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Energie: Ein Blick fünf Jahre weiter

16.07.2009  |  Eugen Weinberg

Der Ölpreis notiert aktuell bei etwa 60 USD je Barrel. Anfang Juli waren es noch 70 USD. Somit ist der seit Anfang des Jahres zu beobachtende kräftige Aufwärtstrend des Ölpreises offenbar zu Ende. Die Preise sind in den letzten Wochen gefallen, da zunehmend befürchtet wird, dass die antizipierte Konjunktur¬erholung möglicherweise schwächer ausfällt als erwartet. Der IWF sagte letzte Woche voraus, dass die Konjunkturerholung in den Industrieländern möglicherweise erst in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres einsetzen werde. Auch der Dollar hat unlängst angezogen und damit einen Rückgang beim Ölpreis bewirkt.

Darüber hinaus belegen die jüngsten Lagerbestandsdaten einen enormen Aufbau der weltweiten Vorräte an raffinierten Produkten, was vor allem eine schleppende Nachfrage widerspiegelt, insbesondere nach Mitteldestillaten. Infolgedessen sind die Rohölpreise gesunken, denn mögliche weitere Einschnitte beim Raffineriedurchsatz dürften die Nachfrage nach Rohöl belasten. Dies fällt unglücklicherweise zusammen mit einem gemäß der jüngsten Förderdaten der OPEC steigendem Angebot an OPEC-Rohöl: im Juni ist die Produktion den dritten Monat in Folge gestiegen ist und die Quote wurde nur noch zu 68% erfüllt.

Die kurzfristigen Fundamentaldaten deuten darauf hin, dass die Preise eine Schwächephase erleben bzw. zumindest auf ihrem aktuellen Niveau stagnieren dürften. In unserer Studie diese Woche wenden wir uns aber von den kurzfristigen Ölmarktthemen ab und widmen uns den mittelfristigen Entwicklungen der Bedingungen am Ölmarkt, etwa auf Sicht bis 2014. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat jüngst ihren jährlichen mittelfristigen Ausblick zum Ölmarkt aktualisiert. Über diesen Zeithorizont lassen sich die Auswirkungen der aktuell getroffenen Entscheidungen bezüglich der Förderungsinvestitionen auf das mittelfristige Ölangebot abschätzen. Desweiteren werden auch die derzeit festzustellenden Ölpreis- und Konjunkturschocks die Ölnachfrage längerfristig beeinflussen.

In dieser Studie untersuchen wir, wie stark und aus welchen Gründen die letzten Monat veröffentlichten mittelfristigen Projektionen der IEA von ihren vor einem Jahr getroffenen Vorhersagen abweichen. Durch diese Analyse stellen wir fest, dass eine anhaltend schwache Nachfrage und ein Überhang an freien Förderkapazitäten in den OPEC-Staaten auf Sicht der nächsten Jahre ein schwaches Preisumfeld bewirken. Die bislang häufig prognostizierte Angebotskrise ist auf Sicht von fünf Jahren nicht erkennbar. Die IEA gibt ungern Prognosen zur künftigen Preisentwicklung ab, doch ihre Analyse der künftigen Balance zwischen Ölangebot und -nachfrage liefert deutliche Hinweise in Bezug auf die aktuelle Einschätzung der Agentur.

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Tabelle 1 zeigt die Projektionen, die die IEA in ihrem jährlichen mittelfristigen Ölmarktbericht jeweils in 2008 und 009 zur weltweiten Bilanz am Ölmarkt vorgenommen hat. Wir möchten uns für die Informationsdichte der Tabelle entschuldigen, halten diese aber für notwendig, um die wichtigsten Schlüsse für den Ölmarkt zu ziehen, die wir auf der nächsten Seite erläutern.

Bei der Projektion in 2008 erstreckt sich die Prognose bis auf 2013, während die aktuellste Projektion auch 2014 umfasst. Bei beiden Projektionen ist die Zunahme des jährlichen Durchschnitts für den Zeitraum zwischen 2009 und 2013 sowohl in Millionen Barrel pro Tag als auch Prozent angegeben. Dies ermöglicht einen Vergleich der Wachstumsraten zwischen beiden Projektionen. Zu beachten ist, dass die Agentur ihre Einschätzung der Bedingungen am Ausgangspunkt, d.h. 2009, zwischen beide Projektionen deutlich geändert hat.

In der rechten Seite der Tabelle ist die Differenz der absoluten Werte zwischen den beiden Projektionen in jedem Jahr zwischen 2009 und 2013 angegeben. Zu beachten ist, dass die Differenz zwischen den Projektionen für das Jahr 2013 aufgrund der deutlichen Anpassungen bei der Projektion für das Ausgangsjahr 2009 in vielen Fällen groß ist. Die effektiv verfügbare OPEC-Kapazität wird 1 Million Barrel pro Tag unter der theoretischen Kapazität angesetzt. Die freie Kapazität entspricht der OPEC-Kapazität abzüglich des Postens “Bedarf an OPEC Rohöl plus Lagerveränderung“.

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• Ölnachfrage: Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass die Nachfrage 2009 etwa 3,0 Mio. Barrel pro Tag geringer sein wird als noch vor einem Jahr angenommen. Darin spiegelt sich der spürbare Konsumrückgang infolge steigender Preise und schwacher Konjunktur wider. Für die Ölnachfrage wird in jedem Jahr zwischen 2009 und 2013 ein Anstieg von durchschnittlich 0,9 Mio. Barrel pro Tag bzw. etwa 1,1% jährlich prognostiziert. Diese Wachstumsrate liegt geringfügig unter dem vor einem Jahr prognostizierten Wert von 1,4%. Die verschiedenen Auswirkungen haben zusammen dazu geführt, dass die Ölnachfrage 2013 nun etwa 6,2 Mio. Barrel pro Tag niedriger angesetzt wird als noch im Bericht vom letzten Jahr prognostiziert. Diese Korrekturen sind größtenteils auf die deutlich schlechteren Wachstumsaussichten in den OECD-Ländern und China zurückzuführen.

• Nicht-OPEC-Angebot: Indonesien wird in der jüngsten Projektion zum ersten Mal als Nicht-OPEC-Land aufgeführt, was den Vergleich des Nicht-OPEC-Angebots zwischen den beiden Berichten erschwert. Da sich das erwartete Produktionsniveau im Falle Indonesiens aber nicht wesentlich verändert haben dürfte, lassen sich dennoch einige wichtige Schlüsse ziehen. Die Prognosen sehen für die Zunahme des Rohölangebots aus Nordamerika eine Halbierung vor, da die Produktion der älteren Felder in Mexiko stärker als erwartet zurückgegangen ist.

Die Ölproduktion in den Ländern der früheren Sowjetunion wird für 2009 etwa 0,6 Mio. Barrel pro Tag niedriger angesetzt als in der vorherigen Prognose. Darüber hinaus wird nun erwartet, dass die Produktion aus dieser Region bis 2013 stagniert, sodass das Angebot in jenem Jahr 1,3 Mio. Barrel pro Tag geringer ausfallen dürfte als vorher prognostiziert. Die Korrekturen nach unten spiegeln Abwärtskorrekturen beim Angebot aus Russland wider, die das anhaltende Wachstum in den zentralasiatischen Staaten mehr als kompensieren. In gewisser Weise unterliegen die Ölexporte aus Russland auch dem Einfluss der Ölpreisentwicklung am internationalen Markt. Dennoch lässt die Agentur ihre Besorgnis über die hohen Investitionen in russische Förderprojekte erkennen.

• Bedarf an OPEC Rohöl und Lagerveränderung: Hierbei handelt es sich um einen Ausgleichsposten bei der Aufrechnung von Nicht-OPEC-Angebot und Ölnachfrage. Der Begriff spiegelt den “Raum“ für das Angebot an OPEC-Rohöl und Lagerbestandsveränderungen wider, der zur Herstellung des Gleichgewichts am lmarkt erforderlich ist. Aufgrund des Einbruchs der Ölnachfrage 2009 wird nun prognostiziert, dass dieser Posten etwa 3,6 Mio. Barrel pro Tag unter dem vor einem Jahr erwarteten Niveau liegt.

Dieser Umstand hat zu einer Produktionsdrosselung auf Seiten der OPEC geführt. Es liegt auf der Hand, dass der Ausgleichsposten in den nächsten Jahren wird steigen müssen, allerdings in deutlich kleineren Schritten als bislang prognostiziert (0,55 Mio. Barrel pro Tag und Jahr ggü. 0,92 Mio. Barrel pro Tag und Jahr). Entsprechend liegt der Ausgleichsposten 2013 etwa 5,4 Mio. Barrel pro Tag unter dem vor einem Jahr prognostizierten Niveau. Auch wenn die Welt zunehmend von OPEC-Rohöl abhängig sein wird, dürfte diese Abhängigkeit doch weniger hoch sein als bislang prognostiziert. Das dürfte wiederum preisbelastend wirken.

• Ölförderkapazität der OPEC: Die IEA hat das OPEC-Investitionsprogramm in die Förderung und die entsprechenden Auswirkungen auf die Produktionskapazität untersucht. Nach der Anpassung um Indonesien ist der entscheidende Punkt der jüngsten Prognose darin zu sehen, dass die Kapazitätswachstumsrate der OPEC nun nur noch halb so hoch angesetzt wird wie noch vor einem Jahr (0,15 Mio. Barrel pro Tag und Jahr ggü. 0,29 Mio. Barrel pro Tag und Jahr). Dieses Signal mag zwar sehr positiv für die Preisentwicklung erscheinen, jedoch gilt es auch zu berücksichtigen, was dieses geringere Kapazitätswachstum für die tatsächlichen freien Kapazität bedeutet.

• Freie Kapazität bei der Ölförderung: Die weltweit freien Kapazitäten in der Ölförderung befinden sich in den OPEC Ländern, da in den Nicht-OPEC-Ländern fast immer an der Kapazitätsgrenze gefördert wird. Produktionssenkungen im Jahr 2009 auf Seiten der OPEC haben in diesem Jahr eine spürbare Zunahme der freien Kapazität bewirkt, die sich nahe 6,0 Mio. Barrel pro Tag bewegt, wohingegen im Jahr zuvor noch 4,2 Mio. Barrel pro Tag prognostiziert wurden. Auch wenn aktuell erwartet wird, dass sich dieser Kapazitätsüberhang mit der Zeit reduziert, liegen die für 2013 prognostizierten freien Kapazitäten mit 3,4 Mio. Barrel pro Tag doch deutlich über den 1,9 Mio. Barrel pro Tag, die im letztjährigen Bericht für dieses Jahr angesetzt wurden. Dieses Signal ist besonders preisbelastend.

• Auswirkungen für den Ölmarkt: Die jüngsten mittelfristigen Ölmarktprojektionen zeichnen ein Bild schwächerer Ölnachfrage in diesem Jahr und schwächeren Wachstums bis zum Jahr 2013. Obwohl ein recht blutleeres Angebotswachstum aus den Nicht-OPEC-Staaten prognostiziert wird, dürfte die erwartete zunehmende Abhängigkeit der Welt von der OPEC nicht so schnell steigen wie bislang angenommen. Hinzu kommt, dass das erwartete Wachstum der OPEC-Kapazität einen deutlichen Anstieg der freien Kapazitäten nach sich ziehen dürfte.

Die jüngste Projektion der IEA ergibt somit ein mittelfristig deutlich weniger positives Preisklima. Auch wenn häufig von Sorgen zu hören ist, dass mangelnde Investitionen in die Förderung zu einer Angebotskrise beim Öl führen könnten, lässt der jüngste Bericht der IEA ein zumindest auf Sicht der nächsten fünf Jahre deutlich schwächeres Preisumfeld erwarten. Während wir an unserer Ölpreisprognose von 70 USD je Barrel für das Jahresende festhalten und in der Zwischenzeit stärkere Preisrückgänge nicht ausschließen, sind wir bezüglich der vielzitierten Einschätzung skeptisch, dass die Preise vom aktuellen Niveau aus ins Unermessliche steigen werden. Ein beständig schwaches Wachstum der Ölnachfrage sowie ein anhaltender Überhang bei den freien OPEC-Förderkapazitäten werden das Preisumfeld u.E. auf Sicht der nächsten fünf Jahre beeeinflussen.


Auf einen Blick

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© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: “Rohstoffe kompakt“, Commerzbank AG





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