Wann erholt sich der CO2-Markt?
25.10.2011 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Nachdem im Sommer vor allem politische Vorhaben den CO2-Preis im EU Emissionshandelssystem unter Druck gesetzt hatten, belasteten zuletzt primär konjunkturelle Sorgen. Auch wenn aufgrund der anhaltenden Unsicherheit auf kurze Sicht nicht mit einer Trendwende zu rechnen ist, bleiben wir bei unserer Einschätzung, dass sich der Markt mittelfristig verknappen wird und die Preise deshalb anziehen werden, jedoch nicht mehr so deutlich wie bislang erwartet.
Der Preis für das Emissionsrecht einer Tonne CO2 konnte sich nach seinem kräftigen Einbruch Mitte Juli nicht mehr wirklich erholen. Die Auslöser der Korrektur waren damals sowohl politischer als auch konjunktureller Natur. Von politischer Seite waren zweierlei Maßnahmen belastend. Zum einen wurde eine Richtlinie verabschiedet, die den frühzeitigen Verkauf von Emissionsrechten aus der sogenannten New Entrants Reserve erlaubt.
Zum anderen wurde von EU Energiekommissar Oettinger ein Vorschlag für eine neue Direktive für mehr Energieeffizienz vorgestellt. Diese soll helfen, bis zum Jahr 2020 den Primärenergieverbrauch um 20% zu senken. Im Rahmen dessen sollen beispielsweise öffentliche Gebäude einem gewissen Energiestandard angepasst werden. Auch wenn die im EU ETS erfassten Anlagen von den Auflagen höchstens teilweise direkt betroffen wären, so würden sie indirekt durch einen geringeren Energieverbrauch den Emissionsausstoß und damit die Nachfrage nach Verschmutzungsrechten dämpfen. Dies könnte auch einer Studie der EU zufolge die EUA-Preise deutlich unter Druck setzen, sofern die Obergrenze für die Emissionen nicht entsprechend gesenkt werden (“Set aside option“).
Hinzu kamen aber auch konjunkturelle Sorgen im Zuge der Euroland-Schuldenkrise. Diese haben sich in den letzten Wochen weiter verstärkt und den CO2-Preis Mitte Oktober auf ein Zweieinhalb-Jahrestief von unter 10 Euro je Tonne gedrückt (Grafik 1). Er notiert damit nur noch 2 Euro über dem seit Aufnahme des Handels im Jahr 2008 verzeichneten Rekordtief von knapp 8 Euro im Frühjahr 2009. Ist der Preisabsturz gerechtfertigt?
In der Tat birgt die konjunkturelle Verlangsamung das “Risiko“ eines starken Emissionsrückgangs wie die Wirtschaftskrise 2008/2009 gezeigt hat. Im Jahr 2009 schrumpfte die gesamtwirtschaftliche Leistung in den 27 EU Mitgliedsländern um 4¼%. Der Rückgang der im EU ETS erfassten Emissionen fiel mit gut 10% mehr als doppelt so hoch aus. Auch wenn die Emissionen im vergangenen Jahr im Zuge der Wirtschaftserholung wieder um fast 3% gestiegen sind, lagen sie damit noch immer gut 8% unter dem Niveau von 2008 bzw. knapp 11% unter dem Rekordniveau von 2007.
Noch immer Unsicherheit in den Unternehmen
Die jährliche Befragung von emissionshandelspflichtigen deutschen Unternehmen sowie internationaler Experten im Rahmen des KfW/ZEW CO2-Barometers hatte dieses Jahr zum Schwerpunkt, den Stand der Vorbereitung für die dritte Handelsperiode zu ermitteln. Der Umfrage zufolge sind die deutschen Unternehmen bislang ungenügend vorbereitet, denn es seien nur wenige Investitionen getätigt worden, die erhebliche Emissionsreduktionen mit sich bringen würden. Das sei unter anderem mit der langen Restlebensdauer der erfassten Anlagen von im Schnitt 15 Jahren zu erklären.
Die Befragung zeigt aber auch, dass der Anteil der Unternehmen, die damit rechnen, im Jahr 2013 Emissionsrechte hinzukaufen zu müssen, von heute 27% auf 63% steigen wird. Denn ab dem Jahr 2013 gelten die sogenannten Produkt-Benchmarks, die definiert sind als Tonnen CO2-Emissionen pro Tonne produzierter Güter. Sie bilden die Performance der europaweit 10% effizientesten Anlagen ab. Im Durchschnitt erwarten die Unternehmen eine freie Zuteilung von nur noch 65% der gegenwärtigen Zuteilung.
Weiterhin ist die Handelsaktivität der deutschen Unternehmen nur mäßig. Lediglich 54% der befragten Unternehmen gaben an, in den letzten zwölf Monaten Emissionsrechte gehandelt zu haben. Zum Vergleich im Vorjahr waren 51% aktiv. Unterjährig handelten nur 18% der befragten Unternehmen. Als häufigsten Grund für die Handelszurückhaltung nannten die Unternehmen eine ausreichende Zuteilung, aber auch die Vermeidung von spekulativen Handelsgeschäften wurde als Begründung angeführt.
Die Preiserwartungen der Unternehmen haben sich im Vergleich zur letztjährigen Befragung sogar erhöht, wobei die Preiserwartung der Unternehmen mit 19 Euro je Tonne zur Jahresmitte 2012 bzw. 22 Euro zum Jahresende 2013 sogar noch über der der Experten liegt. Bei den Antworten ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Atomkatastrophe in Japan in die Mitte des Befragungszeitraums fiel, weit vor dem großen Preisrutsch Mitte Juli.
Dies ist natürlich grundsätzlich erfreulich, führt am Markt für Emissionsrechte allerdings zu Überschüssen, welche den Preis belasten. Auch wenn der Abschwung dieses Mal kaum so stark ausfallen wird wie vor zwei Jahren und folglich auch die dämpfende Wirkung auf die Emissionen merklich geringer sein wird, belastet nichtsdestotrotz die Aussicht, dass sich der Überschuss am Markt langsamer abbauen wird als bislang prognostiziert. Innerhalb der im EU ETS erfassten Sektoren droht der Stahlindustrie derzeit der stärkste Abschwung. Bereits jetzt lässt die Dynamik der Stahlkonjunktur in Europa stark nach (Grafik 2).
Verstärkt werden die konjunkturellen Sorgen durch strukturelle Verschiebungen: im Frühjahr war man nämlich für Deutschland aufgrund der Stilllegungen von Atomkraftwerken von einem deutlichen Mehr an kohle- und/oder gasbasierter Stromerzeugung ausgegangen. Tatsächlich lag die Bruttostromerzeugung aus Kernenergie im ersten Halbjahr 15% niedriger als im Vorjahr. Doch das Minus wurde nur zu einem Teil durch fossile Brennträger ausgeglichen.
Auch ein großes Plus bei den Windkraftanlagen kompensierte: immerhin ein Viertel des Ausfalls von insgesamt 10 Mrd. kWh wurde gemäß dem Bundesverband für Energie- und Wasserwirtschaft im ersten Halbjahr durch ein Mehr an Strom durch Windkraft wettgemacht. Und der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet auch in anderen Ländern schnell voran: Deutschland ist zwar mit einer installierten Gesamtkapazität von 27.214 MW im europäischen Vergleich Spitzenreiter, aber bei den Neuinstallationen wurde es von Spanien knapp überholt.
Doch neben den strukturellen und konjunkturellen Einflussfaktoren, die derzeit eher die Nachfrage nach Emissionsrechten dämpfen, gibt es auch Faktoren, die tendenziell den Bedarf an Emissionsrechten steigern: aktuell ist es die starke Verschiebung der Attraktivität von kohlebasierter Stromerzeugung. Denn dank des Rückgangs der Kohlepreise und der deutlichen Verbilligung der Emissionsrechte hat sich der sogenannte “Clean Dark Spread“, also die um die CO2-Rechte bereinigte Gewinnmarge bei Kohle ausgeweitet, während diese sich bei Gas eher etwas eingeengt hat (sogenannter “Clean Spark Spread“; Grafik 3).
Neben diesem kurzfristigen Effekt kommt aber auch ein langfristiger Nachfragetreiber hinzu: der Luftverkehr. Dieser wird ab Januar 2012 in das EU ETS einbezogen und umfasst alle Flüge innerhalb der EU sowie alle in die EU einkommenden wie auch ausgehenden Flüge. Ende September hat die EU Kommission die Benchmarks veröffentlicht, die bei der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten an die Fluggesellschaften zugrunde gelegt werden. Demnach erhält eine Fluggesellschaft für den Handelszeitraum 2012 pro 1000 Tonnenkilometer 0,6797 Zertifikate.
Zwischen 2013 und 2020 sind es 0,6422 Zertifikate. 2012 werden 85% der Emissionszertifikate für den Luftverkehr den Fluggesellschaften kostenlos zugeteilt, zwischen 2013 und 2020 sind es 82%. Dass der Luftverkehr überhaupt in das EU ETS einbezogen wird liegt an der rasanten Entwicklung der Luftverkehrsemissionen, die sich seit 1990 fast verdoppelt haben. Rund 10% der durch das EU ETS abgedeckten Treibhausgasemissionen stammen aus dem Luftverkehr. Schätzungen zufolge erzeugt ein Flugzeug auf einem Flug von Brüssel nach New York und zurück rund 800 kg CO2 pro Passagier.
Auf der “Angebotsseite“ sind zwei preisbelastende Faktoren auszumachen: zum einen der bereits eingangs erwähnte vorgezogene Verkauf von Emissionsrechten aus der 300 Mio. EUAs umfassenden “New Entrants Reserve“ (NER300) seitens der Europäischen Investitionsbank (EIB), dessen Erlöse zur Förderung von erneuerbaren Energien und der Abspaltung und Speicherung von CO2 (CCS) eingesetzt werden sollen. Die EIB geht derzeit davon aus, dass die formalen Voraussetzungen in der ersten Novemberhälfte abgeschlossen sind. Dann könne nach der faktischen Übergabe der Emissionsrechte noch vor Jahresende mit dem Verkauf begonnen werden.
Die EIB hat angekündigt, den Verkauf außerbörslich, über die Börsen und in Auktionen abzuwickeln. Die erste Tranche, die innerhalb von 10 Monaten verkauft werden muss, umfasst 200 Mio. EUAs, was ein monatliches Zusatzangebot von 20 Mio. EUAs implizieren würde. Das enstpräche immerhin der Hälfte der jährlichen Versteigerungsmenge in Deutschland und ist damit durchaus als signifikant einzustufen.
Zum anderen sind die Gutschriften aus CDM-Projekten (Clean Development Mechanism) massiv gestiegen (Grafik 4) und werden auch verstärkt eingesetzt. Diese Gutschriften, auch als CERs bekannt, werden durch Emissionsminderungsprojekte in Entwicklungsländern generiert und entsprechen einem EUA. Allein im September wurden 247 CDM-Projekte zur Genehmigung eingereicht, so viele wie nie zuvor in einem Monat.
Politisch betrachtet könnte der Klimaschutz in der EU demnächst vorangetrieben werden. Denn zu Jahresbeginn übernimmt Dänemark von Polen die EU Ratspräsidentschaft. Polen hatte während seiner Amtszeit wenig Interesse am Klimaschutz und legte auf dem EU-Gipfel im Juni ein Veto gegen die Erhöhung des Emissionsreduktionszieles ein. Dagegen schlägt die neu gewählte dänische Regierung eine ganz andere Tonart an: So sollen die CO2-Emissionen in Dänemark selbst bis 2020 um 40% reduziert werden. Entsprechende Anstrengungen könnten auch auf europäischer Ebene unternommen werden.
Mittel- bis langfristig wird sich der EUA-Markt einengen. Kurzfristig jedoch dürften die Konjunktursorgen und anhaltenden Unsicherheiten auch die CO2-Preise belasten. Wir erwarten daher bis Jahresende nur noch einen moderaten Anstieg der EUA-Preise auf 12 EUR je Tonne. Auch im nächsten Jahr dürfte der Preisanstieg nicht mehr ganz so deutlich ausfallen.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: “Rohstoffe kompakt“, Commerzbank AG
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