Ölpreis durchbricht die 70-Dollar-Marke ... folgt nun die 100?
15.06.2009 | Eugen Weinberg
Der Ölpreis hat sich seit dem Jahrestief Mitte Februar verdoppelt und die Marke von 70 USD je Barrel durchbrochen. Doch noch immer ist das Niveau von 147 USD vom letzten Juli in weiter Ferne. Kann sich der Ölpreis kurzfristig wieder in den dreistelligen Bereich bewegen? Wir sind nicht der Meinung, weil sich die damals vorherrschenden Marktverhältnisse von denen unterscheiden, die für den weiteren Jahresverlauf zu erwarten sind: Fundamentaldaten und Investmentnachfrage haben sich verändert.
Die Ölpreise in 2008 spiegelten die Überzeugung einer dauerhaften Veränderung der Fundamentalsituation wider ...
Der Ölpreisanstieg in 2008 basierte ursprünglich auf der Annahme, dass die Ausweitung des Angebots mit dem Nachfrageanstieg nicht Schritt halten kann. Man war der Meinung, dass sich das Wachstum des Ölverbrauchs aufgrund des anhaltenden rapiden Industrialisierungsprozesses in Ländern wie Indien und China unabhängig von der Höhe des Ölpreises und der globalen Wirtschaftsaktivität fortsetzen würde. Gleichzeitig würde das Ölangebot der Nicht-OPEC-Staaten aufgrund schlechter Investitionsbedingungen und hoher Entwicklungskosten nur mäßig expandieren. Und nicht zuletzt ging man davon aus, dass die OPEC nicht in der Lage oder nicht gewillt sein würde, neue Förderkapazitäten zeitnah einzuführen. Alles zusammen würde niedrige Ölvorräte, niedrige freie Kapazitäten und höhere Preise implizieren.
Aber der Ölmarkt ist wie die anderen Rohstoffmärkte zyklischer Natur
Letztlich schwächte sich aber die Ölnachfrage infolge der hohen Preise und der schwachen Konjunktur deutlich ab. Zwar verringerte sich das Nicht-OPEC-Angebot, aber die OPEC förderte in der zweiten Jahreshälfte mehr und schuf neue Kapazitäten. Infolgedessen nahmen die Ölvorräte und die freien Kapazitäten zu. Selbst im Juli, als der Ölpreis bei 147 USD lag, hätten die damaligen Vorräte lediglich Preise zwischen 40 und 60 USD je Barrel impliziert. Dreistellig wurde der Ölpreis vor allem wegen der massiven Investmentzuflüsse. Denn die Investoren gingen statt von einem zyklischen Phänomen von einer permanenten Verschiebung der Fundamentalsituation aus. Zugleich stieg das zur Verfügung stehende finanzielle Volumen wegen niedrigerer Zinsen, leichten Zugangs zu Finanzmitteln und niedrigeren Erträgen bei anderen Vermögensklassen. All diese führte u.E. zu einer klassischen Spekulationsblase, die letztlich platzte.
Was ist jetzt eigentlich anders?
Die Finanzmittel für Öl-Investments sind angesichts einer erhöhten Risikoaversion und strengere Restriktionen bei der Kreditvergabe geringer. Ausserdem sollten Investoren aus den Fehlern gelernt haben! Momentan sind die Ölvorräte reichlich und die freien Förderkapazitäten groß. Das geringere OPEC-Angebot wird zu Jahresende zu niedrigeren Lagerbeständen führen (Grafik 2). Die aktuellen Vorräte sind hoch genug, auch einen unerwarteten Anstieg der Nachfrage abzudecken, zumal zusätzlich 100 Mio. Barrel “auf See“ gelagert werden und sich die strategischen Reserven der Regierungen auf mehr als 1,6 Mrd. Barrel belaufen. Zugleich waren die Produktionskürzungen seitens der OPEC freiwillig. Dies bedeutet höhere freie Kapazitäten. (Grafik 3)
Zwar ist die OPEC in der Lage, ihr Preisziel von 70 bis 80 USD je Barrel zu stützen, jegliches “Überschießen“ des Ölpreises dürfte aber zu einer Erhöhung der Fördermenge führen. Längerfristig dürfte ein Ölpreis um 70 USD weder die Nachfrage dämpfen noch einen Einbruch der Nicht-OPEC-Produktion verursachen. Angesichts der aktuellen Fundamentaldaten ist der Preis sogar eher zu hoch und spiegelt die erwartete Verengung des Marktes bereits wider. Die Preise dürften sich also seitwärts bewegen und wir sind nicht der Meinung, dass sie schon bald wieder dreistellig werden.
Wie wird sich der Ölpreis von nun an bis Jahresende entwickeln?
Der Anstieg der Ölpreises seit Mitte April ist in erster Linie auf einen schwächeren US Dollar und weniger auf die Fundamentaldaten zurückzuführen (Grafik 4). Die Erholung der Aktienmärkte spiegelt teilweise die Erwartung eines wirtschaftlichen Aufschwungs und damit die Erwartung einer höheren Ölnachfrage wider (Grafik 5).
Investoren mögen eine Verknappung des Ölmarktes gegen Jahresende erwarten und möglicherweise längerfristig Angebotsengpässe antizipieren. Jedoch werden die derzeitigen Ölpreise weder durch die aktuellen Lagerbestände noch durch die freien Kapazitäten der OPEC unterstützt. Sofern Hinweise auf fallende Lagerbestände in den kommenden Monaten ausbleiben, bleibt der Ölpreis für eine Korrektur nach unten anfällig, wenn sich die Faktoren, die nicht direkt mit Öl in Zusammenhang stehen, wie zum Beispiel die US-Dollar-Schwäche, in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Wir glauben, dass die Fundamentaldaten für Öl ein Preisniveau von 70 USD je Barrel bis Jahresende rechtfertigen. Was vom jetzigen Zeitpunkt an bis zum Jahresende passiert, ist relativ ungewiß. Schauen wir uns nun mit Fokus auf die zweite Jahreshälfte die preisbeeinflussenden Faktoren an, die dem Ölmarkt zugrundeliegen und jene, die nicht direkt mit dem Ölmarkt verbunden sind.
Faktoren, die nicht direkt mit dem Ölmarkt in Zusammenhang stehen, beeinflussen weiterhin den Ölpreis ...
Zunehmende Erwartungen, dass sich die Weltwirtschaft erholt, führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Ansteigen der Aktienindizes. Die Risikobereitschaft der Investoren wird weiter zunehmen und die Attraktivität des US-Dollars als sichere Anlage wird weiter abnehmen. Unter diesen Umständen und basierend auf dem zur Zeit geltenden Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und dem Ölpreis, könnte der Ölpreis weiter steigen. Das Investoreninteresse an Öl als Anlageklasse bezieht sich nicht nur auf den Preis des nächstfälligen Terminkontrakts (wie im Falle des US Oil Funds), sondern auch auf Terminkontrakte mit längerfristiger Fälligkeit.
Grafik 7 zeigt, dass in letzter Zeit die Preisbewegungen der nächstfälligen Terminkontrakte von Terminkontrakten mit späteren Fälligkeitsterminen nachvollzogen wurden. Kontrakte, deren Fälligkeiten ferner in der Zukunft liegen, sind nicht mit dem Bedarf verbunden, Risiken des physisch gehaltenen Rohstoffs zu hedgen. Dies deutet auf ansteigende Zuflüsse von Investmentgeldern in diesen Markt hin. Die Netto-Longposition spekulativer Investoren erhöhte sich zu Beginn des Jahres, nachdem Investoren in der zweiten Jahreshälfte von 2008 Hals über Kopf das Weite gesucht hatten. Die spekulativen Netto-Longpositionen stiegen kürzlich erneut an und liessen die Preise von rund 45 USD je Barrel auf 70 USD steigen. Für spekulative Investoren besteht weiterhin Spielraum, zusätzliche Positionen aufzubauen.
Wir glauben jedoch, dass das Investoreninteresse nicht wieder das Niveau vom letzten Jahr erreichen wird, da der Zugang zu finanziellen Mitteln schwieriger und Refinanzierungen teurer geworden sind. Da das spekulative Interesse eher auf künftigen Ölmarktbedingungen und weniger auf den relativ flauen Fundamentaldaten des Marktes basiert, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass der Ölpreisanstieg ins Stocken gerät und sich eventuell umkehrt. Dieser Trend könnte sich so lange fortsetzen, bis die Fundamentaldaten einen Ölpreis von 70 USD je Barrel rechtfertigen.
... aber wir müssen möglicherweise bis Jahresende warten, bis die Fundamentaldaten dem Ölpreis entsprechen.
Wie Grafik 2 deutlich macht, werden die Öllagerbestände in der zweiten Jahreshälfte von dem derzeitigen Rekordniveau endlich wieder sinken. Grafik 3 zeigt auf, dass die frei verfügbaren Förderkapazitäten auf hohem Niveau verharren. Das erwartete Verhältnis zwischen unserer Preisprognose für Jahresende und den Öllagerbeständen sowie den frei verfügbaren Kapazitäten ist in den Grafiken 8 und 9 (siehe nächste Seite) verdeutlicht. Der erwartete Rückgang der Reichweite der Lagerbestände zu Jahresende und unsere Ölpreisprognose von 70 USD je Barrel erscheinen passend. Der erwartete anhaltende Überhang freier OPECProduktionskapazitäten ist nicht preisstützend. Allerdings befindet sich ein Großteil der freien Kapazitäten im Nahen Osten, wo die Quotendisziplin am höchsten ist. Darüber hinaus ist ein Teil der ungenutzten Kapazitäten eher anzuzweifeln, wie zum Beispiel die in Nigeria. Die Ölpreise sind sich momentan selbst vorausgeilt. Wir bestätigen jedoch unsere Jahresendprognose von 70 USD je Barrel
Auf einen Blick
© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst
Quelle: ´´Rohstoffe kompakt´´, Commerzbank AG
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