Agrarrohstoffe: Land in Sicht? Wo wächst das Angebot in 2050?
15.04.2010 | Eugen Weinberg (Commerzbank)
Wie kann die weltweite Produktion an Agrargütern bis 2030 um 40% und bis 2050 um 70% gesteigert werden, damit sich die bis dahin um 40% wachsende Weltbevölkerung versorgen kann? Woher können die Milliarde Tonnen an zusätzlich notwendiger Getreideproduktion kommen? Vor welchen Herausforderungen steht die Produktion von tierischen Produkten zur Versorgung mit tierischem Eiweiß, die bis 2050 um 200 Millionen Tonnen höher liegen soll? Diesen Fragen geht insbesondere die FAO, die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, nach. 2050 ist noch weit entfernt, doch die absehbaren Entwicklungen können bereits in näherer Zukunft die Preise für Agrargüter und die entsprechenden Produktionsfaktoren beeinflussen.
Die Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln in der Zukunft ist ein wahrlich weltbewegendes Thema. Die steigende Weltbevölkerung muss mit ausreichenden Mengen qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel versorgt werden. Allerdings zeigen Untersuchungen, dass die Tatsache, dass Nahrungsmittel heute vielen Menschen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, weitgehend eine Folge mangelnder Kaufkraft ist, weniger dagegen in der Menge an vorhandenen Nahrungsmitteln oder dem Einsatz von Getreide in der Tierproduktion begründet liegt. Auch wenn das Bevölkerungswachstum sich abflacht und immer mehr Menschen mittlere bis hohe Versorgungsniveaus mit Nahrungsmitteln erreichen - zwei Aspekte, die den zusätzlichen Bedarf dämpfen -, so ist nach Angaben der FAO absolut doch eine Angebotsausdehnung um 70% bis 2050 notwendig.
Fläche: Ausdehnung nur begrenzt möglich
Die FAO kommt zu dem Schluss, dass der wesentliche Teil der Angebotsausdehnung aus einer Erhöhung der Flächenerträge stammen muss (Grafik 1). Eine Intensivierung der Bewirtschaftung (d.h. mehrere Ernten pro Jahr, schnellere Fruchtfolge, Bewässerung) kann aufgrund der mit steigender Bebauungsintensität wachsenden Gefahr von Bodenerosion oder anderen Schädigungen nur einen kleinen Beitrag leisten. Auch kann die bewirtschaftete Fläche nur moderat - nämlich um weltweit etwa 5% - ausgedehnt werden. Diese Flächenausdehnung wird zudem stark regional differieren (Grafik 3). In den Industrieländern ist mit einer Fortsetzung des seit Mitte der 1980er Jahre zu beobachtenden Trends zu einer geringeren Agrarfläche zu rechnen.
Dagegen steht die Möglichkeit der Flächenausdehnung fast ausschließlich in Lateinamerika und in Afrika südlich der Sahara zur Verfügung, während in Nahost/Nordafrika und in Südasien kaum zusätzliches Land in die Bewirtschaftung genommen werden kann. Pro Kopf wird daher die verfügbare Fläche weiter, wenn auch nicht mehr so deutlich wie in der Vergangenheit, sinken. Die FAO schätzt, dass derzeit etwa 30% der Erdoberfläche prinzipiell zur Nahrungsmittelproduktion geeignet wären, aber nur 1,6 Mrd. Hektar dieser 4,2 Mrd. Hektar bisher tatsächlich genutzt werden. Allerdings liegt ein Teil der zusätzlich geeigneten Fläche unter Siedlungen, die sich zudem noch weiter ausdehnen werden (Grafik 2).
Fläche wird auch durch die Industrie und die Produktion von Biokraftstoffen beansprucht. Sie unterliegt zudem möglichen Veränderungen durch den Klimawandel und Anforderungen an den langfristigen Umweltschutz. Auch ist mancher Boden nur zur Produktion bestimmter Agrargüter geeignet, die nicht in der prinzipiell möglichen Höhe benötigt werden. Hinzu kommen Infrastrukturmängel, geringe Bodenfruchtbarkeit etc., die einer Nutzung entgegenstehen. Den höchsten Anteil (90%) realistisch zusätzlich nutzbarer Fläche vereinen Lateinamerika und Afrika südlich der Sahara auf sich, und darunter wiederum die Hälfte alleine sieben Länder (Brasilien, Dem. Rep. Kongo, Angola, Sudan, Argentinien, Kolumbien, Bolivien).
Flächenerträge: Wesentlich für Angebotswachstum
Den Hauptbeitrag zum Produktionswachstum muss also eine Erhöhung der Flächenerträge leisten (Grafik 4). Diese wird auf etwa 0,8% p.a. für die 44 Jahre von 2005/07 bis 2050 geschätzt. Das wäre etwa halb so stark wie im Durchschnitt der vorherigen 44 Jahre, zeichnete aber noch immer für 70% der gesamten Produktionssteigerung in Entwicklungsländern und sogar für den gesamten Anstieg in Industrieländern verantwortlich. Meist liegen die Erträge der Best-Performer und der Worst-Performer weit auseinander. Zum Teil ist dies auf unterschiedliche biologische Voraussetzungen zurückzuführen, zum Teil auch auf politische Rahmenbedingungen.
Aufgrund der hohen Divergenz hat die FAO für Weizen untersucht, welche Entwicklung in den größten Anbauländern am wahrscheinlichsten ist. Denn in den größten Produzentenländern liegen die Erträge oft deutlich unter dem Niveau der Top-Performer. Das ist allerdings kein Beweis für Ineffizienz, vielmehr ist davon auszugehen, dass das jeweilige Niveau unter den gegebenen Bedingungen ökonomisch effizient ist, z.B. wegen unterschiedlicher Politik, Flächenknappheit oder -beschaffenheit.
Die Top-Performer sind bei Weizen das Vereinigte Königreich, Deutschland, Dänemark und Frankreich, wobei diese ihre dauerhaft möglichen Erträge bereits erreicht haben. Die nachfolgenden Länder wie Ungarn, Polen, Italien und die USA dagegen verfügen über enorme Potenziale, die bis zur Erreichung des ökologisch maximal Möglichen noch ausgeschöpft werden können. Zum Teil wäre fast eine Verdopplung der Erträge denkbar. Noch stärker gilt das für Rumänien und die Ukraine, die ein ebenso hohes Ertragsniveau wie die Top-Performer erreichen könnten. Länder wie Argentinien, Russland, Australien und Kasachstan könnten dieses Niveau zwar längst nicht erreichen, wohl aber ihren Flächenertrag verdoppeln.
Bei dem bedeutenden Exportland Kanada dagegen ist bereits bei den realisierten, deutlich unter den Top-Performern liegenden Erträgen das Potenzial beinahe ausgeschöpft. Um weltweit die Steigerung der Erträge umweltschonend Wirklichkeit werden zu lassen, wird es darauf ankommen, (wassersparende) Züchtungserfolge zu erzielen und umzusetzen sowie moderne Inputs mit Hilfe verbesserter Informationssysteme effizienter anzuwenden. Bessere Möglichkeiten zu Risikomanagement, Finanzierung und Marktentwicklung können in vielen Ländern die Übernahme der notwendigen Technologien erleichtern.
Wasser: Global ausreichend, lokal sehr knapp
Ähnlich wie bei der Verfügbarkeit zusätzlicher, zur Agrarproduktion einsetzbarer Flächen, ist auch die Wasserverfügbarkeit sehr ungleich verteilt und von zunehmender Knappheit in immer mehr Ländern oder Regionen gekennzeichnet. Oft handelt es sich dabei um diejenigen Regionen, in denen auch die Landverfügbarkeit an ihre Grenzen stößt wie in Nahost/Nordafrika und Südasien. Hier muss besonders die Effizienz der Wassernutzung verbessert werden. Derzeit wird etwa ein Fünftel der Fläche in Entwicklungsländern künstlich bewässert, diese liefert aber 47% aller Ackerfrüchte und sogar 60% der Getreideproduktion. In Süd- und Südostasien wird etwa ein Drittel der Fläche künstlich bewässert, ein Anteil, der bis 2050 auf 36% steigen soll.
Bereits heute ist dies die Haupterklärung für die relativ hohe Bebauungsintensität in diesen Regionen. Alleine China und Indien vereinen über die Hälfte der in Entwicklungsländern bewässerten Fläche auf sich. Da sowohl auf bereits heute als auch auf neu bewässerten Flächen die Bebauungsintensität steigen wird, sollte der Erklärungsanteil der bewässerten Fläche für die Zunahme in der gesamten geernteten Fläche – bei doppelter Einsaat pro Jahr also das Zweifache der Bodengröße – bei über einem Drittel liegen. Weltweit wird etwa 70% der Frischwasserentnahme durch die Landwirtschaft vorgenommen.
Landwirtschaftliche Produktion: Ungleiche Perspektiven für die einzelnen Agrargüter
Auch die Entwicklung der einzelnen Agrarrohstoffe auf der Fläche wird sich stark verändern. Hier rechnet die FAO mit einem deutlichen Ausbau insbesondere der Mais-, aber auch der Sojabohnenfläche. Dies hat mehrerer Gründe: Zum einen wird der Fleischkonsum weiter steigen, der die Nachfrage nach Mais und Sojaprodukten als Futtermittel erhöht. Die FAO rechnet damit, dass der durchschnittliche Fleischkonsum bis 2050 von 37 kg pro Kopf und Jahr auf 52 kg steigen wird. Die beim Konsum von Fleisch niedrigere Kalorienausbeute bezogen auf die Menge an benötigten Futtermitteln ist auch der Grund dafür, dass zwar von einer um 22% erhöhten Pro-Kopf-Produktion an Nahrungsmitteln, aber einer nur um 11% erhöhten Kalorienaufnahme ausgegangen wird.
Über die nächsten Jahre wird auch ein weiterer Ausbau der Maisfläche zur Produktion von Biosprit erfolgen. Dagegen wird ein Rückgang der mit Kartoffeln, Reis und Hülsenfrüchte bebauten Fläche prognostiziert. Reis und Weizen werden in den Entwicklungsländern stark in der landarmen Region Nahost/Nordafrika angebaut. Dagegen ist in den noch über große Landreserven verfügenden Regionen Afrika südlich der Sahara und Lateinamerika Mais bereits heute ein Hauptanbauprodukt. Bei Mais wird daher die Flächenausdehnung einen erheblichen Produktionsbeitrag leisten.
In China vereinigen sich beide Trends: Die FAO rechnet mit einer kaum wachsenden Weizenproduktion, einem leichten Rückgang der Reisproduktion, aber einem deutlichen Anstieg der Maisproduktion. Detaillierte Daten bieten FAO und OECD in ihrem Ausblick bis 2018, der im Sommer 2009 veröffentlicht wurde (Grafiken 5 bis 7). Weltweit soll demnach die Weizen- und Reisproduktion nur moderat um gut 10% gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2006-09 steigen, während bei Grobgetreide mit einem Plus von 20% und bei Ölsaaten gar mit knapp 30% gerechnet wird. Dabei soll insbesondere die EU bei Weizen von hohem Niveau aus überproportional zulegen können, was sich auch in deutlich erhöhten Nettoexporten niederschlägt. Auch Australien und die Ukraine werden ihre Weizenexporte deutlich ausbauen können.
Bei Mais werden die USA ihre Produktion besonders stark steigern und ihre herausragende Stellung im Welthandel verteidigen können. Auf niedrigerem Niveau werden auch die EU, die Ukraine und Argentinien ihre Exporte ausbauen können. Weltweit wird sich dabei der vermehrte Einsatz genmodifizierter Sorten fortsetzen, auch in Brasilien, das bisher stark den gentechnikkritischen EU-Markt beliefert. Brasilien kommt insbesondere bei der Erhöhung des weltweiten Ölsaatenangebots, insbesondere an Sojabohnen, eine Schlüsselrolle zu. Dabei wird Brasilien die mit Sojabohnen bebaute Fläche stark ausdehnen, ein wachsender Anteil der Produktion wird aber intern zu Futtermitteln für die wachsende Fleischproduktion verwendet. Das Land sollte dennoch die USA beim Export deutlich überholen, während China seine Importe weiter stark ausweiten wird.
Die starke Nachfragesteigerung bei Pflanzenölen, die auf plus 40% bis 2018 geschätzt wird und die auch pro Kopf noch deutlich stärker als der Fleischkonsum steigen soll, wird dagegen weitgehend aus einem in Indonesien (+60%) noch stärker als in Malaysia (+45%) steigenden Angebot bedient werden. Diese beiden Länder teilen sich fast vollständig den internationalen Markt für Palmöl, der bereits in den letzten Jahren zulasten von Sojaöl stark zulegen konnte. Die EU wird trotz eigener erhöhter Produktion ihre Importe mehr als verdoppeln, und auch China und Indien werden einen erhöhten Importbedarf an Pflanzenöl aufweisen.
Der Zuckermarkt dagegen wird bereits heute auf der Angebotsseite durch Brasilien dominiert, das diese Position noch dramatisch wird ausbauen können.
Dasselbe gilt für Rindfleisch. Brasilien soll auch bei Schweinefleisch die Exporte aufgrund niedriger Produktionskosten insbesondere in preissensitive Gebiete wie Russland und viele asiatische Länder steigern können. Allerdings bleiben die USA, Kanada und die EU größere Exporteure, wobei die USA ihre Position zulasten der beiden anderen deutlich ausbauen können. Bei Geflügelfleisch wird ebenfalls das im Preis wettbewerbsfähige Brasilien seine Bedeutung als größter Exporteur weiter stärken können.
Die Schätzungen werden weitgehend auch von den im Februar 2010 veröffentlichten Langfristprognosen des USDA bestätigt und zum Teil konkretisiert (Grafik 8). So schätzt das USDA, dass Argentinien seine dominierende Stellung im Export von Sojaöl und –mehl ausbauen und dazu sogar Sojabohnen aus den Nachbarländern importieren wird, um seine Crushing-Kapazitäten auslasten zu können. Aufgrund hoher Exportsteuern bei Getreide gegenüber Ölsaaten ist die Produktion von Sojabohnen und ihre Verarbeitung im Land vorteilhafter als die Getreideproduktion.
Zusätzlich wird für Baumwolle geschätzt, dass die USA ihre Exporte um etwa 25% bis 2019 werden steigern können und sich damit wieder in Richtung des 2004 erreichten Exportanteils von 40% bewegen. Auf deutlich niedrigerem Niveau werden auch Afrika südlich der Sahara und Indien – das seine Erträge über die Nutzung von Hybridsorten erhöhen kann – die Exporte ausbauen, Südasien und China dagegen ihre Importe erhöhen. Auch in ihrer mittelfristigen Preisprognose ähneln sich FAO/OECD und USDA: Beide rechnen mit moderaten Preissteigerungen bei Fleisch. Die Getreidepreise sollen deutlich unter denen von 2007/08, aber historisch hoch bleiben. Ölsaaten und Pflanzenöle sollen etwas stärker zulegen können.
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: "Rohstoffe kompakt", Commerzbank AG
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