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Libyens Rückkehr an den Ölmarkt und die Folgen

26.08.2011  |  Eugen Weinberg (Commerzbank)

Der seit Mitte Februar andauernde Bürgerkrieg in Libyen steht kurz vor seinem Ende und damit auch die 42-jährige Herrschaft des libyschen Machthabers Gaddafi. Dadurch verbessern sich die Aussichten auf eine baldige Wiederaufnahme der libyschen Ölproduktion. Dies könnte schneller geschehen als derzeit vom Markt erwartet. Langfristig könnten Investitionen in die Ölinfrastruktur die Produktionskapazitäten des Landes deutlich erhöhen. Der Ölpreis dürfte aufgrund des zurückkehrenden Angebots aus Libyen in den kommenden Monaten unter Druck geraten, jedoch nicht nachhaltig unter die Marke von 100 USD je Barrel fallen.

Meldungen aus Libyen, wonach die Rebellen weitgehend die Kontrolle über die Hauptstadt Tripolis übernommen haben, ließen den Brentölpreis am Montag um mehr als drei US-Dollar fallen. Durch das sich abzeichnende Ende des sechs Monate andauernden Bürgerkrieges wächst die Aussicht auf eine baldige Wiederaufnahme der libyschen Ölproduktion. Einige Ölkonzerne sind bereits auf dem Weg zurück nach Libyen. Vor dem Ausbruch der Kämpfe Mitte Februar betrug die Tagesproduktion Libyens 1,6 Mio. Barrel.

Zwar ist eine rasche Rückkehr zu diesem Produktionsniveau angesichts der nach wie vor unsicheren Lage und der zu vermutenden Beschädigungen an der Ölinfrastruktur unwahrscheinlich. Laut dem früheren libyschen Ölminister Ghanem könnten dazu 18 Monate vergehen. Zuletzt ist das Produktionsvolumen in Libyen auf nur noch 60 Tsd. Barrel pro Tag gesunken (Grafik 1), was nicht einmal ausreicht, um den heimischen Bedarf zu decken. Als Öllieferant fällt Libyen seit März somit mehr oder weniger aus.

Der Markt scheint derzeit aber noch nicht so recht an eine schnelle Rückkehr der libyschen Ölproduktion zu glauben. Wir glauben, dass der Markt diese Möglichkeit unterschätzt, sowohl was den Zeitraum als auch was die Menge betrifft. Wie schnell kann Libyen als Anbieter auf den Ölmarkt zurückkehren? Die Entwicklung der Ölproduktion des Irak im Kriegsjahr 2003 könnte ein Anhaltspunkt hierfür sein. Diese belief sich in den Monaten vor der US-geführten Invasion im März 2003 auf durchschnittlich 2,4 Mio. Barrel pro Tag. Im März 2003 fiel die Tagesproduktion auf 1,4 Mio. Barrel, im April 2003 sogar auf 140 Tsd. Barrel. In den darauffolgenden Monaten kam es aber zu einer kontinuierlichen Erholung (Grafik 1).

Ende 2003 betrug das Produktionsniveau bereits wieder 2 Mio. Barrel pro Tag und erreichte somit 80% des ursprünglichen Niveaus. In Libyen könnte die Wiederaufnahme der Produktion möglicherweise etwas länger dauern, da die Kämpfe länger anhielten und die Beschädigungen an den Öleinrichtungen wahrscheinlich etwas schwerwiegender sind. Dennoch sollte es möglich sein, dass bereits in den kommenden sechs Monaten ein beträchtlicher Teil der Ölproduktion an den Markt zurückkommt. Ein tägliches Produktionsvolumen von 800 Tsd. bis 1 Mio. Barrel erscheint uns in einem halben Jahr durchaus realistisch.

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Langfristig dürfte ein Machtwechsel in Libyen die Perspektive für eine deutliche Ausweitung der Produktionskapazitäten verbessern. Libyen verfügt laut BP Statistical Review mit 46,4 Mrd. Barrel über die höchsten nachgewiesenen Ölreserven in Afrika und über die achtgrößten weltweit. Viele Felder sind aber veraltet, was einer deutlichen Ausweitung der Ölproduktion entgegensteht. Ausländische Investitionen könnten die Produktionskapazitäten Libyens in den kommenden Jahren aber deutlich anheben. Auch hier könnte der Irak als grobe Richtschnur dienen. Mittlerweile produziert der Irak wieder 2,7 Mio. Barrel Rohöl pro Tag und damit mehr als vor dem Krieg im Jahr 2003 und soviel wie zuletzt Ende der 80er Jahre (Grafik 2). Ende der 70er Jahre produzierte der Irak bereits mehr als 3 Mio. Barrel pro Tag. In den nächsten drei Jahren soll die Produktion dank der Investitionen ausländischer Ölkonzerne irakischen Schätzungen zufolge auf 5-6 Mio. Barrel pro Tag verdoppelt werden.

Vor der Machtübernahme Gaddafis lag die Ölproduktion Libyens bei ca. 3 Mio. Barrel pro Tag. Dieses Produktionsniveau könnte bei hinreichender politischer Stabilität und Rechtssicherheit schneller erreicht werden als im Irak, der knapp 10 Jahre dazu benötigen dürfte. Denn im Gegensatz zum Irak waren in Libyen bereits vor dem Machtwechsel internationale Ölkonzerne aktiv, was die Erschließung neuer Felder erleichtern dürfte. Zudem versank der Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 im Bürgerkrieg, was in den darauffolgenden Jahren einen nochmaligen Rückgang der Ölproduktion auf weniger als 2 Mio. Barrel pro Tag zur Folge hatte. Damit ist zugleich das Risiko aufgezeigt, welches auch für Libyen gilt. Sollte es nach dem Ende der über 40-jährigen Gaddafi-Herrschaft zu einem Machtvakuum oder gar länger anhaltenden Fehden zwischen den zahlreichen Stämmen kommen, dürfte dies die Investitionen in die Ölinfrastruktur erschweren und die Ausweitung der Ölproduktion entsprechend verzögern.





Die Knappheit an hochwertigem Rohöl aus Libyen war ein wichtiger Grund für die deutliche Verteuerung von Brentöl in den vergangenen Monaten. Bei einer Rückkehr Libyens auf den Ölmarkt sollte sich die Angebotslage auf dem europäischen Markt und damit auch für Brent mittelfristig merklich entspannen. Denn mehr als 80% der libyschen Ölausfuhren gehen nach Europa. Mit einem Anteil von mehr als 9% an den Ölimporten ist Libyen zudem der drittwichtigste Öllieferant für die EU. In der Folge dürfte der Brentölpreis stärker unter Druck geraten als der WTI-Preis und sich die ungewöhnlich hohe Preisdifferenz, welche im August ein Rekordniveau von 26 USD je Barrel erreichte, auf weniger als 20 USD verringern (Grafik 3).

Auch ohne den Faktor Libyen ist dieser Preisunterschied nicht zu rechtfertigen. Die Rückkehr Libyens wird auch zu einem Anstieg der freien Förderkapazitäten beitragen, welche zuletzt stark abgeschmolzen waren. Höhere freie Kapazitäten sprechen ebenfalls für fallende Ölpreise.

Ein Preisrückgang auf deutlich unter 100 USD je Barrel ist allerdings unwahrscheinlich. Zum einen dürfte es noch etwas dauern, bis die Ölproduktion in Libyen wieder ein Niveau erreicht hat, welches als signifikant zu bezeichnen ist. Zum anderen dürfte Saudi-Arabien in diesem Falle seine Angebotsausweitung der vergangenen Monate sukzessive wieder zurücknehmen. Das Königreich hatte zur Kompensation der Produktiionsausfälle in Libyen seine Ölproduktion im Juli auf 9,8 Mio. Barrel pro Tag ausgeweitet, den höchsten Stand seit 30 Jahren. Bei einem stärkeren Preisrückgang wäre mit einer zügigeren Reduktion des OPEC-Angebots zu rechnen. Denn aufgrund der gestiegenen Sozialausgaben sind viele OPEC-Mitglieder inzwischen auf deutlich höhere Preise angewiesen als noch vor wenigen Jahren (siehe auch Rohstoffe kompakt vom 10. Mai “Unruhen sprechen für langfristig höheren Ölpreis“). Wir rechnen daher weiterhin mit einem Ölpreis von 100 USD je Barrel am Jahresende.

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Auf einen Blick

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© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: “Rohstoffe kompakt“, Commerzbank AG





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