Emissionshandel in der Warteschleife
21.10.2013 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Nachdem die Preise im EU-Emissionshandel im Frühjahr auf ein Rekordtief gerutscht waren, konnten sie sich in den letzten Monaten leicht erholen. Es stützt die Aussicht, dass der Markt durch ein temporäres Zurückhalten von Zertifikaten in den nächsten Jahren verknappt werden soll ("Backloading"). Angesichts der hohen Überschüsse gibt also Brüssel weiterhin die Richtung vor. Die ansonsten preisstützenden Fundamentalfaktoren sind eher nachrangig. Wir rechnen mit einer qualifizierten Mehrheit für das "Backloading" und erwarten folglich, dass die Preise im Emissionshandel anziehen werden.
Mitte September notierte der Preis für das Recht zur Emission einer Tonne CO2 (EUA) mit 5,80 Euro je Tonne doppelt so hoch wie im Tief im April (Grafik 1). Die Preiserholung hatte sich in zwei Schritten vollzogen: Der erste Anstieg war der Tatsache zu verdanken, dass sich das EU-Parlament nach der ersten Ablehnung im April in einem zweiten Anlauf Anfang Juli auf das sogenannte "Backloading" einigen konnte und damit grundsätzlich den Weg für den Trilog frei gemacht hat.
Den zweiten Satz nach oben machte der Preis nach der Zuteilung der kostenfreien Emissionszertifikate fürdie Industrie in der dritten Handelsphase. Mittlerweile haben die Preise aber wieder deutlich nachgeben. Ist das nun eine gesunde Korrektur oder stockt der Aufwärtstrend? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren am CO2 Markt:
EU-Politik – Backloading: Zentraler Preistreiber am CO2-Markt ist die bereits seit Monaten andauernde Diskussion um das sogenannte Backloading. Nachdem das EU-Parlament Anfang Juli grundsätzlich grünes Licht für das von der Kommission angestrebte Zurückhalten von 900 Mio. Zertifikate gegeben hat, soll nun im Trilog von Parlament, Kommission und Rat ein tragfähiger Kompromiss gefunden werden, der die qualifizierte Mehrheit im Rat findet.
Doch bislang bremste Deutschland u.a. die Entscheidungsfindung aufgrund des bisherigen Patts zwischen Umweltminister Altmaier und Wirtschaftsminister Rösler, der eine offizielle Haltung unmöglich machte. Nach den Wahlen sind die Chancen für eine deutsche Zustimmung zum Backloading zwar prinzipiell gestiegen. Denn beide Koalitionspartner wollen das Emissionshandelssystem stärken und stehen damit implizit hinter der Idee der kurzfristigen Verknappung am Markt, um so über höhere Preise von Emissionsrechten mehr Investitionsanreize zur CO2 Vermeidung zu setzen.
Bis zur Formulierung einer offiziellen Haltung kann aber einige Zeit vergehen. So dauerten die Verhandlungen für eine große Koalition im Jahr 2005 65 Tage. Deutschland zählt 29 der insgesamt 352 Stimmen des Rates; derzeit fehlen für eine Zustimmung 42 Stimmen.
Klimakommissarin Heedegard hat sich im Rahmen des jüngsten EU-Umweltministertreffens zuversichtlich gezeigt. Auch der derzeit vorsitzende litauische Umweltminister rechnet mit einem Kompromiss in der "nahen Zukunft".
EU-Politik - Strukturelle Reformen: Schaut man sich an, wie zäh sich die Suche nach einem Kompromiss für ein temporäres Eingreifen am Markt gestaltet, fällt es schwer, Optimismus hinsichtlich struktureller Reformen zu entwickeln. Dennoch: die Suche nach einem strukturellen Ansatz ist unumgänglich, denn auch mit einer Implementierung des Backloadings wird dem Markt nur vorübergehend ein Teil der Zertifikate entzogen. Grundsätzlich bleibt die Problematik eines hohen Angebotsüberschusses bestehen (Grafik 2).
Sechs Reformansätze wurden deshalb von der Kommission vorgeschlagen und der Konsultationsprozess ist angestoßen. Der Prozess wird aber sicherlich lange Zeit in Anspruch nehmen. Die im kommenden Mai anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament dürftenzusätzlich für Verzögerung sorgen, zumal dies eine Neubesetzung der Kommissare nach sich ziehen wird.
Zuteilung der freien Zertifikate für die Industrie in der dritten Handelsphase bzw. Annahme der NIM-Pläne. Anfang September hat die Kommission die maximale Zuteilungsmenge an kostenlosen Emissionszertifikaten für die Industrie bekanntgegeben. Demnach werden 43% der insgesamt in der dritten Phase gehandelten Menge bzw. 6,6 Mrd. Zertifikate den Anlagenbetreibern der Industrie freizugeteilt. Das entspricht einer Zuteilungsmenge von 809 Mio Zertifikaten im laufenden Jahr.
In den Folgejahren schmilzt die Menge jährlich um 1,7% ab und erreicht im Jahr 2020708 Mio. Zertifikate. Das Volumen der erstmals auf Basis des Benchmarking-Prozesses zugeteilten Zertifikate war nach Anwendung der Korrekturfaktors 11,5% geringer als ursprünglichvon den Mitgliedsstaaten gefordert. Die Preise der Emissionszertifikate zogen an, weil befürchtet wurde, dass die Industrie angesichts der knapperen Zuteilung nicht wie von einigen Marktteilnehmern spekuliert, Teile ihrer Überschüsse verkaufen würde. Die Preise gaben aber einen Teil ihrer Gewinne wieder ab.
Stopping the clock - Einbeziehung des Luftverkehrs: Die EU-Kommission ist Anfang September ihren Verhandlungspartnern im Streit um dieEinbeziehung des Luftverkehrs in den CO2-Handel ein großes Stück entgegen gekommen. Sie hat vorgeschlagen, dass nur Flüge im europäischen Luftraum dem Handel unterzogen werden sollen. Ursprünglich sollten alle Flüge von und nach Europa einbezogen werden, wogegen sich aber ausländische Fluggesellschaften mit Verweis auf die Lufthoheit verwehrt hatten. Nun hat sich die Internationale Organisation für zivile Luftfahrt der UN (ICAO) entschieden, innerhalb der nächsten drei Jahre einen Plan für einen globalen Marktmechanismus zur Reduzierung derEmissionen zu entwickeln, der ab dem Jahr 2020 in Kraft treten soll.
Die EU-Kommission begrüßte dieses Vorhaben, denn nach 15 Verhandlungsjahren war dies ein erster Schritt in Richtung Reduzierung von Emissionen im Luftverkehr. Die konkreten Auswirkungen für das EU-Emissionshandelssystem müssen zwar erst noch ausgelotet werden, aber immerhin wird durch das Ziel der grundsätzliche Ansatz eines Emissionshandelssystems gestärkt. Noch vor wenigen Monaten hatten viele Beobachter angesichts des massiven Preissturzes das Emissionshandelssystem als gescheitert erachtet, zumal auch in Australien der neue Premierminister Abbott die erst Mitte 2012 eingeführte CO2-Steuer wieder abschaffen will. Derzeit steht die Luftfahrt für 3% der globalen CO2-Emissionen, aber laut ICAO-Prognosen werden diese sich bis zum Jahr 2050 vervier- bis versechsfachen.
Makroökomische Triebfedern: In Europa bessert sich die Stimmung. Doch während die Erholung im Großbritannien schon Tritt gefasst hat, sind die Aufschwungssignale im Euroland noch immer verhalten. Zwar kletterte der Einkaufsmanagerindex der Industrie im Euroland im September auf 51,1 und lag damit den dritten Monat in Folge über der kritischen Schwelle von 50 (Grafik 3).
Doch der Stimmungsaufhellungfolgten die harten Zahlen bislang nicht. Der Zusammenhang scheint seit der Staatsschuldenkrise spürbar loser zu sein. So zeigt die Industrieproduktion im Euroland noch immer ein schwaches Wachstum. Offensichtlich bedarf es viel Zeit, bis die Übertreibungen in den Peripherieländern abgebaut sind. Dennoch: allmählich wird sich auch die Wirtschaft im Euroland aus der Krise herausarbeiten und in den kommenden Monaten stärker an Schwung gewinnen.
Relative Preise: Die relativen Preise hätten den CO2-Preisen eigentlich schon lang Auftrieb geben sollen, denn der sogenannte Dark Spread, also die Marge, die sich derzeit am Strommarkt auf Basis kohlebasierter Elektrizitätserzeugung verdienen lässt, ist deutlich höher als der Spark Spread auf Basis der gasbasierten Stromerzeugung (Grafik 4). Tatsächlich ist auch die kohlebasierte Stromproduktion deutlich gestiegen: In Deutschland bspw. lag im ersten Halbjahr der Verbrauch an Steinkohle in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung 8,5% über dem Vorjahreszeitraum. Bislang war die Rückkoppelung auf die Kohlepreise eher minimal.
Die Preise gaben bis Anfang Juli weiter nach und konnten sich erst in den letzten Wochen erholen, bevor sie zuletzt sogar erneut unter Druckgerieten. Vorerst dürfte die Schere weit offen bleiben: zwar zeichnet sich ein Anziehen der chinesischen Importdynamik ab und auch in Europa dürfte eine wirtschaftliche Belebung der Kohlenachfrage Impulse geben, aber das Angebot bleibt trotz geringerer US-Kohleexporte hoch,zumal die starke Abwertung der indischen Rupie Indiens Importnachfrage nach Kohle bremst und auf der Gegenseite die Produktionszahlen von Coal India, Indiens nationalemKohlekonzern, der 80% des Angebots stellt, für das dritte Quartal positiv waren. Kohle dürfte sich also nur leicht verteuern.
Damit bleibt die preisliche Attraktivität der kohlebasierten Stromproduktion und entsprechend der Bedarf an Zertifikaten hoch. Dies dürfte den CO2-Preis weiterhin grundsätzlich unterstützen.
Handelsvolumina:Die Handelsvolumina an der ICE hatten im September wieder deutlich angezogen, nachdem sie in den Monaten zuvor deutlich zurückgekommen waren und damit den langfristigen steigenden Trend unterbrochen hatten (Grafik 5). Ein gestiegenes Handelsinteresse in Deutschland bestätigt die jährliche Unternehmensbefragung der KfW, derzufolge mittlerweile zwei Drittel der deutschen Unternehmen am CO2-Markt aktiv sind und das mit höherer Frequenz. Das übrige Drittel blieb inaktiv, auch weil sie über ausreichend freie Zeritifikate verfügen.
Alles in allembleiben wir mittelfristig für die Preise optimistisch, denn wir gehen weiterhin davon aus, dass sich eine Mehrheit für das Backloading finden wird. Da die Europäische Investitionsbank EIB aber angekündigt hat, Mitte November die zweite Verkaufsphase aus der New Entrants Reserve (NER 300 Initiative) zu beginnenund über fünf Monate gestreckt 100 Mio. Emissionszertifikate zu verkaufen, ist das Angebot kurzfristig reichhaltig, was die Chancen auf kurzfristig starke Preiserholung dämpft. Im kommenden Jahr sehen wir den CO2-Preis aber auf 7 Euro je Tonne steigen.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: 'Rohstoffe kompakt', Commerzbank AG
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