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Ölpreis im Bann der Unruhen

08.03.2011 | 7:19 Uhr | Eugen Weinberg, Commerzbank AG

Die Unruhen in Libyen haben den Ölpreis auf ein 2 ½ Jahreshoch getrieben. Wir erachten eine rasche Rückkehr zur “Normalität“ als unwahrscheinlich und haben deshalb unsere Ölpreisprognose für das zweite Quartal auf 120 USD je Barrel angehoben. Erst wenn die Angebotsrisiken nachlassen, dürfte der Ölpreis wieder unter die Marke von 100 USD je Barrel fallen.

Mit Libyen ist erstmals ein größerer Ölexporteur von den Unruhen in Nordafrika betroffen. Libyen ist mit einer Tagesproduktion von 1,6 Mio. Barrel der zwölftgrößte Ölproduzent weltweit. Mehr als 80% der libyschen Ölausfuhren gehen nach Europa. Mit einem Anteil von mehr als 9% an den Ölimporten ist Libyen der drittwichtigste Öllieferant für die EU.

Italien ist mit einer Einfuhr von gut 400 Tsd. Barrel pro Tag der größte Abnehmer, aber auch Deutschland mit täglich knapp 170 Tsd. Barrel und Frankreich mit 130 Tsd. Barrel täglich sind wichtige Abnehmerländer für libysches Rohöl. Die Auswirkungen der Unruhen auf die Ölproduktion sind bereits beträchtlich: Gemäß dem Chef des staatlichen libyschen Ölkonzerns NOC belaufen sich Produktionsausfälle auf mehr als 50%; die Internationale Energieagentur (IEA) bezifferte die Ausfälle sogar auf bis zu 1 Mio. Barrel täglich. Das entspricht immerhin dem täglichen Verbrauch der Niederlanden.

Saudi-Arabien kann diese Produktionsausfälle mengenmäßig problemlos kompensieren, denn nach eigenen Angaben kann das Land bis zu 12,5 Mio. Barrel Rohöl pro Tag produzieren. Berichten zufolge hat Saudi-Arabien die tägliche Produktionsmenge bereits auf mehr als neun Mio. Barrel angehoben und damit auf die Lieferausfälle in Libyen reagiert. Allerdings ist das saudische Öl meist von minderer Qualität als das libysches, welches aufgrund seiner geringen Dichte (hoher API-Grad) und seines niedrigen Schwefelgehalts als besonders hochwertig gilt. Diese beiden Qualitätsmerkmale sind wesentlich für den Raffinerieprozess und den Ausstoß an Mineralölprodukten.

In den europäischen Raffinerien im Mittelmeerraum wird überwiegend leichtes und schwefelarmes Rohöl als Input verwendet. Diese Raffinerien sind kaum in der Lage, schwerere und schwefelhaltigere Ölsorten zu verarbeiten und müssen daher auf vergleichbare Ölsorten aus Algerien, Westafrika oder dem kaspischen Raum zurückgreifen. Dagegen sind die neueren Raffinerien im asiatischen Raum auch auf die Verarbeitung von schwerem, schwefelhaltigerem Öls eingerichtet. Auch in den USA sind gemäß EIA noch Kapazitäten verfügbar, schweres, saures Öl zu verarbeiten, wobei die Transportwege auch in diesem Fall deutlich länger würden.



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Zusätzlichen Puffer bieten darüber hinaus die strategischen Notfallreserven, die die wichtigsten Verbrauchsländer angelegt haben. Zusammen mit den Lagerbeständen in der Industrie beliefen sich die Vorräte in den OECD-Ländern Ende 2010 laut IEA auf 4,2 Mrd. Barrel und hatten damit eine Reichweite von 91 Tagen bezogen auf den Verbrauch. Oder anders ausgedrückt: würde Libyen als Produzent gänzlich ausfallen, so könnten die Vorräte diese Lücke rein rechnerisch über 7 Jahre füllen. Die IEA hat allerdings angekündigt, die Reserven erst als allerletztes Mittel nutzen zu wollen, da sie endlich sind.

Es sind vor allem die Ängste vor einer Ausbreitung der Unruhen auf die gesamte Region, welche den Ölpreis nach oben treiben. Immerhin wird in den Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Osten mehr als ein Drittel des weltweiten Rohölangebots produziert. Käme es neben Libyen in einem weiteren Land zu Produktionsausfällen in ähnlicher Größenordnung, wären die freien Förderkapazitäten in Saudi-Arabien auf ein kritisches Niveau von etwa 2 Mio. Barrel pro Tag abgeschmolzen.

Das größte Risiko liegt zweifellos darin, dass auch Saudi-Arabien von den Unruhen erfasst wird. Proteste gibt es bereits in den benachbarten Ländern Bahrain und Oman. Dass die Herrscher in Saudi-Arabien die Lage Ernst nehmen, zeigen Meldungen, wonach der Bevölkerung Vergünstigungen in Höhe von 37 Mrd. US-Dollar in Aussicht gestellt wurden. Ob dies ausreicht, die Bevölkerung ruhig zu stellen, bleibt abzuwarten. Der weltgrößte Ölexporteur Saudi-Arabien produziert mehr als neun Mio. Barrel Rohöl pro Tag und verfügt zudem als einziges Land über ausreichend freie Förderkapazitäten.



[pagebreak]Auch wenn kurzzeitige Produktionsausfälle mittels Produktionserhöhungen in Saudi-Arabien oder den Rückgriff auf die Lagerbestände in den OECD-Ländern ausgeglichen werden könnten, haben die jüngsten politischen Entwicklungen die ungünstige Verteilung der Ölförderung in den Fokus der Marktteilnehmer rücken lassen. Lediglich ein Drittel der Erdölförderung entfällt auf Länder mit demokratischer Regierungsform. Zwei Drittel des Ölangebots stammen dagegen aus autoritär oder halb autoritär regierten Ländern. Das Beispiel der nordafrikanischen Länder zeigt, wie brüchig die Stabilität und damit Lieferzuverlässigkeit dieser Länder sein kann.

Noch zugespitzter ist das Bild, wenn man die Verteilung der konventionellen Ölreserven betrachtet: Dann entfällt auf Länder mit demokratischer Regierungsform sogar nur noch ein Anteil von 8%. Oder anders dargestellt: heute produzieren die OPEC Länder mit knapp 30 Mio. Barrel Rohöl pro Tag zuzüglich 5,3 Mio. Barrel pro Tag Ölkondensate (NGLs) rund 40% des weltweiten Ölangebots; im Jahr 2030 dürften es laut langfristiger Voraussagen der Internationalen Energieagentur über die Hälfte sein. Drei Viertel der zusätzlichen Rohölförderung ist dabei auf den OPEC Staaten im Nahen und Mittleren Osten zuzurechnen (Iran, Irak, Kuwait, Katar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate).


Eine Reserve für Notfälle

Die 28 Mitgliedsstaaten der 1974 gegründeten Internationalen Energieagentur haben sich verpflichtet, Bestände an Erdöl und Erdölerzeugnisse im Umfang von mindestens 90 Tagen der Importnachfrage des Vorjahres vorrätig zu halten. Diese können direkt in staatlicher Hand als öffentliche Vorräte gehalten werden oder Teil der kommerziellen Vorräte sein, indem der Industrie Auflagen zur Haltung eines Mindestbestandes gemacht werden. Die Vorräte insgesamt beliefen sich Ende 2010 auf 4,2 Mrd. Barrel und hatten Ende September eine Reichweite bezogen auf die Nettoimporte der IEA-Länder in Höhe von 146 Tagen. Davon waren rund 35% öffentliche Vorräte. In Deutschland hält der Erdölbevorratungsverband mit 180 Mio. Barrel Rohöl fast zwei Drittel der deutschen Vorräte. Im Bedarfsfall kann der Direktor der IEA zusammen mit dem Direktorium, das sich aus hochrangigen Experten der Mitgliedsländer zusammensetzt, binnen 24 Stunden reagieren. Letztmals wurden die Reserven im Herbst 2005 nach den hurrikanbedingten Produktionsausfällen im Golf von Mexiko angezapft: die IEA Mitglieder beschlossen, über 30 Tage täglich 2 Mio. Barrel in den Markt zu geben, wobei letztlich rund 53 Mio. Barrel abgerufen wurden.
China baut ebenfalls eine Reserve auf. Genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor.

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Libyen, welches derzeit im Zentrum der Proteste steht, hält mit 44,3 Mrd. Barrel die größten Ölreserven in Afrika, mehr noch als Nigeria und Angola. Ein Regimewechsel könnte daher Auswirkungen auf die Erschließung dieser Ölreserven und damit auf die künftige Ölproduktion haben. Zu Beginn der 40-jährigen Herrschaft Gaddafis lag die libysche Ölförderung noch bei 3 Mio. Barrel pro Tag. Aufgrund der jahrzehntelangen Isolation und damit einhergehend niedrigerer Explorationsausgaben ging die Ölproduktion Libyens bis 2002 auf 1,3 Mio. Barrel pro Tag zurück. Nach der schrittweisen Lockerung der Sanktion durch den Westen wurde von ausländischen Ölkonzernen in den letzten Jahren wieder stärker in die Exploration der libyschen Ölvorkommen investiert, weshalb die libysche Ölproduktion bis 2008 auf 1,8 Mio. Barrel pro Tag steigen konnte. Sollte es also gelingen, ein demokratisches und stabiles Regime in Libyen zu errichten, könnte die Verfügbarkeit von hochqualitativem Rohöl in den kommenden Jahren deutlich steigen. Ob es dazu kommt, wird sich allerdings noch zeigen müssen.

Auch wenn sich langfristig mit der Etablierung neuer politischer Strukturen auch neue Chancen auftun, überwiegen auf kurze bis mittlere Sicht die Risiken. Nicht nur die tatsächlichen Produktionsausfälle, sondern vor allem die Ansteckungsgefahren der Nachbarregionen dürften die geopolitische Risikoprämie zunächst hoch halten. Wir haben deshalb unsere Preisprognose für Rohöl der Sorte Brent im zweiten Quartal auf 120 USD je Barrel angehoben. Erst in der zweiten Jahreshälfte dürfte – sofern die Angebotsrisiken nachlassen - der Ölpreis wieder unter die Marke von 100 USD je Barrel fallen. Die Sorte West Texas Intermediate wird unseres Erachtens angesichts der hohen Lagerbestände in Cushing vorerst weiter mit einem deutlich Abschlag gehandelt werden, auch wenn grundsätzlich die leichten, schwefelärmeren Ölsorten infolge des Produktionsausfalls in Libyen stärker gefragt werden dürften.

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© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: “Rohstoffe kompakt“, Commerzbank AG





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