Rohöl: Unter 80 ... und tiefer?
17.01.2008 | Ronald Gehrt
Wer an der Börse aktiv ist wird nicht lange durchhalten, wenn er ein von permanenten Selbstzweifeln geplagter Mensch ist. Eine gewisse Beharrlichkeit ... bisweilen Sturheit ... gehört einfach dazu, da die Börsen selten sofort genau so reagieren, wie man es sich als Anleger vorstellt. Das Problem dabei ist der schmale Grat zwischen Beharrungsvermögen und Halsstarrigkeit, die meist böse endet.
Unser aller Fähigkeit, zeitgerecht auf Veränderungen zu reagieren, wird immer wieder auf harte Proben gestellt. Und so scheidet sich das Heer der Anleger in zwei große Gruppen:
Die einen zu früh, die anderen zu spät ...
Zum einen haben wir die, die mit der Masse mitschwimmen und so eine eher lange Reaktionszeit haben - dafür aber die meiste Zeit vom vorherrschenden Trend “geschützt“ sind. Diese Anleger kommen meist zu spät, wenn sich Trends ändern.
Zum anderen die Gruppe derer, die grübeln, Szenarien entwickeln, vorausschauen und daher immer wieder viel zu früh auf einen Trendwechsel setzen.
Die dritte, kleinste Gruppe ist die, die immer alles genau zum richtigen Zeitpunkt tut, die wahrhaftigen Magier der Märkte. Wenn man den Stammtischsprüchen glaubt, gibt es von diesen Investoren gar nicht so wenige. Wenn man sich die Wahrheit ansieht, besteht diese Gruppe aber doch eher aus null Personen. Und doch: Auch, wenn das Ziel, immer und überall genau das richtige zu tun, völlig unrealistisch ist - wer strebt nicht danach?
Ich für meinen Teil habe immer zur Gruppe der “zu frühen“ gehört und zugleich gehofft, dennoch eine gewisse Perfektion zu erreichen, um eines Tages zur dritten Gruppe zu gehören. Da ich überdies mit Sturheit gesegnet bin, kam mich das viele Jahre lang entsprechend teuer zu stehen. Das Ergebnis dieses nicht unbeträchtlichen Lehrgeldes ist mein SYSTEM22 (www.system22.de), ein Handelssystem, das meine persönlichen Schwachpunkte bekämpft, indem es nur auf klare Trendsignale setzt. Nachdem ich dann auch noch gelernt habe, diese Signale zu befolgen statt es trotzdem immer besser wissen zu wollen, kann ich die fast zwanzig Jahre dauernde “Lehrlingsphase“ nun als so langsam abgeschlossen ansehen. Und damit zum Punkt:
Die Argumente der Öl-Bullen trocknen aus
Gemäß des Handelssystems hat Rohöl noch keine Trendwende nach unten vollzogen ... aber steht recht nahe davor. Und das System-Depot hält mit Schlumberger, dem Ölausrüster, bereits eine erfolgreiche “Öl-Ersatzposition“ auf der Put-Seite. Das ist ein erster Hinweis auf eine möglicherweise weiter führende Abwärtsbewegung im Rohöl, aber natürlich nicht der einzige. Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ein Abstieg der Ölpreise deutlich weiter führen könnte als es sich vor allem die Anleger der oben genannten ersten Gruppe momentan vorstellen.
Im Augenblick beherrschen die Kurse im Ölmarkt noch diejenigen, die stur dem Aufwärtstrend folgen. Ihre Argumente: Der Boom in Asien wird die Nachfrage stetig weiter steigen lassen, während die Produktionskapazitäten nicht nachkommen. Und solange der Dollar stetig weiter fällt, wird Öl sowieso steigen.
Dem stelle ich zwei Aspekte entgegen:
Der Boom in Asien existiert nicht aus sich selbst heraus sondern entstand durch die steigende Nachfrage in Europa und vor allem den USA. Die Binnennachfrage in Asien ist das Ergebnis dieses Wachstums in den Exporten und wird in dem Moment stagnieren, in dem die vorher stetig steigende Nachfrage nach Exportgütern stagniert. Während sich am Anleihemarkt bereits seit längeren und im Aktienmarkt seit einigen Wochen ebenfalls meine “Zu-früh-kommer“-Behauptung aus dem Herbst, dass die USA bereits in einer rezessiven Phase sind, nun als Allgemeingut durchsetzt, erlebte der Ölpreis noch einmal eine Attacke an die 100 Dollar-Marke.
Dies wurde u.a. mit Argumenten wie Unruhen/Unsicherheiten in Förderländern (Nigeria, Iran, Irak) und den sinkenden Lagerbeständen in den USA unterfüttert. Aber: Diese Unruhen haben die Versorgungslage bislang nicht beeinträchtigt und werden es auch nicht, solange nicht wirklich massive geopolitische Probleme entstehen. Und solange die USA als “Welt-Friedensstifter“ sich nun im eigenen Sandkasten um den Wahlkampf kümmern, sehe ich da auch recht wenig Risiken.
Zweiter Punkt: Saisonal ist eigentlich eine Entspannung der Ölpreise ab Januar typisch. Die größte Nachfrage nach Heizöl herrscht von November bis Januar und Benzin dominiert das Augenmerk erst wieder ab Frühsommer. Und solange wir keinen unüblich kalten Winter erleben - was zumindest bislang nicht zu sehen ist - pflegen die Lagerbestände ab Januar wieder zu steigen. Das haben wir gestern bei den Lagerbestandsdaten aus den USA bereits erstmals gesehen und ich meine, diese Tendenz sollte sich per saldo fortsetzen - trotz nach wie vor durch die Überalterung der Anlagen hervorgerufenen, unüblich niedrigen Produktionskapazitäten der US-Raffinerien.
Auch diesmal wir nicht alles anders sein
Gerade in Endphasen von Trendbewegungen hören wir oft, dass diesmal aber alles anders ist und sich der Trend trotzdem fortsetzt. Das ist das gängige Argument der Halsstarrigkeit, natürlich fast ausschließlich von denen vertreten, die nahe 100 Dollar im Öl Long gegangen sind. Und es fällt umso heftiger aus, je länger ein Trend zuvor gedauert hat.
Ich habe noch in keinem Bereich erlebt, dass dann wirklich alles anders gewesen sei. Auch diesmal nicht ... die Konjunktur geht doch nach unten, die Immobilien- und Kreditkrise hat doch weltweit Auswirkungen, die Aktienmärkte reagieren doch darauf. Aber es fällt nicht leicht, diesem so schlichten wie falschen Argument zu wiederstehen, solange die Kurse dies zu bestätigen scheinen und in den Medien die Stimmen klar dominieren, die eben diese Meinung vertreten.
Denn es ist nun einmal die Crux, dass in Fernsehen und Printmedien immer diejenigen dominieren, die im Augenblick gerade die zum Kursverhalten passende Meinung vertreten. Was auch die plötzliche Dominanz von “ich habe es doch schon immer gesagt“-Experten erklärt, welche die Abwärtsbewegung an den Aktienmärkten angeblich doch schon im Herbst genau vorhergesehen haben wollen. Das beeinflusst die Stimmung der Investoren unterschwellig, aber nicht unerheblich mit.
Die markante Rolle des Dollars
Das letzte Aspekt der Öl-Bullen ist der vermeintlich ewig schwache Dollar. Hier hätten wir nun natürlich ein Problem: Säuft die US-Konjunktur weiter ab, ist zwar mit geringerer Ölnachfrage in den USA - und mit Verzögerung um drei bis sechs Monate weltweit - zu rechnen, war bearish für Öl wäre. Andererseits wäre dann über die sinkenden US-Zinsen mit einem weiterhin fallenden Dollar zu rechnen - was den Ölpreis stützen würde. Aber: Dieses permanente Pro und Contra existiert ja immer - und dennoch kann man nicht behaupten, dass das Öl deswegen wie ein Strich seitwärts liefe.
Annehmen sollte man indes, dass Öl neben den vorgenannten Aspekten der voraussichtlich nachlassenden Nachfrage wegen Saisonalität und Konjunkturentwicklung zusätzlich unter Druck gerät, wenn der Dollar wieder zulegt.
Wenn Sie den hier abgebildeten Kursverlauf der Euro/Dollar-Relation mit dem Rohöl vergleichen stellen Sie fest, dass tatsächlich ein Anziehen des Euro zum Dollar meist auch von steigendem Ölpreis begleitet war, ein wieder fallender Euro zum Dollar den Ölpreis aber unter Druck setzte. Dieser fundamental durch den Wertausgleich nachvollziehbare Faktor findet sich also im Kursbild tatsächlich wieder. Und hier stehen wir nun vor einem entscheidenden Punkt:
Des Pudels Kern?
Bislang stützte ein permanent zum Euro fallender Dollar das Öl mit. Seit gestern jedoch tendiert der Dollar schwächer ... und die Begründung ist wichtig, denn sie könnte nachhaltig wirken: Auch in Europa wäre es - trotz der Bedenken hinsichtlich Preisstabilität - denkbar, dass die Zinsen nun sinken müssen, weil die Signale, dass die US-Konjunkturschwäche zu uns herüberschwappt, stärker werden. Da der Euro/Dollar-Kurs schon im Vorfeld eine dauerhaft weitere Reduzierung der Zinsdifferenzen zu Ungunsten der USA eingepreist hat, wäre nun eine deutlichere Abwärtsbewegung von Euro-Dollar nicht ausgeschlossen. Das wäre dann auch charttechnisch unterfüttert, wenn die Kreuzunterstützung im Bereich um 1,45 fiele.
Dann hätten wir plötzlich eine Menge Argumente für fallende Ölpreise: Sinkende Nachfrage, der Beginn der ohnehin nachfrageärmeren Monate und ein wieder anziehender Dollar. Dies träfe auf eine immer noch recht markante Zahl an Long ausgerichteten Investoren der oben genannten ersten Gruppe, die nach wie vor stur entlang der Aufwärtstrends agieren. Deren Stoppmarken dürften dann fallen und zusätzliche Abwärtsdynamik auslösen, sobald der Ölpreis (hier die Nordsee-Sorte Brent) die charttechnische Unterstützung um 87,50 Dollar bricht und damit Kurspotenzial bis auf zunächst 80 Dollar freisetzt. Und:
Wenn sich im Ölmarkt die Tendenz anderer Börsensegmente, eine sinkende Nachfrage durch wirtschaftliche Abkühlung als gegeben anzunehmen, erst einmal durchsetzt, wäre es nicht überraschend, wenn der Ölpreis dann in einer zweiten Abwärtswelle im Frühjahr sogar Kurse um 70 Dollar ansteuern würde ... also Kurslevels, die von der ganz überwiegenden Mehrheit als ausgeschlossen angesehen werden. Immerhin hatte auch im Sommer 2006 bei Kursen von 80 Dollar niemand ernsthaft erwartet, das Öl sechs Monate später plötzlich auf 50 Dollar fallen zu sehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Kurse plötzlich gerade dort stehen, wo sie im Vorfeld keiner vermutet hätte.
Herzliche Grüße!
© Ronald Gehrt
www.system22.de