szenario davon aus, dass sich der Spread verringert, indem Rohöl gegenüber Benzin steigt.
Nun ist aber genau das Gegenteil eingetreten. Die Preise von Rohöl sind nur langsam avanciert, während Benzin durch die Decke ging. Der Crack-Spread zog demnach deutlich an (vgl. Grafik). So hoch war er noch nie. Worin besteht nun die Gewinnchance für die Investoren? Es ist anzunehmen, dass sich die Preisrelation zwischen Benzin und seinem Basisstoff, dem Rohöl, nicht nachhaltig, sondern nur kurzfristig abnormal verhält. Folglich kann eine antizyklische Strategie angewendet und der Crack-Spread verkauft werden. In dieser Strategie geht der Investor davon aus, dass Benzin relativ zu WTIRohöl sinkt. Dabei spielt es keine Rolle, ob Rohöl in Zukunft teurer oder billiger wird - bedeutend ist lediglich, dass Benzin entweder weniger deutlich steigt oder schneller fällt als das Öl.
Optionen für private Investoren
Nun wird es vor allem für den Privatanleger aufwendig sein, eine Futures-Spread-Position einzugehen, also einen Kontrakt Rohöl zu kaufen und einen Benzin-Futures leer zu verkaufen. Diese Strategie lässt sich meist nur von professionellen Futures-Händlern umsetzen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, an der Nymex Optionen auf den Crack-Spread zu handeln. Das Risiko eines Call- oder Put-Kaufs ist auf den Einsatz der Prämie beschränkt, weshalb sich diese Strategie auch für den Privatinvestor eignet.
Der Crack-Spread mit Fälligkeit im September notierte dieseWoche auf rund 22 $ pro Fass. Unter der Annahme, dass sich der Crack-Spread seinem 200-Tage-Durchschnittswert von derzeit 15,30 $ angleicht, kann man von einem Potenzial von 6,70 $ ausgehen. Der Kauf eines September-Puts mit Ausübungspreis von 22 $ pro Fass kostet 3 $. Somit befindet sich dieGewinnschwelle auf 19 $ (Ausübungspreis minus Optionspreis). Sinkt der Crack-Spread bis Verfall auf das Zielniveau von 15,30 $, ergibt sich ein Gewinn von 3,70 $ pro Option (Gewinnschwelle minus Preisziel).
Die Option kann aber auch vor Ablauf der Laufzeit veräussert werden, sollte sich die Einschätzung des Szenarios grundlegend ändern oder das Preisziel früher als erwartet erreicht werden. Mit dieser Strategie erhalten auch private Investoren die Möglichkeit, unabhängig von der Tendenz am Rohstoffmarkt eine Zusatzrendite zu erwirtschaften.
© Egon Tschol
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