|
Skizzierung der Energiewende31.12.2021 | 7:00 Uhr | Robert Rethfeld
Die Energiewende steckt voller politischer Absichtserklärungen. Sie wird einerseits bekräftigend enthusiastisch, andererseits skeptisch begleitet. Manchen erscheint der Pfad unklar. Mit dieser Kolumne zum Jahreswechsel 2021/22 möchte ich versuchen, den Weg der Energiewende bis etwa 2030 im Rahmen einer Skizzierung sichtbarer und erfassbarer machen.
Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Wir sehen: An keinem Tag im Jahr kann die solare Produktion auch nur annähernd den Verbrauch abdecken. Auch die Wind-Produktion schafft dies nicht. Ja, einzelne Spitzen können schon mal 1.000 GWh/Tag produzieren und damit zwei Drittel des Stromverbrauchs decken. Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Aber die Windspitzen treten unregelmäßig und überwiegend im Winter, Frühling und Herbst auf. Der Sommer wird weitgehend ausgespart. Immerhin ergibt die Kombination von Solar und Wind ein relativ ausgeglichenes Bild über alle Jahreszeiten. [pagebreak] Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Aber die Unregelmäßigkeiten bleiben groß, so lässt sich mit der Ideal-Kombination Sonne/Wind „kein Staat machen“. Fossile Energien wie Braunkohle, Steinkohle und Erdgas sorgen dafür, dass Produktion und Verbrauch nicht voneinander abweichen. Koalitionsvertrag Der Blick in den Koalitionsvertrag zeigt, dass die Ampel-Koalition im Jahr 2030 eine solare Kapazität von 200 GW anstrebt. Das ist das Vierfache der aktuell installierten Leistung. Gleichzeitig soll die Offshore-Windkapazität deutlich auf 30 GW steigen (von 7,8 GW im Jahr 2021). Wir nehmen für die Windkraft insgesamt (Onshore- und Offshore) den Faktor 2,25 im Vergleich zum Status Quo an. Im Koalitionsvertrag wird für das Jahr 2030 ein Bruttostromverbrauch von 680 bis 750 Terrawattstunden/Jahr angenommen. Im Jahr 2019 lag er bei 567 TWh. Wenn man den Mittelwert der Spanne im Blick hat, könnte der Stromverbrauch um etwa 25% im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Jahr 2019 steigen. Hintergrund ist die verstärkte Nutzung von Power-to-Heat-Strukturen, Wärmepumpen und E-Autos. Dennoch: Längst nicht alle Haushalte werden im Jahr 2030 E-Autos fahren oder Wärmepumpen besitzen. Ein Stromverbrauchsanstieg um 25% im Verlauf der kommenden acht Jahre wäre massiv. 2030: Erdgas schließt Winterlücke Wir springen ins Jahr 2030. Annahmen: Der Stromverbrauch (Last) hat sich um 25% erhöht, die PV-Produktion vervierfacht und die Windproduktion mehr als verdoppelt (Faktor 2,25). Wir ergänzen das Portfolio noch um die Biomasse und das Speicher- und Laufwasser. Deren Kapazitäten werden sich im Vergleich zum Jahr 2020 voraussichtlich wenig verändern. Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Auch wenn Lücken vorhanden sind: Die erneuerbaren Energien würden insbesondere von März bis November den Bedarf weitgehend abdecken. Eine halb vollzogene Energiewende würde bedeuten, dass für den Restbedarf Erdgas eingebracht wird. Gas- und Gasturbinenkraftwerke lassen sich innerhalb weniger Minuten von null auf Voll-Leistung hochfahren und umgekehrt. Sie würden die Lücken schließen können. Erdgas ist der am wenigsten schädliche fossile Energieträger. Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Es bliebe die Abhängigkeit von Russland und vom internationalen Preisgefüge. Denn der Börsenstrompreis wird vom am teuersten produzierenden Kraftwerk bestimmt, und das wäre ein Erdgaskraftwerk. Spitzen nutzen Aber es gibt einen anderen Weg. Denn die Spitzen, die über die Last herausragen, können genutzt werden. Mit ihrer Hilfe können sich Stromspeicher vollsaugen. Das können Pumpspeicher-Kraftwerke sein oder stationäre und mobile Batteriespeicher. Auch mittels Elektrolyse hergestellter Wasserstoff dient als Stromspeicher. [pagebreak]Ähnlich wie heute die Erdgasspeicher im Sommer mit Erdgas gefüllt werden, um den Brennstoff für die Versorgung im Winter nutzen zu können, findet die Generierung von Wasserstoff im Frühjahr, Sommer und Herbst und der Verbrauch im Winter statt. Dieses Verfahren ist erst dann sinnvoll einsetzbar, wenn der Stromüberschuss derart hoch ist, dass die bei der Produktion entstehenden Verluste keine große Rolle mehr spielen. März bis November mit permanent hohem Strom-Überschuss Im Idealfall wird nach dem Jahr 2030 die PV- und Solarproduktion soweit über die Last angehoben, dass von März bis November ein permanent hoher Strom-Überschuss entsteht. Der dann noch für die Stromproduktion im Winter notwendige Wasserstoff wäre leicht unter Einkalkulierung der Wandlungsverluste von März bis November herstellbar (folgender Chart). Wir haben den Chart mit dem Faktor 6 gegenüber heute für Solarstrom und dem Faktor 4 für Wind erstellt. Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Hoher Spread wichtig für Speicher Die Frage nach den Preisentwicklungen am Energiemarkt stellt sich. Schon im Jahr 2021 war an einzelnen Stunden der Mittagszeit eine Komplettabdeckung des Verbrauchs durch erneuerbare Energien zu beobachten. Der Strompreis sank jedes Mal auf die Negativseite. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien wird sich dieser Effekt in den kommenden Jahren verstärken. Der Spread zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Strompreis erreichte im Herbst 2021 ungeahnte Höhen. Wir nehmen an, dass diese Spanne hoch bleiben wird. Dieser Zustand ist für den Aufbau und die Verwendung von Speicherlösungen ideal. Bei einem Negativpreis erhält der Speicherbetreiber Geld dafür, dass er den Strom abnimmt, sagen wir 20 Euro/MWh. Gleichzeitig verkauft er den Strom im Winter für sagen wir 300 Euro/MWh. Er bekommt zweimal Geld, einmal für das Einspeichern und einmal für das Ausspeichern. So können nennenswerte Langfristspeicherkapazitäten - insbesondere Wasserstoffspeicher - finanziert und aufgebaut werden. Die Durchschnittskalkulation für den Versorger wird schwieriger. Aber er kann sein Portfolio unter anderem mit Lieferabnahmeverträgen (PPAs) stabilisieren. Der Stromverbrauch wird auch nach dem Jahr 2030 zunehmen, weil sich der Anteil der E-Autos weiterhin erhöhen wird und auch der Beheizung von Gebäuden - Fernwärme, Wärmepumpe - immer mehr ein Stromerzeugungsprozess voranstehen wird. Elektrifizierung der Primärenergie ist das Stichwort. Dieser Prozess wird sich über Dekaden hinziehen. An einem Punkt X wird das, was sinnvoll elektrifiziert werden kann, ausgereizt sein. Der Langstreckenflugverkehr wird ohne synthetische Kraftstoffe wohl nicht auskommen können. Erst der stetige Ausbau von Solar- und Windenergie kann in einigen Jahren einen Zustand der Strom-Überproduktion aus erneuerbaren Energien herstellen. Dies ist die Voraussetzung für den Aufbau von Speicherkapazitäten, der durch einen hohen Börsenstrompreis-Spread unterstützt werden wird. Zunächst werden Kurzfristspeicher (Pumpspeicher, Batterien) effektiv im Frühjahr, Sommer und Herbst Lücken schließen. PV als Basisversorgung von März bis Oktober Wenn Batteriespeicher bis zum Jahr 2030 auf 50 bis 100 GW Kapazität ausgebaut werden, kann die Solarenergie von März bis Oktober den Part der Basisversorgung, den bisher fossile Kraftwerke innehatten, übernehmen. Nachfolgend eine idealtypische Darstellung, wären die Kurzfristspeicher bereits im Jahr 2021 im Einsatz gewesen. Quelle: EnergyCharts / Wellenreiter-Invest
Wasserstoff für den Winter Die Winterlücke wird zunächst noch durch Erdgas ausgefüllt werden. Ist die Strom-Überproduktion durch erneuerbare Energien derart gewachsen, dass im Frühling, Sommer und Herbst durch Elektrolyse erzeugter Wasserstoff im Winter für die Stromversorgung der Bevölkerung ausreicht, wird Erdgas für die Stromerzeugung durch Wasserstoff verdrängt werden können. Die Windenergie tritt deutlich unregelmäßiger als die Solarenergie in Erscheinung. Sie wird den Part der Basisversorgung nicht ausfüllen können. Das muss sie aber auch nicht. Windenergie ist auf Sicht von ein bis zwei Wochen vorhersehbar. Wenn der Wind weht, werden häufig große Mengen Energie erzeugt. Wasserstoff- und auch Wärmespeicher werden bereitstehen, um die gewaltigen Energien aufzunehmen, die dann die Winterlücke schließen werden. Nicht nur in Deutschland Der Ausbau der erneuerbaren Energien findet nicht nur in Deutschland statt. Bis zum Jahr 2025 möchte China Batteriespeicher mit einer Leistung von 30 GW installieren. Weltweit könnten 1.000 GW Batteriespeicher bis zum Jahr 2030 errichtet werden, so Bloomberg NEF. Das sind lohnende Investitionen, wenn man berücksichtigt, dass allein Deutschland im Jahr 2021 voraussichtlich Erdgas im Wert von 35 Mrd. Euro importieren wird (1995: 4,5 Mrd. Euro). Davon dürften etwa 18 Mrd. Euro auf Russland und damit auf Gazprom entfallen. Zur Einordnung: Die Errichtung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 kostete etwa 8 Mrd. Euro. Weniger CO2, weniger Kapitalabfluss Eine weitgehende Energie-Autarkie Deutschlands und Europas reduziert den Kapitalabfluss für Energieimporte und sorgt weltweit für einen geringeren CO2-Ausstoß. Zudem wird der Hebel für nervige politische Spiele im Hinblick auf internationale Energielieferungen geringer. Jahresausblick 2022 Der Wellenreiter-Jahresausblick 2022 kann erworben und heruntergeladen werden unter www.wellenreiter-invest.de. © Robert Rethfeld www.wellenreiter-invest.de P.S.: Wir schauen hinter die Märkte und betrachten diese mit exklusiven Charts! Wir veröffentlichen morgens gegen zwischen 7.30 und 8.00 Uhr eine tägliche Kolumne zum aktuellen Geschehen unter www.wellenreiter-invest.de, die als 14-tägiges Schnupperabo kostenlos getestet werden kann. Dieser Artikel stammt von Rohstoff-Welt.de
Die URL für diesen Artikel ist: http://www.rohstoff-welt.de/news/artikel.php?sid=80634
© 2007 - 2024 Rohstoff-Welt.de ist ein Mitglied der GoldSeiten Mediengruppe
Es wird keinerlei Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen! Alle Angaben ohne Gewähr! Kursdaten: Data Supplied by BSB-Software.de (mind. 15 min zeitverzögert) Werbung | Mediadaten | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutz |